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Jürgen Matthes im Arte Journal Interview 6. September 2012

"Die EZB verteilt nur weiße Salbe"

Für den Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Matthes ist die Euro-Krise so verfahren, dass nur noch die EZB eine weitere Verschärfung der Lage verhindern kann. Doch auch der massive Kauf von Staatanleihen verschuldeter Länder kann demnach die Krise nicht beenden. Die Verantwortung, politische Reformen einzuleiten, liegt bei der Politik.

Worin unterscheidet sich der von EZB-Chef Mario Draghi angekündigte Ankauf von Staatsanleihen von den bisherigen Hilfen für die Euro-Krisenstaaten?

Der Unterschied zu dem, was bereits in Griechenland, Spanien und Irland passiert ist, dass keine Kredite vergeben werden, sondern dass die EZB direkt Staatsanleihen kauft und so die Zinsen senkt. Das ist aber auch eine Hilfe, und die muss genauso an Bedingungen geknüpft werden, wie die anderen Hilfen. Es ist ja nur ein anderes Instrument. Man braucht strenge Bedingungen, damit das Instrument nicht zur Droge wird, auf die man sich dauerhaft verlässt.

Wie würde da praktisch funktionieren?

Für Irland und Portugal läuft es ja im Rahmen der Rettungsschirmkredite so: Alle drei Monate werden die Tranchen der Kredite vergeben und es wird vorher geschaut, ob die Bedingungen erfüllt sind. Wenn nicht, ist die Frage, ob das das Land Reformen verschleppt hat oder Pech gehabt hat, etwa weil die Wirtschaft und damit die Steuern stärker als erwartet eingebrochen sind. Solange man sagen kann, ihr habt verantwortlich und gemäß den Vorgaben gehandelt, wird die nächste Tranche vergeben. Wenn das aber nicht der Fall ist und schuldhafte Versäumnisse zu sehen sind, dann steht die wichtige Drohung im Raum, die nächste Tranche nicht auszuzahlen. Das würde das Land in arge Schwierigkeiten bringen. Diese Drohung ist also zentral dafür, dass sich ein Land auf Reformkurs bleibt. Übertragen auf die EZB würde das bedeuten, die europäische Zentralbank darf nur so lange intervenieren, wie die Reformbedingungen eingehalten werden. Sollten aber schuldhaft starke Abweichungen entstehen, dann müsste die EZB die Hilfe einstellen.

Die EZB ist ja formal unabhängig. Wie kann man sicher sein, dass sie diese strengen Bedingungen auch durchsetzt?

Der EZB ist sehr wohl bewusst, dass der Ball nicht wirklich bei ihr, sondern im Spielfeld der Staaten liegt, die ihre wirtschaftliche Glaubwürdigkeit durch konsequente Reformen zurückgewinnen müssen. Das heißt, die EZB kann das Problem nicht lösen, sondern nur weiße Salbe zur Schmerzlinderung verteilen. Aber das Kernproblem müssen die Staaten selber lösen und das hat Draghi ja auch sehr deutlich gemacht. Denn er hat gesagt, dass die EZB nur intervenieren wird, wenn der Staat, dem geholfen wird, ein Reformprogramm mit dem Rettungsschirm ESM vereinbart.

Das heißt die EZB spielt die Feuerwehr, aber der Wiederaufbau bleibt Aufgabe der Politiker?

Die EZB kommt ja nur ins Spiel, weil wir wissen, dass der ESM, wenn er in Kraft tritt, zu klein ist, um dauerhaft zu intervenieren. Italien und Spanien sind einfach zu groß. Wenn der ESM Staatsanleihen kaufen würde, dann wäre für die Finanzmärkte von vornherein klar, das reicht sowieso nur für ein paar Monate. Und damit könnte man der Verunsicherung am Finanzmarkt nicht effektiv entgegentreten. Deswegen braucht man die EZB in der Hinterhand, weil sie zumindest theoretisch unbegrenzte Taschen hat. Dabei haben wir natürlich die Hoffnung, dass sie die unbegrenzten Taschen nie aufmachen muss, sondern dass allein die Anwesenheit der EZB im Raum für Ruhe sorgt.

Warum zeichnen die Gegner des Ankaufs von Staatsanleihen ein Katastrophenszenario an die Wand?

Am Ende wird es entscheidend davon abhängen, wie die Reformbedingungen des ESM geschneidert werden. Da steht noch viel in den Sternen, bzw. wird noch ausverhandelt zwischen den Eurostaaten. Vielleicht hat Bundesbankchef Jens Weidmann die Befürchtung, dass das EZB-Instrument missbraucht und die Bedingungen aufgeweicht werden. Diese Sorgen stehen im Raum, die haben wir auch. Die Frage ist, ist man pessimistisch wie Herr Weidmann oder ist man eher optimistisch und hofft auf die Durchsetzungsfähigkeit der deutschen Regierung. Was die Inflationsgefahr betrifft, so sind wir da relativ gelassen, weil die EZB das Geld, das sie mit den Ankäufen in den Markt gibt, postwendend auch wieder abziehen kann. Das hat sie in den letzten beiden Jahren so gemacht, und das muss sie aber auch beim neuen Programm tun.

Für Sie ist das also ein kalkulierbares Risiko?

Die EZB einzusetzen ist keinesfalls unsere erste Wahl und bringt viele Probleme mit sich. Leider ist die Krise so weit eskaliert, dass wir die EZB brauchen. Derzeit ist das unserer Meinung nach noch nicht der Fall, aber die Zinsen in Italien und Spanien könnten weiter steigen. Dann kämen wir nicht ohne EZB aus. Doch sollte die EZB nur als Ultima Ratio eingesetzt werden, und nicht in der ersten Reihe.

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