Deutschland soll und will seine wirtschaftliche Abhängigkeit von China reduzieren. Das sieht IW-Außenhandelsexperte Jürgen Matthes auch so. Im Interview mit ntv.de erklärt er, dass zunächst allerdings analysiert werden müsse, wie verwundbar die deutsche Wirtschaft überhaupt ist. Aus Im- und Exportzahlen lasse sich das nicht einfach ablesen.
China-Risiko der Wirtschaft: „Abhängigkeiten zu reduzieren, wird viele Jahre dauern”
Deutsch-chinesische Handelspolitik, das hieß vor wenigen Jahren noch, dass große Delegationen, oft mit der Kanzlerin an der Spitze und Dutzenden Unternehmenschefs im Schlepptau, nach China reisten, um Investitionen, Im- und Export voranzutreiben. Was hat sich seitdem geändert?
Unter Experten und bei mit China befassten Handelspolitikern hat sich schon vor der Corona-Krise durchgesetzt, dass der Ansatz "Wandel durch Handel" im Umgang mit Peking gescheitert ist. Aber erst nach dem russischen Angriff auf die Ukraine haben die breite Öffentlichkeit und auch die deutschen Unternehmen dieses Umdenken nachvollzogen. Die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas hat allen vor Augen geführt, wie weitreichend die Folgen einer solchen wirtschaftlichen Abhängigkeit im Konfliktfall sein können. Ein geopolitischer Konflikt mit China mit gegenseitigen Sanktionen hätte vermutlich mindestens so gravierende Auswirkungen. Dass Peking sich auf die Seite des russischen Aggressors gestellt hat und auch die militärischen Drohgebärden gegenüber Taiwan zeigen, dass China immer weniger ein verlässlicher Partner ist und immer mehr zum Systemrivalen des Westens wird.
Und ziehen deutsche Unternehmen Konsequenzen aus dieser Erkenntnis?
Einerseits sprechen alle derzeit über Diversifizierung ihrer Lieferketten, aber vor allem große Konzerne verkünden gleichzeitig neue große Investitionen in China. In der Handelsstatistik sehen wir, dass die Einfuhren aus China im vergangenen Jahr um ein Drittel gestiegen sind. Die Rhetorik von der Diversifizierung und das Handeln scheinen da noch nicht übereinzustimmen. Allerdings ist es das eine, sich als Unternehmen von China unabhängiger machen zu wollen, und etwas anderes, dazu auch in der Lage zu sein. Wenn eine Firma ein wichtiges Vorprodukt aus China bezieht und es keine oder nur erheblich teurere alternative Lieferanten gibt, kann es sehr schwer sein, sich aus dieser Abhängigkeit zu lösen. Vor allem, wenn man in einem starken Wettbewerb steht und höhere Kosten nicht an die Kunden weiterreichen kann.
Wie groß ist diese Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft überhaupt?
Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Zunächst einmal ist die Verflechtung der deutschen Volkswirtschaft mit der chinesischen in der Gesamtschau gar nicht so groß, wie viele vielleicht denken. Nur etwa drei Prozent der deutschen Arbeitsplätze sind direkt oder indirekt von Exporten nach China abhängig. Auch die aus China importierte Wertschöpfung macht nur schätzungsweise rund drei Prozent der gesamten in- und ausländischen Wertschöpfung im deutschen Endverbrauch aus. Zwar ist China Deutschlands wichtigster Handelspartner, aber wir haben eben auch noch viele andere - und auch noch eine eigene Wirtschaft, die ebenfalls wichtiger Lieferant und Abnehmer ist. Bei einzelnen Unternehmen sieht das ganz anders aus: Deutsche Autobauer etwa machen einen großen Teil ihres Umsatzes in China. Dabei geht es allerdings immer mehr um in China für den chinesischen Markt oder für den Export aus China produzierte Waren, also vereinfacht gesagt um chinesische und nicht deutsche Jobs. Das Interesse der deutschen Unternehmen und des Standorts Deutschland können da auseinandergehen.
Das ist das Thema Abhängigkeit vom chinesischen Absatzmarkt und Export. Wie sieht es mit der Verwundbarkeit bei Importen aus?
Bei einzelnen Importprodukten hat China einen sehr hohen Anteil. Das heißt aber nicht unbedingt, dass die deutsche Wirtschaft in allen diesen Bereichen verwundbar ist. Bei wichtigen Rohstoffen hat China eine beherrschende Stellung. Das ist gefährlich, etwa im Fall von Magnesium und Seltenen Erden, die wir für die Energiewende brauchen. Bei anderen Produkten kann das aber auch unproblematisch sein, etwa bei dem großen China-Anteil beim Import von Heizdecken. Wenn deren Einfuhr unterbrochen würde, würde das der deutschen Wirtschaft wohl kaum schaden. Bei manchen Rohstoffen und bestimmten Vorprodukten könnte ein Handelskonflikt mit China dagegen womöglich ganze Branchen lahmlegen. Um herauszufinden, wie verwundbar die deutsche Wirtschaft ist, müsste man Tausende Posten der Handelsstatistik analysieren: An welchen Importen hat China einen hohen Anteil, wie bedeutend sind diese Produkte für die deutsche Wirtschaft, und wie schwer sind die im Fall ausbleibender Lieferungen zu ersetzen? Gibt es andere mögliche Lieferanten oder kann im Fall chemischer Grundstoffe etwa ein Hersteller in Deutschland einfach die Produktion übernehmen?
Welche Konsequenzen sollten Unternehmen und Politik dann daraus ziehen?
Das Ziel ist ja nicht, die deutsche Wirtschaft von der chinesischen zu entkoppeln, sondern ein "Derisking", also gezielt die wirklich kritischen Abhängigkeiten zu reduzieren, um für einen möglichen Handelskonflikt vorzusorgen. Dafür ist eine solche detaillierte Analyse der Importabhängigkeiten der erste, dringend notwendig Schritt. Grundsätzlich gilt: Derisking ist Aufgabe der Unternehmen. Doch wenn wir nach genauerer Analyse feststellen sollten, dass die Firmen hier nicht ausreichend handeln, wäre auch die Politik gefragt. Sie könnte zum Beispiel Transparenzpflichten für hohe einseitige Abhängigkeiten einführen. Bei der hohen China-Abhängigkeit von Rohstoffen braucht es den Staat auch für Rohstoffpartnerschaften mit anderen Ländern. Allerdings dürfen wir uns keine Illusionen machen: Abhängigkeiten bei bestimmten Rohstoffen signifikant zu reduzieren, indem man alternative Lieferketten aufbaut, wird viele Jahre dauern. Das wird ein langer Weg. Aber gerade deswegen, ist es so wichtig, die ersten Schritte jetzt zu gehen und dann schnell voranzuschreiten.
Ein anderes Thema, das vielen Menschen Sorgen bereitet, sind chinesische Investitionen in Deutschland, insbesondere in die kritische Infrastruktur. Schützt sich Deutschland in diesem Bereich gut genug?
Die Bundesregierung war in dieser Frage lange sehr zögerlich, das zeigt etwa die Debatte über die Beteiligung des chinesischen Staatskonzerns Cosco an einem Terminal im Hamburger Hafen, die jetzt offenbar vollzogen wird. Mit Blick auf das Stichwort kritische Infrastruktur noch viel relevanter ist aber die große Rolle, die der chinesische Konzern Huawei in unserem 5G-Telekommunikationsnetz spielt. Die EU macht hier immer mehr Druck, dass Deutschland endlich seine sehr zögerliche Haltung aufgibt. Im Einzelfall kann ich das nicht beurteilen, aber es sollte generell gelten: Wenn technisch nicht ausgeschlossen werden kann, dass der chinesische Staat indirekt Einfluss auf unsere kritische Infrastruktur bekommt und dort im Konfliktfall Möglichkeiten zur Sabotage oder Spionage hat, dann müssen solche Investitionen unterbunden werden.
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