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Michael Hüther im Deutschlandfunk Interview 3. Dezember 2009

"Ich würde vermutlich mit Nein stimmen"

Vom notwendigen Sparen keine Spur: Wirtschaftsprofessor Michael Hüther würde an Stelle der Länder im Bundesrat gegen die schwarz-gelben Steuerentlastungen stimmen – von denen nur ein Viertel die gegenwärtige Wirtschaftslage adressierten.

Die Bundesregierung will das Wachstum ankurbeln in Deutschland, heraus also aus der Krise, die Konjunktur nach oben bringen. Das will sie tun durch Steuersenkungen, so wie eben auch im Wahlkampf versprochen. Dass Steuerentlastungen zu den gewünschten Effekten führen, davon sind zumindest FDP und CSU fest überzeugt. Die Bundesländer, eben auch die CDU-geführten, haben allerdings signalisiert: Wir machen da nicht mit. Ungünstige Vorzeichen für die Abstimmung im Bundestag. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz ist also heute Vormittag kurz vor 12 vom Bundestag verabschiedet worden. Es muss jetzt noch in den Bundesrat.

Sprechen wir über ein Schuldenwachstumsgesetz?

Zum Teil ja, denn es muss ja, wenn es seinem Anspruch und seinem Namen gerecht werden will, dort ansetzen, wo die Probleme im Augenblick besonders stark sind, und die Probleme sind besonders stark in der Liquiditätslage der Unternehmen. Wir haben eine anziehende Konjunktur, die Erholung läuft, Unternehmen müssen ihre Lagerbestände wieder erhöhen, wollen lieferfähig sein, brauchen dafür eine Absicherung. Insofern ist das, was im Bereich der Unternehmenssteuer gemacht wird, richtig, hier also solche Steuerlasten wegzunehmen, die ertragsunabhängig wirken und quasi in die Substanz eingreifen. Das ist aber gerade mal ein Viertel der über acht Milliarden Euro, die insgesamt mit diesem Gesetz verbunden sind. Man muss dann schon sehr genau fragen, ob die anderen Teile dem entsprechen, und da kann man sicherlich sehr, sehr berechtigte Zweifel haben.

Reden wir mal über diese Zweifel, die Sie haben. Unternehmen haben wir jetzt abgehakt. Da gibt es noch Familien, da gibt es Erben, da gibt es Hoteliers. Mussten die entlastet werden?

Bei den Familien ist das ja eigentlich in einer Regel definiert. Es ist so, dass das Existenzminimum durch das Kindergeld und den Kinderfreibetrag abgesichert werden soll, und dieses wird angepasst nach einem entsprechenden Bericht über die Entwicklung des Existenzminimums, und das ist im vergangenen Jahr ja auch um zehn Euro erhöht worden. Wir binden 4,6 Milliarden für diesen Bereich Kindergeld und Kinderfreibetrag. Das ist dauerhaft festgelegt, fehlt uns bei künftigen Veränderungen der Steuerstruktur, der Tarifänderungen, die ja auch in Aussicht genommen werden sollen, und hat nicht den erkennbar kurzfristigen Effekt, denn eines muss auch klar sein bei der insgesamt ja zurecht öffentlich diskutierten Situation der öffentlichen Haushalte: Die Defizitentwicklung und die Gefahr bei den Staatsschulden führen dazu, dass die privaten Haushalte, die Bürgerinnen und Bürger, solche Steuerentlastungen letztlich auch als Gefährdung künftiger Finanzlagen sehen, und deswegen fehlt ja die zweite Thematik völlig im bisherigen Politikhandeln der Regierung, nämlich die Frage, wie Konsolidierung organisiert werden soll. Dann wird auch eine Steuersenkung möglicherweise, auch wie sie jetzt gemacht wurde, wirksamer, aber das bleibt völlig im Nebel und deswegen bleibt hier eine hohe Unsicherheit und das ist auch nicht das zentrale Problem.

Konsolidierung war ja nun jahrelang das Stichwort. Auch die meisten Wirtschaftswissenschaftler haben ja immer wieder gesagt, wir müssen von diesen Schulden herunter. Auch der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat das auf seine Fahnen geschrieben. Dann kam die Finanz- und Wirtschaftskrise und das hat alles verändert in vielen, vielen Teilen. Aber haben Sie denn irgendwo erfahren können, ob es überhaupt das Programm "Sparen" gibt?

Nein. Ich habe bisher keine Indikation dafür, außer dass über dieses Thema in dramatisierender Form gesprochen wird. Es wäre schon mal ein erster Schritt, überhaupt mal die Größe des Problems zu beschreiben und zu sagen, in welchem Zeitraum man denn zu Lösungen kommen will. Beides fehlt. Meine Einschätzung ist so, dass wir ganz nüchtern sagen müssen, es dauert zehn Jahre. Es hat auch in den 80er-Jahren zehn Jahre gedauert. Wir haben '81, '82 mit ersten Konsolidierungsschritten begonnen und Ende der 80er-Jahre, vor dem Fall der Mauer, hatten wir einen ausgeglichenen Staatshaushalt, das erste Mal seit Jahrzehnten. Das werden wir realistischerweise jetzt auch wieder so sehen müssen. Wenn man das aber so sagt, dann werden die Dinge auch wieder gestaltbar. Dann muss man auch nicht in Angst und Schrecken fallen, wenn man darüber spricht, sondern dann kann man sehen, das sind Konsolidierungsschritte beim Bund beispielsweise ab 2011 acht Milliarden, in der Größenordnung, die jährlich zu stemmen sind. Das ist nicht außerhalb des Machbaren, das ist auch früher geleistet worden.

Wenn man also eine klare Perspektive hätte, müsste man jetzt zum Beispiel nicht aus welchen Gründen auch immer Hoteliers entlasten?

Ja. Dieses Thema "Entlastung der Hotels", das ist nun wirklich nur regionalpolitisch zu erklären. Ökonomisch können sie das nicht begründen. Wir hören ja auch selbst aus der Branche, dass wir da jetzt nicht große Effekte erzielen. Das ist auch nicht das Krisenthema. Das Krisenthema, noch mal gesagt, liegt in der Breite der Industrie und liegt dort in Liquiditätssituationen, die im Augenblick hohe Insolvenzgefahren und damit auch Belastungen für die Beschäftigung auslösen, und da machen wir viel zu wenig.

Wenn Sie jetzt Ministerpräsident von Schleswig-Holstein wären, würden Sie dann nächste Woche Freitag mit Nein stimmen?

Bei der Finanzlage, die das Land Schleswig-Holstein hat, bei den Bedrohungen, die diese Finanzlage noch aus dem Bereich der Landesbank ja zu stemmen hat, muss man da wirklich um jeden Euro kämpfen und ich kann das gut verstehen. Ich würde vermutlich mit Nein stimmen, auch mit dem Argument, dass aus dem jetzigen Paket dieses Gesetzes nur ein Viertel wirklich die gegenwärtige Wirtschaftslage adressieren.

Dann wären Sie ja ein Koalitionsbrecher?

Na ja, es geht hier nicht um Koalitionsfragen, sondern es geht darum, ob man Verantwortung für das jeweilige Land, für die jeweilige Gebietskörperschaft tragen kann und ob man das konsequent tut, und da muss man auch in Zeiten, wo manches leichtgängig erscheint, unbequem sein können, denn hier geht es ja wirklich um Fragen langfristiger Gestaltung der öffentlichen Haushalte.

Jetzt beschweren wir uns immer wieder über den Föderalismus: Alles ist zu kompliziert, alles dauert viel zu lange und jetzt machen die schon wieder einen Strich durch die Rechnung. Das heißt, man kann doch hier überhaupt keine klare Linie und klare Politik fahren?

Man hätte ja vielleicht mal überlegen können, wie dieses Wachstumsbeschleunigungsgesetz mit seiner inneren Struktur besser den Namen rechtfertigen würde, und ich glaube, es würde auch jeder akzeptieren, auch der Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein, wenn man sagt, hier haben wir ein klares, jetzt notwendiges Behandeln von Problemen, von Krankheitssymptomen, die wir jetzt ganz gezielt behandeln, und die ganz große Frage der Steuerstrukturreform, so wie sie ja eigentlich auch vorgesehen ist von der Koalition, die machen wir zum 1.1.2011, da nehmen wir uns auch die entsprechende Zeit. Das ist aber eine Strukturfrage, die hat mit der jetzigen Krise nichts mehr zu tun, sondern wir müssen jetzt hier ganz konkret ein paar Dinge machen. Das Argument hätte, glaube ich, jeden überzeugt.

Die Länder fordern jetzt, um mitmachen zu können, um mitmachen zu wollen, Kompensation, das heißt finanziellen Ausgleich. Wenn die Bundesregierung jetzt wiederum auf dieses Geschäft eingeht und gibt irgendwo her Geld, dann ist das Ganze doch ein Nullsummenspiel.

Das funktioniert natürlich nicht, und wenn wir eben gehört haben, dass der CDU-Fraktionsvorsitzende VolkerKauder darauf hinweist, dass hier Länder nicht rausgekauft werden, dann ist das sicherlich auch eine richtige Strategie. Auch der Bund kann hier nicht erpressbar sein. Er muss sich im Grunde vielmehr fragen lassen: Hat er das sachlich Richtige getan? Aber Umverteilungen zwischen Bund und Ländern helfen in der gegebenen Situation nicht und eines gilt auch: Die Haushaltsstrukturen der Länder sind in der Regel, abgesehen jetzt mal von so schwierigen Fällen wie Schleswig-Holstein, Bremen und Saarland, wo wir ja schon lange Strukturprobleme haben, nicht so schlecht wie die Struktur des Haushalts beim Bund. Insofern haben die Länder in der Regel durchaus den Spielraum, aber hier gibt es Grenzfälle und diese Grenzfälle sind eben auch benannt worden und die müssen auch damit zurechtkommen.

Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln

Das Interview zum Anhören im Deutschlandfunk

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