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(© Foto: code6d/iStock)
Hans-Peter Klös in den VDMA-Nachrichten Interview 21. November 2016

„Industrie 4.0 verspricht steigende Beschäftigung“

Wie die Digitalisierung den Arbeitsmarkt verändert, erläutert Dr. Hans-Peter Klös, Geschäftsführer des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) im Interview mit dem Magazin des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau.

Industrie 4.0 soll die Produktion effektiver gestalten. Wie läuft dieser Prozess konkret ab?

Industrie 4.0 führt vor allem zu einer Verbesserung von Service­ und Wartungsleistungen, die Abstimmung innerhalb der Wertschöpfungskette wird schlanker gestaltet und gleichzeitig entstehen bessere Outsourcing­Möglichkeiten. Die Frage, was Unternehmen im eigenen Haus oder was sie besser über Vorleistungen machen, stellt sich im Zuge der Digitalisierung noch einmal anders. Darüber hinaus kommt es zu neuen Produktionsformen. Dafür steht Industrie 4.0 im engeren Sinne. Hierzu gehört die stärkere Anpassung des Produkts an die einzelnen Kundenwünsche ebenso wie die Anpassung verschiedener Dienstleistungen. Nicht zuletzt kommt es mithilfe der Digitalisierung zu einer weiteren Automatisierung bei der Steuerung der Produktion.

„Die rein formale Qualifikation schützt nicht vor negativen Beschäftigungseffekten der Digitalisierung.“

Industrie 4.0 wird also vor allem zu einer Steigerung der Produktivität führen?

Das nehmen bereits die Beschäftigten selbst so wahr. Nach Umfragen bejahen Beschäftigte mehrheitlich, dass ihre Arbeitsleistung durch den Einsatz der technologischen Neuerungen steigt. Im Kern lässt sich die Aussage treffen: Je höher die Qualifikation der Beschäftigten, desto eher stimmen sie der Aussage zu, dass mit der Digitalisierung ihre Produktivität steigt. Die höchsten Zustimmungsraten hierzu finden wir in der Fertigungstechnik. Von Beschäftigten im Handel oder im Gesundheitswesen wird das jedoch ganz anders bewertet.

Das zieht die Frage nach sich, ob Industrie 4.0 zu sehr unterschiedlichen Beschäftigungseffekten in unterschiedlichen Berufen und Wirtschaftszweigen führt.

Generell lässt sich schon heute sagen: Überall dort, wo hochkomplexe Tätigkeiten ausgeübt werden, sind die Substitutionspotenziale geringer als in Berufen und Arbeitsgebieten, die weniger komplex sind, die stärker repetitive Tätigkeiten haben und die sich leichter durch „binäre Codes“ ersetzen lassen. Letzteres kann durchaus auch auf Arbeitsbereiche zutreffen, die traditionell als höher qualifiziert gelten etwa auf den Bankensektor. Um es auf den Punkt zu bringen: Die rein formale Qualifikation allein schützt nicht vor negativen Beschäftigungseffekten der Digitalisierung.

Im Hinblick auf die Veränderungen, die sich durch Industrie 4.0 für die Arbeitswelt ergeben, wird den Beschäftigten mehr Flexibilität und Mobilität abverlangt. Gewerkschaftsvertreter sprechen bereits von einer „Entgrenzung“ des Berufs- vom Privatleben. Besteht hier politischer Handlungsbedarf?

Es gibt nach aktuellen Datensätzen bisher keine Hinweise darauf, dass es zu einer strukturellen Zunahme von psychischen Belastungen durch Veränderungsprozesse gekommen ist. Ein Unterschied ist natürlich, ob mobile Arbeit, die im Homeoffice erledigt wird, voll in das Arbeitsverhältnis integriert ist oder noch zu der normalen Arbeitsleistung hinzukommt. Flexibilität und Mobilität geben den Beschäftigten zwar ein hohes Maß an Autonomie. Sie müssen aber auch fähig sein, damit umzugehen. Das ist eine individuelle Lernaufgabe, auch für die Unternehmen. Forderungen nach einem Einschreiten des Gesetzgebers sind jedoch unbegründet. Vielmehr sollte auf die Agenda gehören, ob das deutsche Arbeitszeitgesetz, das sehr strikte Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten vorschreibt, noch in eine digitale Arbeitswelt passt.

Es gibt Befürchtungen, dass es wegen Industrie 4.0 zu einer neuen Massenarbeitslosigkeit kommt. Wie ist Ihre Einschätzung hierzu?

Ein Spiegel­Titel aus dem Jahr 1978 lautete: „Die Computerrevolution – Fort­ schritt macht arbeitslos“. Im September dieses Jahres stand auf dem Titel des gleichen Mediums: „Sie sind entlassen – wie uns Computer und Roboter die Arbeit wegnehmen“. Die Befürchtungen, die wir jetzt bezogen auf Industrie 4.0 hören, ähneln sehr stark jenen, die schon bei früheren Wellen der Automation geäußert wurden und sich durchgängig als unzutreffend erwiesen haben. Noch können wir nicht genau wissen, welche Beschäftigungseffekte Industrie 4.0 im Einzelnen haben wird. Der Blick zurück sollte uns aber optimistisch stimmen, dass sich das Leben in solchen Volkswirtschaften verbessert, die mit technologischen Veränderungen erfolgreich umgehen. Industrie 4.0 verspricht also eine eher steigende als sinkende Beschäftigung, eher steigende Realeinkommen und nicht zuletzt eine wachsende Autonomie jedes einzelnen Beschäftigten.

„Forderungen nach einem Einschreiten des Gesetzgebers sind unbegründet.“

Industrie 4.0 stellt an die Beschäftigten neue Herausforderungen. Wer muss diesen Wandel steuern – die Betriebe, die Tarifpartner, der Gesetzgeber?

Vor allem Weiterbildung ist ein Schlüssel, damit die Beschäftigten sich auf die neuen Herausforderungen einstellen können. Denn eine Veränderung der Erstausbildung braucht vergleichsweise lange, bis sie ihre Wirkung entfaltet. Die Digitalisierung muss aus diesem Grund vor allem mit den vorhandenen Belegschaften umgesetzt werden. Konkret auf Ihre Frage bezogen heißt das: Berufliche Qualifizierung obliegt in erster Linie den Sozialpartnern, den Tarifparteien und den beiden Partnern eines Arbeitsvertrags.

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