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(© Foto: alexsl/iStock)
Hans-Peter Klös im Deutschlandfunk Interview 22. April 2017

„Fundamentalopposition, die durch die Realität kaum zu decken ist”

IW-Geschäftsführer Hans-Peter Klös hält viele Forderungen im Entwurf zum AfD-Wahlprogramm für krude und nicht nachvollziehbar. Es sei eine Mischung aus wirtschaftsliberalen, aber anti-freihändlerischen Positionen mit sozialpopulistischen Elementen. Für nicht nachvollziehbar hält er insbesondere die globalisierungs- und eurokritischen Positionen der AfD, erklärte er im Interview mit dem Deutschlandfunk.

Herr Klös, beginnen wir vielleicht beim Thema Internationales, also Euro, Europäische Union und Globalisierung. Wenn ich das in der Kurzfassung sagen würde, dann lese ich da sehr viel Trump. Was haben Sie da gelesen?

Auffällig ist zunächst, dass das Thema Wirtschaft in dem gesamten Papier auf verschiedene Kapitel – 15 gibt es ja an der Zahl – verstreut ist. Dass sich in der Summe der einzelnen Abschnitte im Kern doch ausmachen lässt: Es gibt eine Mischung aus wirtschaftsliberalen Positionen auf der einen Seite, auf der anderen Seite antifreihändlerische Positionen und auch sozialpopulistische Elemente. Das geht eine interessante, um es so zu sagen, Mischung ein. Was das Thema Internationalisierung anbelangt, da gibt es eine klare Ablehnung beispielsweise von CETA und von TTIP, diesen ja umstrittenen bilateralen Handelsabkommen. Die Grundierung ist insgesamt skeptisch gegenüber dem Freihandel, weil die damit verbundene Globalisierung auch zu, sagen wir, Ängsten in der Bevölkerung führt. So wird es jedenfalls von der AfD auch interpretiert. Und das macht aus einer ökonomischen Perspektive doch ein gewisses Nachdenken, warum die AfD zu dieser etwas globalisierungskritischen Position kommt. Das können wir nicht nachvollziehen.

„Die eurokritische Position ist ökonomisch nachteilig”

Was ist Ihre Wertung im Wesentlichen? Ich habe es gesagt, bei Europa, bei der EU, aber auch beim Euro ist man nicht nur skeptisch. Man will eher austreten, sich abschotten?

Ja, der Austritt Deutschlands aus dem Euro wird ja in einigen Passagen im Papier gefordert. Eine Position, die nicht nachvollziehbar ist und die noch mal auch die Genese der AfD ein bisschen deutlich macht. Sie war ja im Kern zunächst einmal eine Anti-Euro-Partei, so ist sie damals auch von Professoren auf den Weg gebracht worden. Dann kam das Zuwanderungsthema hinzu, aber die eurokritische Position, die die AfD bis zum heutigen Tage, bis hin zur Forderung des Austritts formuliert, die ist nicht nachzuvollziehen, die ist ökonomisch nachteilig, die ist ökonomisch zu kritisieren. Und damit wird die AfD mit Sicherheit nicht sozusagen Rechnung tragen den Veränderungen, die wir ja mittlerweile auch haben in der europäischen Statik. Was ein Thema ist, ist die Frage der EZB-Zinspolitik, die auch wir gelegentlich mit Blick darauf kritisieren, dass die Zinswende allmählich kommen muss, dass wir diese Niedrigzinspolitik mit ihren negativen Effekten durchaus sehen. Aber es gibt auch positive Effekte der Niedrigzinspolitik der EZB. Die Frage der Staatsverschuldung hat sich günstig dadurch entwickelt, und auch die Frage der Konkurrenzfähigkeit des Exportmodells Deutschlands ist dadurch sicherlich noch mal unterstützt worden.

Kommen wir auf ein anderes Kapitel, Stichwort Sozialpolitik. Auch da versuche ich eine Kurzfassung: Da entstehen im AfD-Programm viele neue Ansprüche, das hat aber dann weniger mit den bisherigen Modellen der Sozialversicherung zu tun. Kann man das so zusammenfassen?

Ja, es gibt zum Beispiel – wie würde man dazu sagen – krude Forderungen nach einer Begründung von Sozialversicherungsansprüchen durch Familienarbeit, also dass man quasi eine Abkehr vom Prinzip der Sozialversicherungsgrundsätze macht, dass man längere Ansprüche von Eltern auf Arbeitslosengeld-I-Bezug macht, dass man generell überhaupt stärkere Arbeitslosengeldversicherungsleistungen fordert. Das geht gegen die Statik einer Arbeitslosenversicherung. Das sind versicherungsfremde Leistungen, die gehören da nicht hin. Das sind etwas merkwürdige Forderungen. Insgesamt hat das Thema Rente einen gewissen Schwerpunkt im Programm der AfD. Dass sie über eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit nachdenken müssen, das ist evident, das tun wir auch im Institut. Dass man das aber tun muss mit versicherungsfremden Leistungen, das sehen wir nicht.

Insgesamt steht ja, glaube ich, drin, 45 Jahre muss man arbeiten, oder andersherum, es wird positiv formuliert: Wer 45 Jahre gearbeitet hat, kann aufhören. Das ist natürlich für diejenigen von Vorteil, die früh angefangen haben. Bei anderen heißt es dann, bis 70, 75 im Zweifel.

Genau. Ich sagte ja, das Thema Verlängerung der Lebensarbeitszeit ist eines, was auf der Agenda nach oben gehört. Wir haben steigende Lebenserwartungen, dem muss auch eine armutsfeste Rentenpolitik dadurch folgen, dass wir längere Lebensarbeitszeiten haben. In anderer Weise ist das Rentensystem auch nicht zu stabilisieren. Das ist eine mathematische Überlegung schlicht und einfach. Dem haben wir ja durch die Rente mit 63 sozusagen eine kleine Abfuhr erteilt, was wir außerordentlich bedauern, was sich auch im Arbeitsmarkt schon negativ niederschlägt, dass es eine hohe Zahl von Inanspruchnahmen dieser Rente mit 63 gibt, was dem Trend einer längeren Arbeitszeit zuwiderläuft und was auch mit Blick auf die Fachkräftesicherung in Deutschland ein nachteiliger Effekt ist.

„Abgabenbremse ist ein wichtiger Hinweis”

Kommen wir noch mal zu einem weiteren Punkt: Steuerpolitik. Mit 40 Prozent will man eine Abgabenbremse, das werden Sie wahrscheinlich eher positiv beurteilen. Die Frage ist natürlich, wo will man sparen, und wo will die AfD sparen? Denn wenn man eine Abgabengrenze einführt, heißt das ja in der Regel, man muss auf der anderen Seite irgendwas weglassen. Wir haben gerade ein paar Mal darüber gesprochen, dass neue Leistungen kommen. Passt das zusammen?

Ich hatte eben auch darauf hingewiesen, dass wir durch die niedrigen Zinsen eine deutliche Entlastung der öffentlichen Haushalte für den Zinsdienst beispielsweise haben. Was wir kritisieren und auch beklagen, ist, dass sich auf der Ausgabenseite der öffentlichen Haushalte die steigenden Steuereinnahmen, die wir haben – wir haben ein Allzeithoch bei den Steuereinnahmen auf der einen Seite, auch die niedrige Zinsbelastung nicht in einem Anstieg der Investitionen bisher niedergeschlagen hat. Das ist der eigentlich entscheidende Punkt. Insoweit ist die Abgabenbremse, die die AfD nennt, ein wichtiger Hinweis. Auch wir sagen, die Abgaben-, die Sozialabgabenbelastung, die Abgabenbelastung insgesamt von knapp 40 Prozent darf auf gar keinen Fall weiter steigen. Dass man das grundgesetzlich festschreibt, das halte ich nicht für tragfähig. Wir haben eine Schuldenbremse, das ist was anderes als eine Abgabenbremse. Aber dass man auf der Einnahmenseite auf eine Deckelung sozusagen der Einnahmenseite der öffentlichen Haushalte achtet und gleichzeitig dann auch schaut, was passiert auf der Ausgabenseite, also Vorrang der Investitionen für die Zukunftssicherung mit Blick auf eine demografisch gesehen älter werdende Bevölkerung, das ist hoch notwendig. Und deswegen wird auch ein Schwerpunkt der kommenden Legislatur sicherlich darauf zu liegen haben, wie wir auf der Ausgabenseite der öffentlichen Haushalte, die gut finanziert sind, wo wir einen frühen Zugriff der Progression haben, wo wir bereits mittlere Einkommen früh in einen großen Progressionszugriff, eine große Abgabenbelastung hineinbringen, wie wir auf der Ausgabenseite der öffentlichen Haushalte stärker investiv fahren, stärker zukunftssichernd fahren und die Einnahmenseite tatsächlich mit einer Bremswirkung ausstatten.

Das wäre jetzt die IW-Position. Meine Frage war, was findet sich davon wieder in der AfD-Programmatik? Finden Sie genau diesen Konnex, den Sie da gerade aufmachen?

Den sehe ich nicht. Ich sehe nur auf der Einnahmenseite den Hinweis auf die Abgabenbremse, von dem ich sagte, dass das grundgesetzlich zu verankern definitiv schwierig ist und dass der eine andere Qualität hat als die Schuldenbremse, die es ja nun zum Glück auch schon gibt.

Diskrepanz zwischen Wahlprogramm und Wählerstruktur

Kommen wir noch zu einem letzten Punkt, Stichwort Sozialpartnerschaft. Die Beobachtung ist, dass gelegentlich aus AfD-Kreisen sehr rüde mit zumindest den Gewerkschaften als einem Teil der Sozialpartner umgegangen wird. Finden Sie solche Hinweise auch im Programm?

Das Thema Sozialpartnerschaft – vielleicht habe ich nicht gründlich genug gelesen, aber finde ich, als Stichwort, kommt nicht vor. Generell das Thema, der Hinweis darauf, dass das deutsche Modell, sage ich mal, mit der Sozialpartnerschaft sehr gut gefahren ist, den finde ich an keiner Stelle im Programm. Das halte ich für eine Fehlstelle auch im Programm, denn es gehört ja auch zur Würdigung dazu, dass das Land ökonomisch gut dasteht, dass wir eine auch hoch verantwortliche Partnerschaft haben, die dazu beigetragen hat, dass das Land ökonomisch gut dasteht, dass wir gut aus der Krise 2008, 2009 gekommen sind. All diese Hinweise fehlen, und der Einstieg in das AfD-Programm, "Wiederherstellung der Demokratie in Deutschland", so ist ja das Kapitel eins überschrieben, ist dann schon eine, sagen wir, eine kühne Forderung, und das wird nachher, im Folgenden überhaupt nicht eingelöst, dass da auch die Sozialpartnerschaft ein Teil der demokratischen Verfasstheit des Landes ist.

Wenn Sie einen Strich drunterziehen, insgesamt – diejenigen, die dieses Programm geschrieben haben, sehen die diese Bundesrepublik Deutschland so, wie sie ist, oder eben nicht? Da habe ich eben Zweifel gespürt bei Ihren Aussagen.

Also der Einstieg jedenfalls macht eine Fundamentalopposition deutlich, die mit der Realität meines Erachtens, durch die Realität kaum zu decken ist. Das Programm insgesamt ist eine – lassen Sie es mich so formulieren – eine Mischung aus nationalkonservativen, Zuwanderung ablehnenden, wirtschaftsliberalen, aber antifreihändlerischen Positionen mit sozialpopulistischen Elementen. Und das ist auch demoskopisch, politökonomisch ein interessanter Befund, wenn man sich die Wählerstruktur der AfD anschaut, was wir auch getan haben. Die AfD gehört in der Mehrzahl ihrer Wähler und Anhänger definitiv nicht zu dem, sagen wir, Prekariat oder den abgehängten Teilen der Bevölkerung. Sie verdienen überdurchschnittlich und sind im Kern auch überdurchschnittlich gut gebildet. Insoweit ist dieser Dissens oder diese markante Diskrepanz schon augenfällig.

Zum Interview zum Anhören auf deutschlandfunk.de

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