Die IG Metall hat 4,8 Prozent mehr Lohn für 3,8 Millionen Beschäftigte herausgehandelt. Das sei durchaus eine Trendwende, sagt IW-Ökonom Hagen Lesch im Interview mit focus.de.

Üppige Lohnerhöhung für die Metaller: Können wir uns das leisten?
Die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie sollen in den nächsten 21 Monaten insgesamt 4,8 Prozent mehr Geld bekommen. Ist das ein außergewöhnlich hoher Tarifabschluss?
Nein. Der Tarifabschluss liegt auf seine gesamte Laufzeit gesehen absolut im Rahmen. Die IG Metall hatte ja ursprünglich fünf Prozent bei einer Laufzeit von zwölf Monaten gefordert. Der lohnpolitische Verteilungsspielraum ist derzeit aber viel geringer. Dem trägt der Abschluss Rechnung.
Wäre aber nicht noch eine größere Zurückhaltung sinnvoll gewesen – auch angesichts des schwachen Wirtschaftswachstums?
Das hat die hohe Lohnforderung verhindert. Immerhin: Mit der Einigung wird der zuletzt sehr starke Anstieg der Lohnstückkosten gebremst. Zwischen 2012 und 2015 summierten sich die Tariflohnsteigerungen in der Metallindustrie auf 14 Prozent. Dieser Abschluss stellt mit einer Laufzeitbelastung von im Schnitt 2,45 Prozent durchaus eine Trendwende dar. Wichtig ist, dass man die Wettbewerbsfähigkeit aber auch nach 2017 im Auge behält.
Sind die Gewerkschaften plötzlich zahm geworden?
So würde ich das nicht sagen. Diese Einigung stellt einen echten Kompromiss dar. Man darf nicht vergessen, dass die Inflation gerade sehr niedrig ist. Das Lohnplus ist also durchaus üppig. Allerdings fiel der Zuwachs nach Abzug der Inflation im vergangenen Jahr deutlich höher aus. Das Bemerkenswerte: Bei der Einigung wurden sämtliche Stellschrauben des Tarifsystems genutzt. Nullmonate, eine Einmalzahlung, eine lange Laufzeit und ganz entscheidend: die Differenzierung. Damit wurde eine Einigung erreicht, mit der beide Seiten leben können.
Was heißt das im Einzelnen?
Mit Hilfe der Nullmonate wird ganz einfach die kalenderjährliche Belastung der Unternehmen gemildert, da der Tarifvertrag mit der ersten Stufe der Lohnerhöhung um 2,8 Prozent erst ab dem 1. Juli in Kraft tritt. Auch die lange Laufzeit ist für die Betriebe ein sehr positives Signal. Durch mögliche Sonderregeln für wirtschaftlich schwache Unternehmen wird der Tarifvertrag zudem deutlich flexibler. Sie können die zweite Erhöhung um bis zu drei Monate verschieben. Das ist ein wichtiges Signal an ertragsschwächere Unternehmen. Man will ja verhindern, dass solche Firmen aus dem Flächentarifvertrag ausscheiden, weil sie ihn sich nicht leisten können.
Ist der Tarifabschluss aus Nordrhein-Westfalen also ein Segen für die deutsche Metall- und Elektroindustrie?
Die Einigung gab es natürlich nicht zum Nulltarif. Auf die Unternehmen kommen durchaus Mehrkosten zu. Da muss man abwarten, wie die einzelnen Unternehmen sie auffangen können. Wir haben ja nicht gerade einen Investitionsboom in Deutschland und die Metallindustrie hat wegen des starken Wettbewerbs kaum die Möglichkeit, die Preise zu erhöhen. Durch die Euroabwertung hatten die Unternehmen letztes Jahr etwas Spielraum, um die Kosten abzufangen. Was sie nicht weitergeben können geht natürlich zu Lasten der Erträge. Da wird man abwarten müssen.
Was bedeutet der Abschluss für anderen Branchen, die ihre Verhandlungen dieses Jahr noch vor sich haben?
Da gibt es kaum Symbolwirkung. Die Tarifverträge der einzelnen Branchen unterscheiden sich stark, auch was Laufzeiten und Höhe angeht. Oft verhandeln sie ja nicht mal im selben Jahr. Bei den Verhandlungen der Chemiebranche, die dieses Jahr noch kommt, wird die konjunkturelle Lage der Branche sicher eine viel größere Rolle spielen, als der Abschluss der Metaller. Das war der zweite große Tarifabschluss dieses Jahr, mehr aber auch nicht.
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