Fest steht: Die Beiträge zur Pflegeversicherung werden steigen. Unklar ist jedoch, welches Finanzierungsmodell mit der anstehenden Reform kommt. Im Interview erklärt Jochen Pimpertz vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln, die aktuelle Situation.
"Ein Kuhhandel Rente gegen Pflege wäre fatal"
Herr Pimpertz, wie lange reicht das Geld in der gesetzlichen Pflegeversicherung?
Ich denke, dass es beim jetzigen Leistungsrecht bis zum Jahr 2014 reichen wird. Dies hat zumindest die Bundesregierung im Jahr 2008 versichert, als sie den Beitragssatz zur gesetzlichen Pflegeversicherung von 1,7 auf 1,95 Prozent erhöht hat.
Wie viel gibt die Pflegeversicherung derzeit aus?
Im Jahr 2010 bekamen in der gesetzlichen Versicherung 2,3 Millionen Pflegebedürftige Leistungen in Höhe von 21,5 Milliarden Euro. Wegen der alternden Gesellschaft dürften diese Zahlen in den nächsten Jahren deutlich in die Höhe schnellen. Im Jahr 2030 könnten es laut Statistischem Bundesamt schon zwischen 3,0 und 3,4 Millionen Euro sein und 2050 zwischen 3,8 und 4,5 Millionen Euro. Gleichzeitig sinkt die Zahl derer, die im erwerbsfähigen Alter sind und die Hauptfinanzierungslast tragen.
Gesundheitsminister Daniel Bahr will noch im September ein Eckpunkte-Papier zur Pflegereform vorstellen. Dabei will er auch die Leistungen erweitern. Ist das überhaupt zu finanzieren?
Die Finanzierung wird in jedem Fall schwierig. Fest steht schon jetzt, dass 2012 die Sätze für die ambulante Pflege leicht erhöht werden. Ab 2015 sollen die Leistungen dann an die Preissteigerungen angepasst werden. Aktuell wird zudem überlegt, wie zukünftig auch Demenzkranke versorgt werden können. Wenn die Beiträge nicht erheblich steigen sollen, wird das ohne Kürzungen an anderer Stelle nicht gehen. Manch einer fordert deshalb schon Karenzzeiten oder Kürzungen in der Pflegestufe I.
Sehen Sie in der vieldiskutierten kapitalgedeckten Zusatzversicherung, wie sie auch der FDP-Politiker Bahr vorschlägt, die Lösung des Finanzierungsproblems?
Ja. Denn wir müssen nicht nur die Leistungen für Demenzkranke finanzieren, sondern auch die Folgen des demografischen Wandels in den Griff bekommen. Die ergänzende kapitalgedeckte Zusatzversicherung kann die alterungsbedingte Finanzierungslücke in der Pflegeversicherung ausgleichen. Nur so lassen sich erhebliche Beitragssteigerungen und deren negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung vermeiden, lässt sich das Leistungsniveau langfristig sichern und vor allem steigende Lasten für nachfolgende Generationen werden begrenzt. Konkret bedeutet dies, dass – ob jung oder alt – jeder Einzelne monatlich eine Prämie in eine private Pflegezusatzversicherung zusätzlich einzahlt.
CSU-Chef Seehofer und andere haben sich ausdrücklich dagegen ausgesprochen. Wie sehen Sie die Chancen der Durchsetzbarkeit?
Fest steht, dass sich die Koalitionäre im Koalitionsvertrag für eine individuelle kaptitalgedeckte Zusatzversicherung ausgesprochen haben. Stattdessen eine gemeinschaftliche Rücklage unter dem Dach der gesetzlichen Pflegeversicherung zu organisieren, halte ich für nicht geeignet. Denn dann müssten nicht nur schon heute die Beiträge erhöht werden. Auch wäre eine solche Rücklage je nach Kassenlage vor Zugriffen nicht gefeit. Es wird sich zeigen, wie das Kräftemessen in Berlin ausgehen wird. Ich kann mir aber kaum vorstellen, dass die FDP auch hier nachgeben wird.
Wo sehen Sie den Beitragssatz in zwei Jahren?
Wenn es zur kapitalgedeckten Zusatzversicherung kommt, kann der Beitragssatz wohl bei 2 Prozent annähernd konstant gehalten werden. Fatal wäre ein Kuhhandel Rente gegen Pflege; wenn also Beitragssenkungen in der Renten durch höhere Beiträge in der Pflegeversicherung aufgezehrt würden, ohne die Weichen für eine dauerhaft tragfähige Finanzierung zu stellen.
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