1. Home
  2. Presse
  3. "Der gesetzliche Mindestlohn würde uns weniger Bürokratie bringen"
Zeige Bild in Lightbox "Der gesetzliche Mindestlohn würde uns weniger Bürokratie bringen"
(© Foto: Constantinos - Fotolia)
Hagen Lesch im Deutschlandfunk Interview 25. November 2010

"Der gesetzliche Mindestlohn würde uns weniger Bürokratie bringen"

Die bevorstehende Wahlfreiheit für alle Arbeitnehmer in der EU hat zu einem Umdenken geführt, sagt Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln im Interview mit dem Deutschlandfunk. Die Arbeitgeber wollten jetzt die Zeitarbeit mit einem tariflichen Mindestlohn vor Lohn-Dumping schützen.

Ist es so, dass die Arbeitgeber überhaupt nichts mehr gegen einen Mindestlohn in der Zeitarbeitsbranche haben?

Nein. Die Arbeitgeber haben ihre Position geändert. Sie hatten früher das Problem, dass es zwei Tarifverträge gab, einen zwischen einer DGB-Tarifgemeinschaft und einem Arbeitgeberverband und einen konkurrierenden zwischen christlichen Gewerkschaften und einem Arbeitgeberverband, und da hatte man immer die Sorge, man kann nicht einen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklären, weil man dann sozusagen der christlichen Gewerkschaft das Recht nimmt, einen Tarifvertrag schließen zu dürfen. Das spielt offenbar heute keine Rolle mehr. Das Problem, das sozialpolitische Problem, dass möglicherweise tatsächlich gerade bei einfachen Arbeiten hier eben Wanderungen aus Osteuropa kommen und dann Dumping-Löhne quasi hier entstehen in der Zeitarbeit über das Maß hinaus, was wir jetzt schon haben, das hat dann offensichtlich zum Umdenken geführt, und jetzt ziehen die Arbeitgeber eigentlich an einem Strang und wollen die Zeitarbeit mit einem tariflichen Mindestlohn sozusagen vor Lohn-Dumping schützen.

Wenn dem so ist, hat das die FDP noch nicht mitbekommen, diesen Schwenk bei den Arbeitgebern?

Ja nun, die FDP ist ja nicht dazu da, um den Willen von Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden umzusetzen. Die Partei muss ja schon das Recht haben, eine eigene Meinung zu bilden. Und vor allen Dingen, man muss ja nun sagen: Die FDP geht ja eigentlich weiter als das, was jetzt diskutiert wird von den Arbeitgebern, denn die FDP will das "Equal Pay" haben. Das heißt, ein Zeitarbeitnehmer soll das verdienen, was seine Kollegen im Entleihbetrieb bekommen. Das ist aus Sicht auch der Gewerkschaften nur gerecht.

Das müssen Sie noch mal kurz erklären. Die FDP ist dafür, dass Zeitarbeiter und unbefristet Beschäftigte, die es ja in einem Betrieb nebeneinander gibt, bis auf die Stelle hinterm Komma das gleiche Geld bekommen sollen?

Ja. Das soll nach einer gewissen Zeit geschehen. Das Argument ist, dass. wenn sie einen länger ausleihen, der dann auch eine vergleichbare Produktivität hat, und bei gleicher Arbeit soll dann auch der gleiche Lohn gelten. Das ist die Position. In der Phase der Einarbeitung muss es eine Differenzierung geben, aber nachher nicht, und das ist etwas, das weit über einen eigenen Tarifvertrag für Zeitarbeitskräfte hinausgeht, der dann immer noch deutlich niedriger ist, beispielsweise in der Metallindustrie, als das, was ein Metallbetrieb zahlt.

Aber wenn die FDP für "Equal Pay" ist, für die gleiche Bezahlung, wo liegt dann das Problem noch mit den Mindestlöhnen für Zeitarbeiter?

Das Problem ist, einen tariflichen Mindestlohn für die Zeitarbeit einzuführen. Der läge ja bei einer Größenordnung von deutlich unter zehn Euro, und wir haben natürlich viele Branchen, in denen die unteren Löhne höher sind. Das heißt, wenn ein Metallbetrieb einen Zeitarbeitnehmer ausleiht, dann kann er den immer noch deutlich günstiger beschäftigen, als wenn er den normalen Metalltarif für ihn bezahlen will.

Dann müssten ja die Gewerkschaften gegen Mindestlöhne sein, was sie ja nicht sind?

Nein. Die Gewerkschaften haben da zunächst mal kein Kalkül. Die Gewerkschaften wollen "Equal Pay". Das Problem ist doch, dass sich ein Metallbetrieb die Frage stellen muss, wenn ich dasselbe für den Zeitarbeiter zahle wie für den Stammbelegschafter, lohnt sich dann die Zeitarbeit noch, weil zum Lohn kommt ja eine Verleihgebühr hinzu, und in der Regel kommt noch mal der Lohnsatz oben drauf. Das heißt, ich zahle das doppelte des Lohnsatzes. Dann stellt sich in der Tat die Frage, wie teuer ist Zeitarbeit und nutze ich dann wirklich noch Zeitarbeit, um flexibel Aufträge abzufangen, oder muss ich dann tatsächlich nein sagen, wenn ich mehr Aufträge habe, dann kann ich die gar nicht annehmen, weil ich sie nur zu teuer letztlich abwickeln kann.

Wie gerechtfertigt ist das, Herr Lesch, dass die Leihfirmen das Doppelte kassieren, also acht Euro für ihren Arbeitnehmer, den sie einer Firma überlassen, und noch mal acht Euro immer für jede Stunde, für jede Woche, für jeden Monat oben drauf als Verleihgebühr?

Das hört sich zunächst nach Wucher an. Ich verstehe schon Ihre Anspielung. Aber man muss sehen, dass es in der Zeitarbeit ja auch entleihfreie Zeiten gibt. Das heißt, sie stellen eine Zeitarbeitskraft an in einem Zeitarbeitsunternehmen, verleihen den, tragen aber auch das Risiko, dass er nach einem halben Jahr beispielsweise nicht mehr verliehen wird und sie ihn vielleicht auch ein oder zwei Monate parken müssen und dann auch weiter zahlen. Wir wissen aus der Statistik, dass in der Zeitarbeit zwei Drittel aller Zeitarbeitnehmer unbefristet sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, also nur ein Drittel hat quasi befristete Verträge, und das zeigt, dass die Zeitarbeitsfirmen sich gegen dieses Risiko, verleihfreie Zeiten zu haben, letztlich absichern müssen. Dazu brauchen sie einfach eine Verleihgebühr, quasi eine Spanne, die dann quasi auf ihre eigentlichen Kosten oben drauf kommt.

Was ist denn bei all dem Ihre Meinung? Brauchen wir für Leiharbeiter einen Mindestlohn bis zum 1. Mai 2011, wenn die Freizügigkeit in ganz Europa und auch in Deutschland gilt?

Wenn ich in der Logik des Entsendegesetzes denke, das wir seit 1996 haben, ursprünglich in der Bauwirtschaft eingeführt, dann muss ich sagen: ja, weil wir den Bau geschützt haben vor ausländischer sogenannter Billiglohnkonkurrenz, wir haben es im Gebäudereinigerhandwerk vor einigen Jahren getan, und da ist es in der Logik dieses Ansatzes auch sinnvoll, dass man in der Zeitarbeit zu diesem Mittel schreitet, weil in der Zeitarbeit ja auch recht einfache Qualifikationen teilweise sozusagen den Lohnwettbewerb entfalten können, und es ist wirklich nicht auszuschließen, dass dann in der Tat der Lohndruck nach unten geht, und wir wissen ja, dass in der Zeitarbeit jetzt schon nicht so gut bezahlt wird im Bereich der einfachen Arbeit.

Die Zeitarbeit erstreckt sich über alle Branchen. Sollte man dann nicht sagen, dann machen wir doch gleich einen gesetzlichen Mindestlohn?

Dann scheren sie natürlich alles über einen Kamm. Der gesetzliche Mindestlohn ist politisch in der gegenwärtigen Situation nicht gewollt, das muss man einfach sehen. Die Oppositionsparteien wollen ihn, die anderen nicht. Der gesetzliche Mindestlohn würde uns tatsächlich weniger Bürokratie bringen, weil wir ja jetzt schon eine ganze Reihe von Branchenmindestlöhnen haben, nicht nur in der Zeitarbeit, die recht unterschiedlich sind, und keiner weiß mehr im Endeffekt, was gerecht ist. Was ist denn jetzt wirklich der anständige, die anständige Lohnuntergrenze?

Und einen gesetzlichen Mindestlohn kann man nicht differenzieren? Der ist pauschal gleich?

Nein, der wäre allgemein. Das haben ja auch die anderen Länder, und das wissen wir gerade von Großbritannien, dass sich da auch so eine Lohnuntergrenze dann letztlich als faire soziale Norm herausbildet, die man dann auch zahlt als Arbeitgeber, und dann muss man auch nicht aufwendige Kontrollen haben, wie das jetzt im Moment bei uns der Fall ist. Es sind ja mehrere Tausend aus der Zollbehörde, die kontrollieren müssen, ob diese Mindestlöhne am Bau überhaupt eingehalten werden. Hätte man einen allgemeinen Mindestlohn, wäre die Akzeptanz auch auf Arbeitgeberseite, wenn er denn fair festgelegt wäre, größer, das auch freiwillig einzuhalten.

Das Interview zum Anhören

Mehr zum Thema

Artikel lesen
Hohe Lohnforderungen sind gefährlich: Die Löhne sind in den vergangenen Jahren deutlich stärker gestiegen als die Produktivität.
Hagen Lesch Pressemitteilung 18. April 2024

Tarifverhandlungen 2024: Es droht eine höhere Inflation

Im Frühjahr stehen weitere Tarifverhandlungen in der Chemie- und Baubranche sowie dem Bankwesen an. Beharren die Gewerkschaften auf ihre hohen Forderungen, könnte dies auch die Inflation wieder hochtreiben. Davor warnt eine neue Studie des Instituts der ...

IW

Artikel lesen
Hagen Lesch IW-Trends Nr. 2 18. April 2024

Die deutsche Lohnpolitik zwischen Inflation und Stagnation: Drohen Zielkonflikte mit der Geldpolitik?

Nach der Wirtschafts- und Finanzkrise setzte ein Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt ein, der Spielraum für eine vergleichsweise expansive Lohnpolitik eröffnete.

IW

Mehr zum Thema

Inhaltselement mit der ID 8880