1. Home
  2. Presse
  3. Umfrage unter Wirtschaftsverbänden: „Zurückkehren zu einer Finanz- und Innovationskraft”
Zeige Bild in Lightbox
IW-Direktor Michael Hüther
Michael Hüther im Deutschlandfunk Interview 1. Juli 2020

Umfrage unter Wirtschaftsverbänden: „Zurückkehren zu einer Finanz- und Innovationskraft”

Der gleichmäßige Schock, den die Corona-Krise in der Wirtschaft auslöste, werde nun immer differenzierter, sagte IW-Direktor Michael Hüther im Deutschlandfunk. So sei der Produktionsrückgang zum Beispiel in der Chemiebranche eher überschaubar. Gleichwohl seien breit wirkende Konjunkturprogramme nötig.

Zwischen sechs und sieben Prozent wird die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr wohl schrumpfen, das ist der Korridor, in dem sich die meisten Konjunkturprognosen bewegen, so auch die jüngste des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Wie aber sieht die Lage der einzelnen Branchen aus, das hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer Umfrage nachgefragt bei Branchenverbänden. Ergebnis: Die Wirtschaft rechnet nicht nur mit einer schwierigen zweiten Jahreshälfte in diesem Jahr, sondern blickt auch oft pessimistisch auf 2021. Darüber konnte ich vor dieser Sendung mit Michael Hüther sprechen, dem Direktor des IW, und ich habe ihn gefragt, die grobe Richtung war erwartbar, was aber war für Sie an den Ergebnissen noch überraschend?

Ja, die Überraschungen liegen wie immer im Detail. Wenn man sich das nach Branchen anschaut, dann sieht man beispielsweise bei den Industriebranchen, bei denen man ja vermuten würde, dass sie eigentlich ein ähnliches Profil erleben, doch deutliche Unterschiede: Automobilbranche, den massivsten Einbruch in diesem Jahr und auch dadurch aber durchaus kräftige Erwartung für das nächste Jahr beim Maschinenbau weniger als halb so stark und bei der Chemie eher überschaubar mit einem Produktionseinbruch gegenüber Vorjahr von zehn Prozent.

Wir sehen, dass der symmetrische Schock, der ja durch diese Corona-Krise verursacht war, mit der Auflösung des Lockdowns und mit der Öffnung und der Reaktivierung des wirtschaftlichen Handelns immer asymmetrischer, immer differenzierter wird.

„Es ist ein massiver Strukturwandelprozess”

Wenn die Lage so differenziert ist, ist dann die Antwort der Bundesregierung, nämlich ein Konjunkturpaket, das mit einer kurzfristigen Mehrwertsteuersenkung ja eigentlich sehr breit ansetzt, nicht vielleicht unzureichend?

Na ja, es ist ja nicht nur die Mehrwertsteuererhöhung. Konjunkturprogramme sollen ja immer schnell wirken, und sie müssen deshalb befristet sein, sie müssen zur rechten Zeit kommen, und sie müssen einigermaßen zielgenau sein. Zur rechten Zeit ist die Politik in jedem Fall unterwegs, denn unsere Befragungen zeigen auch, dass die Angebotsprobleme, also verzögerte Lieferungen und damit Produktionsausfälle, Einsatz von Beschäftigten, Grenzschließung und so weiter, einfach an Bedeutung deutlich verloren haben, und nach vorne getreten ist die Nachfrageschwäche.

Also ist man da an der richtigen Stelle unterwegs. Dann muss man auch breit wirken. Das ist ja neben der Mehrwertsteuersenkung auch bei konsumstarken Haushalten die Wirksamkeit des Familienbonus, die Absenkung der EEG-Umlage, die dort kräftig ist, und wir dürfen nicht vergessen, die Sozialgarantie, die Sozialbeiträge bleiben in diesem nächsten Jahr stabil. Das betrifft sowohl die Beschäftigten wie auch die Arbeitgeber und gibt dort eine Erwartungssicherheit. Das läuft jetzt. Das ist genau jetzt die Aufgabe.

Daneben ist in diesem Programm ja auch ein Wachstumsthema enthalten, das dann auf die strukturellen Fragen antwortet, auch die Frage, mit welchem Unternehmenssteuersystem, das man prüfen will, geht man am besten in die Zukunft. Also es treten dann wieder – das ist so meine Perspektive – Ende 2020 auf 2021 eher angebotsseitige Themen in den Vordergrund.

Nichtsdestoweniger ist der Maßstab für viele Konjunkturprognosen die Rückkehr zu Wachstumsraten vor Corona. Bis dahin dauert es noch, das prognostizieren Sie. Wie wünschenswert ist es denn überhaupt angesichts eines Wirtschaftsmodells, das ja auch die Ressourcen des Planeten deutlich überstrapaziert, dass wir jetzt zu diesem Status zurückkehren?

Na ja, wir müssen ja zurückkehren zu einer Finanz- und Innovationskraft. Das ist ja der eigentliche tiefere Sinn. Also wenn wir fragen, warum es wieder zu wirtschaftlicher Dynamik kommen soll, dann hat das ja damit zu tun, dass daraus die Erträge und die Finanzmittel verfügbar sind, die wir in diesem Innovations- und Strukturwandelprozess benötigen. Es ist ein massiver Strukturwandelprozess, für den sehr, sehr viel Geld notwendig ist. Die Dekarbonisierung, die digitale Transformation, das wird ja nicht getan mit weniger Wirtschaft, sondern nur, indem wir aus den wirtschaftlichen Ergebnissen der Jetztzeit andere Strukturen entwickeln.

Dafür brauchen wir in erheblichem Rahmen genau diese Finanzmittel. Das wird man nicht über den Staat regeln können. Der muss da gute Rahmenbedingungen, verlässliche und klare Rahmenbedingungen setzen, aber am Ende muss es geleistet werden in den Unternehmen. Insofern jetzt abrupt so zu glauben, nicht wahr, eine Art gesetzlich verordnete Wachstumsrücknahme wäre ein Modell für den Übergang, das geht schon deshalb nicht oder ist deshalb sehr fragwürdig, weil es ja nur mit Freiheitsverlust geht. Wir brauchen handlungsfähige Einheiten, um genau diese Erneuerung des Landes dann auch weiter zu betreiben und auch noch forcieren zu können. Ohne Mittel geht es nicht.

„Wir sind ja in einem permanenten Wandel”

Aber im reellen Leben sind ja jetzt Konjunktur und das Handeln von Unternehmen und Klimawandel keine zwei getrennten Vorgänge.

Ja, aber noch mal: Konjunkturpolitik hat ein bestimmtes Ziel, den Schwung wieder ins System zu bringen, und dieser Schwung ist ja nicht unter andere Rahmenbedingungen gesetzt als vorher. Also es wird ja gelegentlich so getan, als hätten wir vorher nur Unsinn gemacht, und jetzt hätten wir durch die Krise auf einmal den Eindruck, man könnte es auch anders machen. Das stimmt ja nicht, sondern wir sind ja in einem permanenten Wandel, und die Politik ist in der Verantwortung, die Rahmenbedingungen zu setzen. Da ist noch manches nachzujustieren, vor allen Dingen ist es europäisch einzuordnen. Deswegen bleibt es eine wichtige Aufgabe, und die ist nicht einfach so zu machen. Also man kann sich vieles wünschen, aber es muss gemacht werden, und das Machen ist die eigentliche Herausforderung, nicht das Reden.

Dann reden wir noch darüber, was vielleicht am Machen hindern könnte. So etwas wie eine zweite Welle, das ist ja auch noch nicht ganz ausgeschlossen. Ihre Prognose ist ja jetzt unter der Voraussetzung erstellt, dass kein zweiter Tiefpunkt folgt.

Ja, das ist im Grunde in allen Konjunkturprognosen oder Szenarien, die für dieses Jahr und das nächste Jahr formuliert sind, enthalten. Allein dahinter steht die Überlegung, dass wir einen solchen generellen gesamtstaatlichen Lockdown nach meinem Dafürhalten gar nicht mehr durchführen können, weil es erstens Erfahrungen der regionalen Antwort gibt, und zweitens wir nicht beliebig gesamtstaatlich die Grundrechte einschränken können. Es wird ja gelegentlich so getan, als könnte man einfach morgen wieder den Lockdown bundesweit so verhängen.

Erstens muss das sowieso auf Ebene der Bundesländer gemacht werden, die das umzusetzen haben, aber mal ganz abgesehen davon würde es ja bedeuten, dass wir aus all dem nichts gelernt haben, denn wir tun es ja nicht einfach so, sondern, um die Überbeanspruchung des Gesundheitssystems, der intensivmedizinischen Kapazitäten zu vermeiden. Wir haben die Testkapazitäten, und wir wissen auch, wie man lokal handelt. Wir haben die Gesundheitsämter ertüchtigt. Deswegen ist für mich die Perspektive eines zweiten Lockdowns, so wie am 23. März, eine nicht realistische.

Inhaltselement mit der ID 7583 Inhaltselement mit der ID 7584

Globalisierung „war ja schon vorher in einem Erschöpfungszustand”

Ich möchte einwenden, dass wir es ja mit einer Pandemie zu tun haben und die deutsche Wirtschaft exportorientiert ist. Das heißt, Lockdowns in anderen Teilen der Welt, auch generelle Lockdowns können wir ja nicht ausschließen, allein dadurch...

Das ist richtig.

... dass auch in anderen Ländern das Gesundheitssystem nicht so gut vorbereitet vielleicht ist, wie Sie das gerade für Deutschland beschrieben haben. Sie beschreiben auch jetzt, Nachfrageeinbruch im Ausland. Wie wichtig ist das?

Das ist schon wichtig, wir haben aber gesehen, dass im Augenblick vor allen Dingen der Nachfrageeinbruch in der Binnenwirtschaft und in Europa das herausragende Thema ist. Wir haben auch eine gewisse Asynchronität in der Welt. China beispielsweise läuft voran. Da gibt es also Ausgleichsmomente, wo völlig unklar ist im Augenblick, was wir für die Vereinigten Staaten zu erwarten haben. Dort haben wir ja eine durchaus handlungsunfähige Administration in Washington, oder handlungsunwillige muss man vielleicht sagen, die Dinge wirklich zu steuern. Das muss auf der Ebene der Bundesstaaten gemacht werden.

Da bleiben Risiken, aber das Bild ist ja schon, dass auch die anderen Länder eigentlich nicht mit diesem Lockdown leben wollen, sondern aus dem Lockdown heraus eine neue Normalität entwickelt. Das findet parallel statt. Wenn Sie sich anschauen, in welchem Maße Konjunkturprogramme in der OECD aufgelegt worden sind, dann ist das jetzt schon ein Vielfaches dessen, was im Jahr 2009 geschehen ist. Also von daher sind ja breit angelegte Impulse wirksam, die auch ihre Effekte haben werden.

Das heißt, dass exportorientierte Wirtschaftsmodell, das wir fahren, das fällt uns jetzt nicht auf die Füße.

Es ist schon eine Anstrengung und eine Anspannung, und die Globalisierung, auch das ist ja ein Trend, der jetzt nicht durch diese Krise, durch diese Pandemie entstanden ist, war ja schon vorher in einem Erschöpfungszustand. Auch dem müssen wir uns stellen, und wir müssen auch hierher zurückkommen, letztlich muss Umweltpolitik global sein, wie der Handel auch, und vielleicht auch ganz neu gedacht die Gesundheitspolitik. Also die Schwächung der Weltgesundheitsorganisation durch den Austritt der Amerikaner ist natürlich das Gegenteil dessen, was wir brauchen. Insofern ist natürlich globalisierungspolitischer Handlungsbedarf, indem wir diese Institution weiterentwickeln und auch zusammendenken.

Zum Interview auf deutschlandfunk.de

Mehr zum Thema

Artikel lesen
Die deutsche Wirtschaft verharrt in der Stagnation
Michael Grömling in den VDI-Nachrichten Gastbeitrag 17. April 2024

Konjunkturampel: Die deutsche Wirtschaft verharrt in der Stagnation

Für die deutsche Industrie ist keine Trendwende in Sicht – anders als für die Dienstleistungsbranche, schreibt IW-Konjunkturexperte Michael Grömling für die VDI-Nachrichten.

IW

Artikel lesen
Michael Grömling IW-Report Nr. 20 13. April 2024

IW-Konjunkturumfrage Frühjahr 2024: Unternehmen sehen keine Erholung in 2024

Die Ergebnisse der IW-Konjunkturumfrage vom Frühjahr 2024 zeigen, dass sich die Geschäftslage der deutschen Unternehmen seit dem Herbst 2023 nicht verbessert hat.

IW

Mehr zum Thema

Inhaltselement mit der ID 8880