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IW-Direktor Michael Hüther
Michael Hüther im Deutschlandfunk Interview 16. November 2020

Freihandelsabkommen: „Wir müssen mit China weiter vorankommen”

Es sei ein Signal, wenn man im Westen fahrlässig werde, wenn Deutschland nicht die Bereitschaft für ein transatlantisches Abkommen zeige, sagte IW-Direktor Michael Hüther im Interview mit dem Deutschlandfunk. Jetzt nach dem Ende der Präsidentschaft von Donald Trump müssten wir wieder anfangen, Abkommen mit den internationalen Organisationen zu entwickeln.

Die 14 Asien-Staaten haben mit dem „RCEP“ das größte Freihandelsbündnis der Welt beschlossen. China, Japan und Südkorea, aber auch Vietnam, Singapur, Indonesien, Malaysia, Thailand, die Philippinen, Australien und Neuseeland gehören dazu. 2,2 Milliarden Menschen werden damit enger verbunden – und rund ein Drittel der weltweiten Wirtschaftsleistung.

Herr Hüther, wie ernst ist die Lage?

Na ja, sie ist nicht nur ernst; sie ist auch chancenreich. Denn zum einen ist das, was Sie sagen, eine politische Ansage, eine Machtansage, und China will bis 2049, 100 Jahre der kommunistischen Machtergreifung, auch die Nummer eins in der Welt werden. Dazu gehören solche regionalen Handelsblöcke, aus denen heraus man über Netzwerke selbst sich entwickeln kann.

Auf der anderen Seite sind solche regionalen Verbünde durchaus mit dem GATT-Artikel 24 vereinbar, wenn sie Chancen haben, mit anderen zusammenzuarbeiten, und darauf zielt es ja auch. Solange die WTO nicht funktioniert und der Konflikt von den USA so getrieben wird, ist das auch eine Antwort mit Chancen.

„Von Abschottung hat man ja letztlich nichts“

Die Frage nach der Gefahr, nach der Abschottung dieses großen Handelsblocks?

Von Abschottung hat man ja letztlich nichts. Auch wir in der Europäischen Union haben nichts davon, wenn wir uns handelspolitisch nach außen abschließen und nur mit uns selbst befassen. Dafür sind wir am Ende dann auch zu homogen.

Nein, es muss hier erst mal darum gehen, Handel zu entwickeln, den zu stärken. Wir haben gehört, Indien ist nicht dabei, mit Australien gibt es Konflikte, Tokio und Seoul müssen erst mal zueinander kommen. Da liegen natürlich erst mal Aufgaben in der Region, sich gemeinsam zu entwickeln. Aber klar: Es wirkt nur, wenn man sich auch mit anderen ins Benehmen setzt. Das heißt, wenn man aus dieser Handelsregion Entwicklung mit anderen betreibt.

Das heißt, es hat gar keine Nachteile?

Nachteile? – Es ist erst mal für uns ein Signal. Es ist ein Signal, wenn man im Westen fahrlässig wird, wenn man in Deutschland beispielsweise nicht die Bereitschaft hat, ein transatlantisches Abkommen mit den USA zu entwickeln. Das ist mit Trump letztlich nicht weitergegangen, aber wir wollten es auch nicht. Wir haben immer noch CETA, das große Abkommen mit Kanada, im Deutschen Bundestag nicht ratifiziert und wir verlagern uns auf die europäische Ebene – die ist dafür zuständig richtigerweise – auf viele einzelne Abkommen, aber gemeinsam muss letztlich die Botschaft auch sein, jetzt nach Trump wieder mit den internationalen Organisationen etwas zu entwickeln.

„Wenn wir selbst auf Freihandel setzen, müssen wir es jetzt auch erst mal tun“

Aber jetzt müssen, Herr Hüther, diese Bündnisse, diese Verträge, die da vorliegen, ja nicht gut genug sein, um zuzustimmen. Es hat ja viel Kritik daran gegeben, auch an ungleichen Verhältnissen, an ungleicher Verteilung. Ist da nichts dran?

Beim CETA-Abkommen mit Kanada mit Sicherheit nicht. Da ist ja auch noch mal über die Schiedsgerichtsverfahren weiterentwickelt worden und da haben wir, das würde ich schon sagen, ein sehr intensives Handelsabkommen, das ja auch inhaltlich weit über das hinausgeht – das darf man auch nicht vergessen – über das, was jetzt in Asien vereinbart wurde. Da sind Klimaschutzfragen gar nicht drin, Schutz des geistigen Eigentums, Arbeitsrecht und kritische Bereiche wie Fisch und Agrar werden nicht berücksichtigt. Wir haben mit Kanada ganz andere Qualität, ganz andere Gemeinsamkeit. Das nicht jetzt wirklich voll zu nutzen, weil es ein sowohl auf europäischer Ebene wie auf nationaler Ebene zu ratifizierendes Abkommen ist, das ist grob fahrlässig.

Jetzt wollen wir es aber auch nicht übertreiben. Ich sage schon wir; ich meine gar nicht wir, sondern die Politik und vielleicht Sie, Herr Hüther. Kanada ist ja nicht so wichtig.

Das kann man meinen, aber Kanada ist eine große Volkswirtschaft, die mit USA über Mexiko zusammen gemeinsam in einem Handelsraum ist. Das heißt, die Signale, die wir geben, wenn wir das nicht entwickeln, machen natürlich klar, dass wir auch an anderer Stelle nicht glaubwürdig sind. Das heißt, wenn wir selbst auf Freihandel setzen, müssen wir es jetzt auch erst mal tun.

„Wir müssen mit China weiter vorankommen“

Reden wir noch mal über die Asiaten. Das Abkommen verringert die Zölle, legt einheitliche Regeln fest. Das ist ja immer so bei einem Abkommen. Es soll die Lieferungslogistik insgesamt erleichtern, Handel, Dienstleistungen, Investitionen, Online-Handel, Telekommunikation und Urheberrecht auch, ganz wichtig. Fehlt da was?

Was fehlt? – Ich hatte es eben angedeutet: Schutz geistigen Eigentumsrechts, der Arbeitsschutz, der uns aus Deutschland sehr wichtig wäre. Auch Klimafragen sind nicht berücksichtigt. Das kann man natürlich in einem Integrationsraum wie der Europäischen Union, die seit 70 Jahren sich auf den Weg gemacht hat, ganz anders entwickeln und vorantreiben. Das ist sicherlich für den Raum ein langer Weg. Es ist zunächst ein Handelsabkommen und auch nicht mehr. Aber es setzt dort an, wo die Globalisierung unserer Zeit ihre Dynamik gewinnt, nämlich in der Globalisierung der Wertschöpfungsketten grenzüberschreitend. Das heißt, wir differenzieren unsere Produktionsweisen und wir haben Vorleistungsbezüge. Wenn man das in der Region einfacher macht, wird das eine wirtschaftliche Dynamik noch mal zusätzlich bringen.

Schauen wir noch mal weiter in die Zukunft. Die erweiterten Asienstaaten – haben wir gestern die Zahlen gefunden –, sie umfassen 29 Prozent des weltweiten Handels. Die EU im Moment 33 Prozent. Wird sich das definitiv in den kommenden Jahren umkehren?

Das wird sich allein deshalb umkehren, weil natürlich von der Bevölkerungsanzahl in diesen Regionen ein ganz anderes Potenzial vorhanden ist. Und noch einmal gesagt: Die fangen gerade jetzt an mit einem solchen Integrationsraum. Wir haben in den 50er-Jahren begonnen, vor allen Dingen _57 mit der EWG, und insofern ist das erst mal ein Weg. Da müssen wir uns auch nicht schrecken. Wenn mehr Menschen unterwegs sind und die machen gemeinsam mehr, dann ist das Ranking an sich keine Aussage. Entscheidend ist: Sind wir mit im Spiel? Haben wir Handelsbeziehungen? – Wir haben Freihandelsabkommen von der EU in viele dieser Länder hinein gemacht. Wir müssen mit China weiter vorankommen. Da muss man auch politische Konflikte adressieren, dann aber auch versuchen einzuhegen, denn es ist ja nicht so, dass China das ohne einen politischen Machtanspruch mitorganisiert. Ich hatte das eingangs angedeutet. Das alles muss gelingen. Aber wenn wir da außen vor stehen, wäre das für uns auch nicht so toll.

„Wir können nicht davon ausgehen, dass unsere Sozial- und Arbeitsschutzstandards woanders auch toll gefunden werden“

Sie haben den Arbeitsschutz genannt als einen Punkt, der immer wieder kontrovers ist. Die sozialen Standards, wenn wir es so formulieren wollen, spielen ja aus der europäischen Sicht immer eine große mitentscheidende Rolle. Damit haben die Asiaten weniger zu tun. Gilt dann noch die Forderung und die Interpretation aus Kreisen der Wirtschaft, der Wirtschaftsexperten, dass weniger Sozialstandards gut ist für die Entwicklung der Wirtschaft?

Nein! Sozialstandards müssen in den jeweiligen Kulturräumen verankert sein. Wir können nur nicht davon ausgehen, dass unsere Sozial- und Arbeitsschutzstandards einfach woanders auch toll gefunden werden. Das ist eine Frage des Entwicklungsniveaus; das ist aber auch eine Frage der kulturellen Einbettung, und das kann man nicht isoliert auf einzelne Sozialstandards sehen, sondern wenn eine Gesellschaft anders abgesichert wird, dann ist das auch in Ordnung. Da muss man von wegkommen, einen eigenen Standard zum Standard der Welt zu machen. Aber zu fragen, was ist fair, und fair heißt, dass unsere Standards nicht in Zweifel gezogen werden bei dem, was wir tun. Darum geht es.

Weniger Sozialstandards, mehr Dynamik – gilt das?

Das ist ein zu simpler Zusammenhang. Wir müssen die Dynamik dadurch entfalten, dass wir kluge Ideen gemeinsam entwickeln. Das können wir besser tun, wenn wir keine Hürden an den Grenzen haben, wenn wir keine Zölle haben, wenn einfach auch technische Standards vereinfacht werden. Da ging es ja auch ganz wesentlich im TTIP-Abkommen zwischen der Europäischen Union und den USA drum, in vielen Bereichen überhaupt erst mal einfache technische Möglichkeiten zu schaffen, Doppelprüfungen zu vermeiden, also Sand aus dem Getriebe zu nehmen, und der Sand wird nicht hineingestreut durch Arbeits- und Sozialschutzregeln, die jedes Land ja hat. Es ist ja nicht so, dass diese Länder irgendwo bei nichts stehen und wir bei 100 Prozent. Das war auch mit den USA nicht so. Wir sehen es vielfach einfach anders und dieses anders muss auch mit ins Spiel kommen können – nicht, indem es das jeweils vorhandene in Frage stellt, aber indem man da faire Rahmenbedingungen definiert.

Wir müssen uns kurz fassen, wollte ich trotzdem noch mal erwähnen beim Stichwort Sand. Subventionen sind auch Sand im Getriebe?

Natürlich! Subventionen sind der Ersatz und die Umgehung von nicht vorhandenen Zöllen. Das heißt, da kann man ebenso versuchen, Vorteile zu schaffen, die keine Fairness im Handel bringen, wie bestimmte Regulierungen, die wir gerne definieren.

Und da halten sich die Europäer bislang ja auch nicht zurück mit Subventionen.

Wir sind da nicht so sauber, wie wir uns immer ideologisch gerne selbst bespiegeln. Europa muss genau fragen, was es beispielsweise im Agrarhandel tut. Das ist sicherlich weder für Entwicklungsperspektiven in anderen Räumen der Welt, Subsahara, Afrika, richtig, noch ist es glaubwürdig.

Zum Interview auf deutschlandfunk.de

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