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IW-Direktor Michael Hüther
Michael Hüther auf VDP-online Interview 20. November 2020

„Wir können nicht alle paar Monate die Wirtschaft und Gesellschaft herunterfahren“

Er befürchte, dass einige Geschäftsmodelle den neuerlichen Lockdown nicht überleben werden, erklärt IW-Direktor Michael Hüther im Interview mit dem VDP. Eine Negativsteuer könnte den betroffenen Unternehmen schnell und unkompliziert durch die Krise helfen.

Seit Anfang November befinden wir in einem sogenannten „Lockdown light“. Sie haben vor der Entscheidung vor nachhaltigen Wohlstandseinbußen gewarnt. Welche Auswirkungen befürchten Sie? Welche Alternativen hätten Sie gesehen?

Ich befürchte, dass einige Geschäftsmodelle in den stark betroffenen Bereichen (Hotel- und Gaststättengewerbe u.a.) den neuerlichen Lockdown nicht überleben werden. Wir werden also im nächsten Jahr eine Insolvenzwelle von Unternehmen und Selbstständigen erleben. Im Sommer konnten die Effekte des ersten Lockdowns witterungsbedingt und durch finanzpolitische Maßnahmen zwar stellenweise abgemildert werden, erholt haben sich die konsumnahen Sektoren nach einem solchen Halbjahr aber nicht wirklich. Maßnahmen müssen sich durch ihre erkennbare Wirksamkeit legitimieren. Das ist zum Teil fraglich, wenn man Gaststätten und Hotels mit entsprechenden Hygienekonzepten betrachtet und durch deren Schließung vieles in den privaten Bereich verschoben wird, wo es sich einer Kontrolle entzieht. Wichtig wäre es auch, das wichtige Offenhalten der Schulen durch flexibles Management inklusives Wechselunterricht dauerhaft zu ermöglichen.

Wie bewerten Sie das Krisenmanagement der Bundesregierung in der Corona-Krise. Sind die finanziellen Hilfen in ausreichender Höhe und zielgerichtet eingesetzt worden? Wird es nach Auslaufen der Hilfsmaßnahmen zu einer Pleitewelle kommen?

In der Sache war das Krisenmanagement der Bundesregierung zeitlich und sachlich im Grundsatz angemessen. In der ersten Phase haben Sie zur Liquiditätssicherung der Unternehmen und Beschäftigungsstabilisierung beigetragen.Im Sommer wurde die Wirtschaft aufgrund der Verschiebung der Probleme von der Angebotsseite zur Nachfrageseite durch umfangreiche Konjunkturpolitik unterstützt. Ein solcher Impuls hat immer Streuverluste, das war zu dem Zeitpunkt aber das geringste Problem. Vergessen dürfen wir auch nicht: Die bisher getätigte Konjunkturpolitik ist keine Strukturpolitik. Den – zwingend befristeten – konjunkturellen Impuls mit anderen Zielen zu überfrachten, das verwässert den Instrumenteneinsatz und verringert den Wirkungsgrad. Die finanziellen Hilfen sind mit Sicherheit in vielen Fällen wirksam, aber wir beobachten auch, dass sie aufgrund ihrer Unhandlichkeit teilweise nicht abgerufen werden. Zu Beginn waren die Hilfen aufgrund der symmetrischen Betroffenheit aller Unternehmen nicht besonders zielgerichtet. Jetzt im Teillockdown werden die direkt betroffenen Unternehmen und Selbstständigen gezielter unterstützt. Was bleibt zu tun? Ich plädiere für eine Umgestaltung und Vereinfachung der Maßnahmen in Richtung einer Negativsteuer für Unternehmen. Dies würde über monatliche Ausschüttungen regelmäßig Geld bringen und könnte von den Behörden schnell umgesetzt werden. Zwar konnte die durchschnittlich solide Eigenkapitalbasis des deutschen Mittelstands zunächst als Puffer wirken, wie lange dieser hält, ist allerdings offen. Schlimmer noch: Wo die Eigenkapitaldecke dünn wird, bleibt kein Geld für notwendige Investitionen.

In der Coronavirus-Pandemie haben Zentralbanken und Regierungen Rettungspakete in bisher noch nie dagewesenem Umfang geschnürt. Wie wird sich das auf die Preisentwicklung auswirken?

Das Risiko einer überraschenden Inflation schätze ich als gering ein. Bisher haben die umfangreichen Rettungspakete der europäischen Zentralbank und der europäischen Regierungen nicht zu einem deutlichen Preisanstieg geführt. Dies spiegelt sich auch in aktuellen Zahlen wider, die Inflationsrate in Deutschland und im Euroraum liegen im negativen Bereich bei -0,2 Prozent bei -0,3 Prozent. Für ein Anziehen der Preisentwicklung in der mittleren Frist sind strukturelle Faktoren entscheidender. Dazu gehören vor allem die Wettbewerbsintensität auf den globalen Märkten sowie eine seit langem stärker beschäftigungsorientierte Lohnpolitik. Auch wenn es zu einem temporären Preisanstieg, zum Beispiel im Lebensmittelbereich, kommen sollte sehen wir derzeit keine Zeichen für einen nachhaltigen Preisanstieg.

Zu Anfang der Pandemie kam es durch die Schließung von Grenzen zu Störungen von Lieferketten und Produktionsausfällen. Wird es zu einer Renationalisierung von Fertigungsbereichen kommen?

Zum Anfang der Pandemie hatten bis zum 27. April 2020 von 26 Schengen-Ländern 17 wieder Kontrollen an den Binnengrenzen eingeführt, um die Ausbreitung von Covid-19 zu stoppen. Diese Grenzschließungen wurden aufgrund der Dringlichkeit der damaligen Lage unkoordiniert von den einzelnen Staaten durchgeführt und die EU-Kommission lediglich darüber informiert. Das hat umgehend zu Unterbrechungen in den innereuropäischen Lieferketten, zusätzlich zu den bereits vorhandenen globalen Produktionsausfällen, geführt. Wir sehen die Gefahr, dass legitime Corona-Maßnahmen leicht zu einem Vorwand für Protektionismus werden und die Renationalisierung zu marktverzerrenden staatlichen Eingriffen führen könnte. Gleichzeitig hat der globale Lockdown eindrücklich gezeigt, wie wichtig der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen ist und wie zentral es ist, funktionierende Lieferketten zu schützen. Es handelt sich also um einen Trade-off zwischen den Vorteilen der internationalen Arbeitsteilung und dem erhöhten Risiko, abhängig von den weltweiten Lieferketten zu sein. Eine strukturelle Änderung der Wertschöpfungsketten liegt in der Hand der Unternehmen. Eine Maßnahme könnte eine weitergehende Diversifizierung der Lieferketten betreffen, um die Resilienz gegenüber Produktionsausfällen zu erhöhen. Dazu kann auch beitragen, dass durch den 3d-Druck neue Raumstrukturen der Produktion möglich werden, weil die Transportkosten dann wichtiger werden als die Arbeitskostenunterschiede.

Mit der Bekanntgabe der Entwicklung eines wirksamen Impfstoffes scheint ein Ende der Corona-Welle in Sicht. Wie lange wird es aus Ihrer Sicht dauern, bis die deutsche Wirtschaft die Folgen der Pandemie überwunden hat?

Die Prognosegüte nimmt mit fortschreitendem Beobachtungshorizont bekanntlich ab. Aktuell gehen wir davon aus, dass trotz des negativen Wirtschaftswachstums von etwa -5,4 Prozent im Jahr 2020 die deutsche Wirtschaftsleistung im Jahr 2021 um über 4 Prozent zulegen kann. Das hängt aber von einer Reihe von Faktoren ab. Klar ist, dass es einer mittelfristigen politischen Strategie bedarf. Wir können nicht alle paar Monate die Wirtschaft und Gesellschaft herunterfahren. Schwach wird jedenfalls noch das erste Quartal, weil es von diversen Einschränkungen des öffentlichen Lebens geprägt sein wird.

Der für die Papierindustrie überaus wichtige Markt der Printmedien befindet sich seit Jahren in einem Strukturwandel, der durch die Corona-Pandemie noch einmal beschleunigt wurde. Wie wird sich dieser Trend fortsetzen? 

Die COVID19-Pandemie hat erkennbar dort den Veränderungsdruck erhöht, wo im Strukturwandel durch Megatrends bereits spürbar Anpassungsbedarfe begründet waren. Das trifft den stationären Handel im Wettbewerb mit den Online-Plattformen, und das trifft die Printmedien. Digitale Kommunikationskanäle haben seit längerem dazu beigetragen. Insofern ist nur die Frage zu stellen, mit welcher Geschwindigkeit der Trend sich fortsetzt.

Eine nicht ganz ernste Frage zum Abschluss: Haben Sie aus Sicht eines Ökonomen eine Erklärung für die Präferenz eines Teils der deutschen Bevölkerung, in der Krise Toilettenpapier zu hamstern?

Die ökonomische Spieltheorie kann darüber Erklärungsansätze liefern. Wenn nur der eigene notwendige Bedarf gedeckt würde, gäbe es keinen Mangel an Toilettenpapier. Allerdings führen Übersprungshandlungen dazu, dass eine Art Herdenverhalten einsetzt. Dann ist die beste Strategie, diesem Beispiel zu folgen und selbst Toilettenpapier zu hamstern. Auch während der Spanischen Grippe im Jahr 1918 waren Geschäfte und Apotheken panisch leer gekauft worden. Sicherlich spielt heute aber auch die wesentlich schnellere und präsentere Weiterverbreitung der Bilder leergekaufter Supermarktregale über soziale Medien eine Rolle, die Panik und somit Übersprungshandlungen provozieren. Warum es gerade Toilettenpapier ist, kann ich nur vermuten: Das nicht zu haben, käme für viele einem Kontrollverlust gleich. Das will man verhindern.

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