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Michael Hüther in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Interview 14. August 2019

Zukunftsfonds für NRW: „Wir brauchen einen 450 Milliarden Euro großen Deutschlandfonds“

Klimaschutz, Wohnen, schnelles Internet: Der Staat soll in die Infrastruktur investieren, sagt der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Michael Hüther. Warum er das gerade jetzt richtig findet, erklärt er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Braucht Deutschland angesichts der schwächelnden Wirtschaftsentwicklung ein Konjunkturprogramm?

Nein, es besteht kein konjunkturpolitischer Handlungsbedarf. Die deutsche Wirtschaft, aber auch die europäische entwickeln sich bei aller Abschwächung immer noch robust. Doch es fehlt Vertrauen in künftiges Wachstum.

Die deutsche Industrie produziert immer weniger.

Ja, das ist derzeit so. Mich sorgt vor allem, dass die Aufträge im Inland zurückgehen. Das spricht dafür, dass sich die Unternehmen mit Investitionen zurückhalten – aufgrund der gewachsenen Unsicherheit durch den Wirtschaftsstreit zwischen den Vereinigten Staaten und China etwa, aber auch wegen des Kurses der deutschen Wirtschaftspolitik. Aber nach wie vor bekommen die deutschen Industrieunternehmen viele Aufträge aus dem Ausland.

Trotzdem schlagen Sie vor, dass der deutsche Staat wieder mehr Schulden macht. Sie zweifeln sogar an der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse – wieso?

Es geht um Wachstumspolitik. Deutschland muss mehr investieren, um die Digitalisierung und den Klimawandel zu meistern. Jetzt gerade sind die Bedingungen dafür sehr gut, die Zinsen sind niedrig, sogar Bundesanleihen mit langen Laufzeiten weisen negative Renditen auf.

Die Finanzierungsbedingungen waren vor fünf Jahren nicht deutlich schlechter.

Aber jetzt haben wir den Spielraum. Wir halten die Maastricht-Schuldenquote wieder ein, die Staatsverschuldung ist auf weniger als 60 Prozent der Wirtschaftsleistung gefallen. Deutschland kann also mehr investieren, ohne diese Regel zu verletzen. Und dann gibt es einen wichtigen Zinsunterschied: Bis zum Jahr 2009 war der Realzins größer als die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP), das ist nun umgekehrt. Alles spricht dafür, dass dies so bleibt.

Erklären Sie bitte noch kurz, warum der Vergleich zwischen Realzinsen und Wirtschaftswachstum so wichtig ist.

Daraus folgt, dass die künftigen Zinslasten durch zusätzlichen Einkommensspielraum gedeckt sind, und zwar jährlich. Künftige Generationen werden nicht belastet.

Wie groß ist dieser Spielraum, bezogen auf die Maastricht-Regeln für Deutschland?

Bei 2,5 bis 3 Prozent nominalem BIP-Zuwachs läge dieser bei dem Ziel, die Schuldenquote zu stabilisieren, vorsichtig berechnet bei 1,5 Prozent des BIP. Das entspräche, grob gesagt, 50 Milliarden Euro pro Jahr. Der Fiskalvertrag definiert für die Situation etwas unscharf 1 Prozent des BIP.

Und wie viel ermöglicht die Schuldenbremse – auch sie verbietet Verschuldung ja nicht prinzipiell?

Die Schuldenbremse hat wachstumspolitisch derzeit – wegen bereits erfolgter Festlegungen – noch einen Spielraum von 2 bis 3 Milliarden Euro, der in den Folgejahren auf 8 Milliarden Euro jährlich ansteigt.

Welche Summe für Investitionen schwebt Ihnen denn vor?

Nach Schätzungen der KfW haben allein die Kommunen 138 Milliarden Euro Investitionsbedarf. Rechnet man den Bedarf in den Bereichen Verkehr, Breitband, Dekarbonisierung, Wohnen und Bildung hinzu, so kommt man größenmäßig auf ein Volumen von ungefähr 450 Milliarden Euro auf zehn Jahre, jährlich also 45 Milliarden Euro. In einem „Bundes-Sondervermögen Infrastruktur“ wäre das jetzt mit einer zehnjährigen Bundesanleihe ohne Zinslast attraktiv finanzierbar.

Wofür würden Sie das Geld einsetzen?

Ich würde den Bundesverkehrswegeplan zu einem Bundesinfrastrukturplan weiterentwickeln, der die genannten Bereiche berücksichtigt. Der Bund ist besonders in der Pflicht und bei dem sollte das Sondervermögen als „Deutschlandfonds“ angesiedelt sein. Die Länder haben ab dem Jahr 2020 keine Möglichkeiten, mehr Schulden zu machen, und viele Kommunen können auch nicht stemmen, was nötig ist. Und durch die zehn Jahre erhielte die Bauwirtschaft eine klare Perspektive, der Kapazitätsausbau würde sich rechnen.

Die Schuldenbremse müsste dafür angepasst werden.

Die Schuldenbremse bliebe im Grundsatz bestehen, sie würde aber für das investive Bundes-Sondervermögen geöffnet. Das würde der Logik der Schuldenbremse insofern auch entsprechen, als investive, das heißt produktive Ausgaben zu einem Nullzins finanziert und damit künftigen Generationen keine zusätzlichen Lasten aufgebürdet würden. Im Gegenteil: Es werden Schulden anderer Art vermieden, nämlich in Form unterlassener Infrastrukturinvestitionen.

Und was wird dann aus der „schwarzen Null“, dem ausgeglichenen Bundeshaushalt?

Die schwarze Null – verstanden als den jährlichen vollständigen Verzicht auf neue Kredite und damit als politische Verengung der Schuldenbremse – wäre dann auf den laufenden Bundeshaushalt in konjunktureller Normallage beschränkt.

Lädt ein neues Sondervermögen oder – allgemeiner gesagt – die Unterscheidung zwischen Investitionen und laufenden Ausgaben im Haushalt nicht zu politischem Missbrauch ein?

Fehlanreize gibt es immer, es kann nur darum gehen, diese zu minimieren. Und tatsächlich ist mit und ohne Schuldenbremse die Haushaltsstruktur in eine Schieflage geraten. Ein Sondervermögen, das explizit nur Investitionen dient, bietet da schon eine Hürde für Missbrauch. Man könnte diese noch erhöhen, wenn man – analog zum Stabilitätsrat – einen Investitionsrat einrichtet, der genau darüber wacht. Zudem könnte man neue Ausgaben für eine Gebietskörperschaft an die erfolgreiche Umsetzung der vorherigen binden.

Zum Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

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Martin Beznoska / Tobias Hentze: Ein Zukunftsfonds zur Tilgung der kommunalen Kassenkredite in Nordrhein-Westfalen

IW-Policy Paper

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