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Michael Hüther im Deutschlandfunk Interview 23. August 2019

Reform des Unternehmensstrafrechts: „Verantwortung in Unternehmen kann man nicht substituieren“

Die Pläne der Justizministerin, kriminelle Unternehmen zu bestrafen, verlagere die Prinzipien des Rechtsstaates vom Einzelnen auf eine abstrakte Organisation, kritisiert IW-Direktor Michael Hüther im Deutschlandfunk. Verantwortung in Unternehmen werde jedoch durch das Handeln von Menschen definiert.

Wirtschaftsverbände lehnen die Pläne der Bundesjustizministerin Christine Lambrecht für höhere Strafen für kriminelle Unternehmen ab. Das Vorhaben des Bundesjustizministeriums löst in weiten Teilen der Wirtschaft das Gefühl aus, unter einen generellen Verdacht gestellt zu werden. Das sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Martin Wansleben. Die SPD-Politikerin plant, dass betrügerische Unternehmen als Unternehmen und nicht nur einzelne Personen zur Rechenschaft gezogen werden können. Künftig sollen große Firmen bei gravierenden Verfehlungen bis zu zehn Prozent ihres Umsatzes zahlen müssen. Bisher sind es maximal zehn Millionen Euro, unabhängig von der Größe des Unternehmens, was kleine Firmen stark belasten kann und große tendenziell schont.

Dass die Sanktionsmöglichkeiten gegen Unternehmen verbessert werden sollen, begründet das Ministerium so: Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegen Gesetze verstoßen, etwa wenn sie Schmiergeld anbieten, um einen Auftrag zu bekommen, dann oft zum Nutzen ihrer Firma. Deshalb soll das Unternehmen als Profiteur auch zur Verantwortung gezogen werden. Neu ist, dass die Staatsanwaltschaft einem Verdacht nachgehen muss. Bisher ist das eine Ermessensfrage. – Darüber wollen wir sprechen. Am Telefon ist jetzt Professor Michael Hüther, der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft. Guten Morgen.

Guten Morgen, Herr Heinemann.

Professor Hüther, sollen Unternehmen leichter belangt werden können?

Na ja. Grundsätzlich verlagern wir Prinzipien des Rechtsstaates von Menschen, die wir mit Schuld und wegen Absicht mit Schuldprinzip bedenken können, auf Unternehmen als eine abstrakte Organisation. Das ist, soweit ich das als Ökonom verstehe, für das Rechtssystem etwas Neues und auch in dieser Ausweitung eigentlich früher nur des Ordnungswidrigkeitenrechts in ein sogenanntes Unternehmensstrafrecht. Das führt natürlich dazu, dass man Menschengruppen, nämlich die in einem Unternehmen zusammen agieren, als Ganzes unter einen Verdacht setzt, und das ist nicht nur rechtlich neu, rechtssystematisch neu, sondern führt natürlich auch zu der Wahrnehmung, da werden Unternehmen als Ganzes in Verdacht genommen. Am Ende sind es aber Menschen, die handeln. Und es wird so getan, als ist die Organisation eines Unternehmens an sich Schuld. Das ist sicherlich neu und das kann erhebliche, ich sage mal, Anreize oder auch Belastungen auswirken. Es ist sicherlich etwas, was die Unternehmen nicht leicht verknusen können.

Das Bundesjustizministerium widerspricht dem ausdrücklich, sagt, es geht nicht um ein Unternehmensstrafrecht. Die Sanktionsfähigkeit von Unternehmen ist in Gestalt der Verbandsgeldbuße schon seit vielen Jahren Teil des deutschen Rechts und international vorgegeben. Erfüllt die Bundesregierung, das Justizministerium eigentlich nicht nur internationale Verpflichtungen?

Es ist aber eine Ausweitung dieses Konzepts. Und noch mal: Die Tatsache, dass eine Staatsanwaltschaft das Unternehmen als Ganzes in den Blick nehmen muss, die Frage, wie man mit den Unterlagen, mit den eigenen Nachforschungen beispielsweise des Unternehmens umgeht, wie Mitarbeiter dabei behandelt werden, führt natürlich dazu, dass ins Unternehmen als Organisation, als Gemeinschaft auch von außen, von der Justiz noch mal ein anderer Blick gerichtet wird. Wie gesagt, man kann alles irgendwie begründen. Die Frage ist: Was ist der Anlass? Haben wir wirklich flächendeckend Bedarf, dass Unternehmen unter einen solchen, ich sage mal, nicht Generalverdacht, aber doch unter eine solche Betrachtung geführt werden? Denn am Ende bleibt die Frage: Wo hört das auf, wo fängt das an? Sind das dann auch jede jegliche Organisationen, auch künftig Vereine, wo man dann ja auch sagen kann, das ist nicht nur der Einzelne, der gehandelt hat. Es ist sicherlich auszutarieren und zu lernen, aber die Frage ist ja immer: Gibt es einen Anlass, dies zu tun, das Unternehmen als Ganzes zu betrachten und das rechtssystematische Schuldprinzip unabhängig vom Handeln eines Einzelnen zu definieren? Und das ist ja immer auch zu legitimieren. Ein Gesetz muss ja seinen inneren Bedarf auch haben.

Der Anlass sind die Zahlen zum Beispiel des Bundeskriminalamtes für 2017. Das Amt geht von einem bekannten Schaden von rund 3,7 Milliarden Euro aus. Rund 74.000 Fälle wurden registriert. Muss man da nicht handeln?

In dem Feld ist ja offensichtlich, auch wenn es zur Kenntnis gebracht wurde, gehandelt worden. Es ist ja nicht so, dass man jetzt nicht handeln könnte. Aber es bleibt die Frage, welches grundsätzliche Misstrauen in Unternehmen, in unternehmerische Organisationen hineingebracht wird. In einer freiheitlichen Gesellschaft würden wir doch sagen in offenen Märkten, dass Unternehmen gar nicht durchkommen mit solchen Strategien. Natürlich wissen wir da, wo es Nischen gibt. Das schöne Beispiel ist dann Dieselgate oder das ist der Libor-Skandal, die Zinsmanipulationen.

Gammelfleisch obendrein noch!

Genau, Gammelfleisch. Aber man muss ja fragen: Warum kommt es denn dazu? Weil hier in Nischen gehandelt wird, und wenn wir diese Nischen sozusagen ausleuchten, dann ändert sich auch dies, wenn die Strukturen von Märkten entsprechend den Druck auslösen. Kunden wollen ja nichts mit solchen Unternehmen eigentlich zu tun haben. Das heißt, es geht eigentlich um eine ganz andere Frage: Unternehmenskultur und Verantwortung in Unternehmen, und die kann man nicht substituieren. Das, glaube ich, ist die eigentliche Frage. Unternehmenskultur wird nicht durch Justiz, sondern durch Handeln von Menschen in dem Unternehmen – und dann ist man wieder bei einzelnen Personen – definiert.

Apropos Unternehmenskultur. Das Ministerium schlägt ja eben auch vor: Regeln für interne Untersuchungen in den Unternehmen, mit den Unternehmen selbst Fehlverhalten in den eigenen Reihen aufklären können. Und schlägt dann vor, dass gut geführte Untersuchungen bei späteren Sanktionen strafmildernd wirken sollen, falls bestimmte Standards eingehalten werden. Halten Sie dieses Zuckerbrot für wirksam?

Da muss man schauen, wie es dann funktioniert, denn auch dann ist man ja in die Hände der einzelnen Akteure, der Staatsanwaltschaft gegeben. Aber sicherlich ist das von der Idee her ein Beiboot, das Ganze etwas, wie Sie es nennen, von Anreizen her zu unterlegen, dass Unternehmen noch mal unterstützt werden, wenn sie selbst den Weg gehen. Am Ende würde ich aber sagen, Unternehmen müssen den Weg selbst gehen. Denn kein Unternehmen kann damit leben, dass rechtswidrig gehandelt wird. Und bei großen Unternehmen ist natürlich immer die Frage: Wie sind sie organisiert, ist das alles transparent? Wir haben die Compliance-Richtlinien, wir haben die Frage, wie Unternehmen bestimmte Dinge dokumentieren. All dies ist ja umfassend rechtlich bereits festgelegt. Und die Frage, was ist der zusätzliche Nutzen, wenn hier solche internen Untersuchungen stattfinden, auch die Frage, wie man mit diesen Akten umgeht, wie man die trennt von allen anderen, so dass man nur die behandelt, das ist sicherlich ein attraktiver Gedanke. Ob der in der Summe das ganze Paket attraktiv macht, ist dann noch eine zweite Frage.

Professor Hüther, unser anderes Thema mit Blick aufs Wochenende: G7-Gipfel in Biarritz. Warum bereitet die Weltkonjunktur Sorgen?

Na ja, wir haben auf der einen Seite seit Jahresanfang 18 eine Verlangsamung aller Konjunkturindikatoren, die Auftragseingänge, das Geschäftsklima. Das ist schlicht Ausdruck der Tatsache, dass der Konjunktur ein Stück die Luft ausgeht. Wir haben ja einen sehr langen, sehr stabilen Aufholprozess oder entwicklungsdynamischen Entwicklungsprozess. Wir haben das am Arbeitsmarkt gesehen und in allen anderen Bereichen. Insofern ist das einmal eine relativ normale Verlangsamung. Da kommt obendrauf die Verunsicherung durch die internationalen Handelskonflikte und Trump, die Frage, wie wir mit dem Brexit in Europa umgehen. Und das hat insbesondere jetzt auch im zweiten Quartal, wo wir nur knapp stagnieren oder minus 0,1 in Deutschland uns entwickelt haben, dazu geführt, dass die wirtschaftliche Lage sich noch mal zusätzlich verlangsamt hat. Und wir gehen davon aus, dass das auch im dritten Quartal anhält – also doch eine deutliche Delle.

Emmanuel Macron fordert konjunkturelle Anreize. Das fordern französische Staatspräsidenten eigentlich immer. Etwas überraschender ist, dass Sie als Direktor eines Instituts der deutschen Wirtschaft seit Wochen die Schuldenbremse lockern möchten. Was reizt Sie an höheren Schulden?

Nicht das Konjunkturthema, sondern die Frage, ob wir hinreichend viel tun, um unseren Wachstumspfad, das, was die trendmäßige Entwicklung der Volkswirtschaft in der Zukunft bestimmt, angemessen begleiten, ob wir da eine gewisse Vorsorge leisten als Staat, der ja letztlich immer in einer Investitionspartnerschaft mit privaten Akteuren ist – die Infrastrukturfragen, die Fragen der Digitalisierung, die Fragen einer alternden Gesellschaft, die Investitionen verlangt, aber vor allen Dingen auch der Klimaschutz. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Summen unter den gegebenen Bedingungen angemessen finanziert werden können, und deswegen ist das ein Wachstumsargument, kein Konjunkturargument. Natürlich würde, wenn der Staat so handelt, er zusätzlich auch kurzfristig Vertrauen stabilisieren in seine Handlungsfähigkeit. Das ist dann mitgedacht. Aber eigentlich geht es nicht um kurzfristiges Investieren, sondern auf zehn Jahre gedacht es mit einem wirklichen großen Schwung zu tun, mit einem großen Programm, um dann auch diese Lücken zu füllen. Und wir werden das unter den gegebenen Bedingungen der Schuldenbremse, die vielleicht jetzt noch drei Milliarden Raum hat für neue Kredite und auf acht Milliarden ansteigt, nicht schaffen. Und das ist die Feststellung: Wir sind unter anderen Bedingungen.

Bund und Länder nehmen so viel Geld ein wie seit langem nicht. Wieso reichen die zur Verfügung stehenden Mittel nie aus?

Es ist nicht die Frage, reichen die Mittel aus, sondern sind sie angemessen eingesetzt und haben wir in der Summe für die Aufgaben, die zu erfüllen sind, alle Instrumente. Der öffentliche Kredit ist ja ein bisschen unter dem Problem, dass er verteufelt wird, als dürfte man gar nicht mehr Kredite aufnehmen. Die schwarze Null ist ja so ein kommunikatives Konstrukt, die Schuldenbremse noch zu überdehnen und weiterzutreiben. Aber wenn wie jetzt die Zinsen, die Realzinsen seit fast einem Jahrzehnt niedriger sind als das reale Wachstum, dann löst ein Kredit für sich genommen keine Generationenbelastung aus. Wenn dann aber die Investitionen produktiven Charakter haben – und das ist bei all dem, was ich nannte, der Fall –, dann ist die Frage, warum nutzen wir das nicht, warum nutzen wir nicht den öffentlichen Kredit, um diesen Spielraum zu haben. Wir müssen ein bisschen nüchterner damit umgehen. Wir hatten Bedarf der Konsolidierung, keine Frage. Vor zehn Jahren war alles richtig. Ich will auch nicht die Schuldenbremse komplett aufgeben. Aber ich würde sie etwas öffnen für einen großen Investitionsplan, den ich Deutschland-Fonds nenne.

Bisher wurde Geld eingesetzt für Rente mit 63, die mütterrente, Grundrente ist geplant, Abschaffung des Solis. Wieso wird Geld in Deutschland eigentlich immer nur verteilt, anstatt investiert zu werden?

Das müssen Sie jetzt nicht den Ökonomen fragen, sondern die parlamentarische Mehrheit und die Politik.

Dann habe ich die Frage falsch gestellt. Warum sollte das diesmal anders sein?

Meine Vorschläge waren das nicht, sondern es waren die Programme, die sich in den Koalitionsbildungen erwiesen haben. Man hat damit Wahlkampf gemacht. Man meint, damit erfolgreich zu sein. In den Wählerstimmen und den Zustimmungsraten äußert sich das nicht. Aber wir haben in der Tat dazugelernt, dass die Schuldenbremse von solchem Unsinn nicht abhält. Das heißt, die Konkurrenz um die Verwendung der Steuergelder geht dann genauso Richtung Verteilungspolitik wie ohne Schuldenbremse. Wir verlieren aber den Spielraum für Investitionen, den wir dringend brauchen, denn auch dann – das darf man nie vergessen – hinterlassen wir der künftigen Generation eine Schuld, wenn sie nämlich nicht mehr über die Brücken fahren kann, wenn sie nicht mitmachen kann in der internationalen Arbeitsteilung, weil die Digitalisierung nicht auf dem Höhepunkt der Zeit ist. Und es wäre geradezu ökonomischer Unsinn, das nun alles über Steuern zu finanzieren und in einer Bedingung, wie eben genannt, dass die Zinsen – und da gehen wir von aus, dass das anhält – nachhaltig niedrig sind, ohnehin mit einer anderen Geschäftsgrundlage.

Wann lernen Regierungen, mit dem Geld auszukommen?

Na ja, eigentlich ist es nicht die Frage der Regierung, sondern der Gesellschaft. Sind wir alle bereit, auch ein bisschen in die Verteilungskonflikte hineinzugehen? Die letzten Jahre – Sie haben es angedeutet – waren natürlich geprägt von dynamischer Steuereinnahmenentwicklung. Dort hat man all diese Dinge machen können. Es wird natürlich immer etwas deutlicher, wenn auf einmal große Bedarfe addiert werden. Schauen Sie sich an, was beim Kohlekompromiss aufgeschrieben wurde. Schauen Sie sich an, was eine wirklich angemessene Ausstattung mit digitaler Infrastruktur kostet, wo, glaube ich, niemand Zweifel hat, dass das alles gemacht werden sollte – nicht in jedem Detail, aber im Grundsatz. Dann bleibt die Frage, wie machen wir das und wie kriegen wir das zurande? Politik steht immer unter dem Druck, solche Konflikte auszuhalten. Das hat sie auch früher getan. Es ist ja nicht so, dass früher ohne Schuldenbremse das Geld komplett sinnlos ausgegeben wurde und alles aus dem Ruder gelaufen ist. Man hat immer gerungen, man hat immer auch massive Konsolidierungsmaßnahmen gemacht, wenn es notwendig war.

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