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IW-Direktor Michael Hüther
Michael Hüther auf heute.de Interview 24. Februar 2021

„Klare und verlässliche Öffnungsperspektive”

Was kann Firmen in der Corona-Pandemie jetzt helfen? Im Interview mit heute.de fordert IW-Direktor Michael Hüther klare Öffnungsperspektiven durch Impfungen, Tests und Nachverfolgung der Kontakte.

Sie befürchten durch die Folgen der Corona-Pandemie eine Spaltung unserer Volkswirtschaft. Warum?

Die Zahlen zeigen, dass die Industrie den zweiten Lockdown bisher halbwegs glimpflich übersteht - sofern nicht Grenzschließungen Lieferketten unterbrechen. Sorge macht mir zwar, dass der Ausfall der inländischen Konsumnachfrage erkennbar auf die Industrie durchwirkt, aber insgesamt wird sie noch gut durch den Export getragen. Wichtig für Industrieunternehmen war in erster Linie das Kurzarbeitergeld.

Anders als für die Industrie war die erforderliche Liquidität aber für viele Unternehmen in Branchen, die vor allem auf den privaten und gesellschaftlichen Konsum orientiert sind, seit dem November 2020 nicht schnell abrufbar.

Für den stationären Handel, Veranstaltungsmanagement, Hotels, Kulturschaffende, Kleinselbstständige und viele andere mehr war aufgrund der geringen Anzahl der Mitarbeiter nicht das Kurzarbeitergeld von entscheidender Bedeutung, sondern die November- und Dezemberhilfen.

Doch deren Auszahlung läuft immer noch zu langsam. Außerdem ist fraglich, ob es in diesem Teil unserer Volkswirtschaft Nachholeffekte geben wird. Auch die Gastronomie hat mit dem Lieferservice derzeit zwar ein zweites - dünneres - Standbein. Aber hier können Sie nichts wirklich nachholen.

Bei Friseuren gilt das gleiche - auch wenn die nächste Woche unter Einhaltung von lange umgesetzten Hygienekonzepten wieder öffnen dürfen.

Gerade kleinere Unternehmen beklagen die schleppende Umsetzung der Beschlüsse aus dem letzten Herbst. Was ist schief gelaufen?

Das ist einfach schlecht administriert. In der Krise zeigt sich, dass unsere Verwaltung doch nicht so gut funktioniert, wie wir immer dachten oder vielmehr: hofften. Daran sind nicht die Mitarbeiter schuld, sondern hier wurde über die Jahre nicht hinreichend investiert. Und dann wurden Beschlüsse, die zu Beginn der Krise getroffen wurden, nicht nachgehalten.

Und bei den absehbar notwendigen Hilfen für Unternehmen wurde konkret im Sommer im Finanzministerium und im Wirtschaftsministerium versäumt, sich für den Fall eines zweiten Lockdowns Gedanken über die zielgenaue Adressierung und deren möglichst rasche Ausreichung Gedanken zu machen. Mühsam wird es wegen unnötig komplexer Abstimmungen stets dann, wenn mehrere Institutionen oder Gebietskörperschaften beteiligt sind; bei den Unternehmenshilfen Finanzministerium und Wirtschaftsministerium.

Lässt sich der wirtschaftliche Schaden noch eingrenzen und welche Lösung schlagen Sie vor?

'Wie lassen sich möglichst viele Insolvenzen vermeiden?', lautet die Gretchenfrage. Denn bei einer großen Pleitewelle entstehen nicht nur kurz- wie mittel- und langfristig enorme Kosten, ökonomisch wie gesellschaftlich, sondern es droht dann etwas in der Substanz verloren zu gehen.

Da sind wir vor allem wieder bei den "Kleinen". Die Staatsfinanzen sind im Gegensatz zu drohenden Insolvenzen nicht das akute Problem. Die beste Wirtschaftshilfe ist eine klare und verlässliche Öffnungsperspektive durch forciertes Impfen, umfangreiches Testen und digitaler Nachverfolgung.

Sie sagen, dass jede Strategie zur Bekämpfung der Pandemie mit Kosten verbunden ist, die abgewogen werden müssen. Aber kann der Schutz des Lebens gegen wirtschaftliche Schäden abgewogen werden?

Natürlich stellt niemand Ökonomie über Leben. Was aber bedacht sein will, ist, dass jede Strategie gegen Covid Folgen hat, und zwar nicht nur ökonomische. Zero-Covid ist eine in der Realität auch mittelfristig nicht zu erreichende Illusion, ganz abgesehen von den nur getarnten Absichten der Systemveränderung.

Und die Folgekosten würden nicht allein ökonomische sein. Die Hamburger Studie zu den psychischen Belastungen bei Kindern und Jugendlichen ist eine Warnung, die Kollateralwirkungen der Pandemiebekämpfung nicht zu übersehen. Daraus folgt, dass wir immer die am wenigsten tiefgreifenden Interventionen suchen müssen, also neben dem Impfen vor allem durch Testen, Tracing und Hygienekonzepte den allgemeinen Lockdown aufheben.

Die einen wollen das Virus ausmerzen, die anderen wollen es beherrschbar machen. Meine Position ist die letztere. Es ist unrealistisch, in einem Europa der offenen Grenzen das Virus - zumal bei vieltausendfachen Mutationen - komplett zu eliminieren - so wünschenswert dieses Ergebnis wäre.  

Wo endet die Verantwortung des Staates? Und welche Verantwortung tragen die Bürgerinnen und Bürger?

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat Ende April darauf hingewiesen, dass der Schutz des Lebens nicht absolut gilt und nicht über allem steht. Sondern das höchste postulierte Gut unserer Verfassung ist die Würde des Menschen, die ist unantastbar. Und tatsächlich kann niemand jedes Leben retten, auch nicht der Staat. Denn auch der ist nicht allmächtig, glücklicherweise. Wer das erwartet, überfordert den Staat und die Gesellschaft.

Wir alle sind in der Verantwortung, Kontakte zu reduzieren und unnötige ganz zu vermeiden. Und wir sollten uns alle impfen lassen. Das Beispiel Israel sollte uns allen Mut machen und könnte Politik und Verwaltung motivieren, wo möglich nachzulegen.

Wie können wir lernen mit dem Virus zu leben und glauben Sie, dass Corona unsere Gesellschaft dauerhaft verändern wird?

Selbst wenn wir alle schnellstmöglich geimpft sind, ist es wahrscheinlich, dass es in einem Europa der offenen Grenzen immer wieder lokale Infektionsausbrüche kommen wird. Und es besteht das Risiko von Mutationen. Trotzdem sollten wir nicht verzagen - das wäre ein Schritt in die falsche Richtung.

Ein bisschen müssen wir das anscheinend wieder erlernen. Der Lohn dafür könnte mehr Mut, mehr Offenheit und ein Mehr gesellschaftlicher Resilienz sein. Und diese Resilienz wurzelt in der Verantwortungsfähigkeit der Menschen, nicht zuerst im Schutzangebot des Staates.

Zum Interview auf heute.de.

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