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(© IW-Direktor Michael Hüther)
Michael Hüther auf heute.de Interview 13. August 2018

Türkei: „Das ist so etwas wie eine Endgame-Situation”

Was waren die Auslöser für die Währungskrise in der Türkei? Die dramatische Abwertung der Lira bringe ein tiefes Misstrauen zum Ausdruck, erklärt IW-Direktor Michael Hüther im Interview mit heute.de.

Professor Hüther, was bedeutet der immense Kursverfall der türkischen Lira für die deutsche und die europäische Wirtschaft? Ist das überhaupt von Bedeutung?

Es ist natürlich von Bedeutung, die Türkei ist ein Schwellenland mit 80 Millionen Einwohnern und hat in den letzten Jahren eine auf die Wachstumsziffern bezogene beachtliche Entwicklung hingelegt. Allerdings mit immer durchgängig zwei Schönheitsfehlern: die Inflationsrate war relativ hoch und die Arbeitslosenquote auch. Das Wachstum ist noch nicht in der Breite der Wirtschaft angekommen. Es ist und bleibt aber ein interessantes Schwellenland, auch durch die räumliche Nähe.

Was die Investitionen angeht, haben sich deutsche Unternehmen dort beispielsweise im Zulieferbereich Automobil auch in Netzwerke mit eingebunden. Diesen Bereich halte ich aber in dem derzeitigen Krisenkontext, was die reinen Produktionszusammenhänge angeht, für nicht bedeutsam. Sie haben ja durch die Währungsentwicklung eine günstigere Kostensituation, was die Vorprodukte angeht.

Der belastende Effekt ergibt sich eindeutig über die Verschuldung, privat wie öffentlich. Wir haben dort etwa 450 Milliarden Auslandsverschuldung, das entspricht praeter propter 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist keine Kleinigkeit und davon ist etwa die Hälfte privat. Was ist der Hintergrund? In den letzten Jahren haben sich Unternehmen international sehr stark verschuldet, sie haben die günstigen Kreditkonditionen genutzt, und zwar sehr stark bei französischen Banken und anderen in Europa, den deutschen etwas weniger. Hier droht nun Unbill, wenn die Unternehmen diese Schulden nicht mehr werden bedienen können, weil die Lasten sehr viel höher werden. Sie müssen ja Devisen für die Zinszahlungen erwirtschaften.

Wird sich die Situation des Kursabfalls eventuell noch verschlimmern, weil ja seit Montagmorgen die US-Strafzölle auf türkischen Stahl auf 50 Prozent angehoben worden sind?

Die Situation wird sich nach meinem Dafürhalten so lange verschlimmern, wie die Märkte keine glaubwürdige Antwort aus der Türkei vernehmen. Das eine ist ein politischer Konflikt mit den USA, das menschenrechtfragwürdige Verhalten diesem Pastor gegenüber. Die andere Frage ist: welche glaubwürdigen Institutionen hat die Türkei mit der neuen Verfassung? Wie unabhängig ist die Notenbank? Der Schwiegersohn von Erdogan macht da jetzt das Finanzressort, das sind ja Familienclan-Strukturen. So lange das so exekutiert wird, werden sie keinen Zuspruch von internationalen Investoren finden. Insofern ist in diesem Zusammenhang das Zollthema eine Erschwernis obendrauf. Aber es ist nicht die Ursache.

Noch einmal zum Zusammenhang mit Europa: Es gibt Stimmen, die der Türkei raten, sich Hilfe beim Internationalen Währungsfonds zu holen. Wäre das tatsächlich eine Möglichkeit?

Der Internationale Währungsfonds kommt natürlich immer dann ins Spiel, wenn man selbst einer Zahlungsbilanzkrise ausgesetzt ist, dies selbst nicht gelöst bekommt, weil man den Verlust an Glaubwürdigkeit und Vertrauen nicht alleine korrigieren kann. So wie wir Erdogan wahrnehmen, wird er kaum geneigt sein, internationale Institutionen ins Land zu lassen, damit für Investoren wieder Glaubwürdigkeit nach außen entsteht. Das - nochmals deutlich gesagt - wäre ja die Logik einer solchen Unterstützung des Internationalen Währungsfonds bei Zahlungsbilanzkrisen. Das halte ich für politisch naiv. Soweit wir das sehen können, wird das nicht funktionieren.

Insofern ist die eigentliche Frage, wie lange braucht es, bis in der Türkei der innenpolitische Druck so groß wird, dass das nicht mehr akzeptiert wird. Die hohe Arbeitslosigkeit und die nun galoppierende Inflation, die die Lohnzuwächse aufzehrt, sind dafür wohl die wichtigsten Treiber. Und diese wirtschaftliche Schwäche wird auch nicht dadurch ausgeglichen, dass etwa die Industrie besonders wettbewerbsfähig wäre. Sie hat eine sehr geringe Investitionsneigung, der technische Fortschritt dort ist gering und sie konzentriert sich sehr stark auf Textil und Bekleidung und den Bereich der Automobilzulieferung.

Was ist die Lösung für die Türkei, um da wieder rauszukommen? Muss man Erdogan einen Teil der Macht wieder aberkennen, um die Wirtschaft zu beruhigen?  

Diese Krise wurde im Wesentlichen politisch ausgelöst, durch das, was wir in den letzten Jahren in der Türkei erlebt haben. Man muss allerdings daran erinnern, dass Erdogan zunächst der große Freund der Marktwirtschaft war. Er hat die türkische Wirtschaft stabilisiert. Diesen Kurs hat er allerdings verlassen. Indem er nun einen autokratischen Kurs fährt, ist er auch für die Kapitalmärkte ein Problem, weil er einfach nicht glaubwürdig ist. Weil man nicht weiß, was mit dem Geld, das man dort investiert, passiert. Die dramatische Abwertung der türkischen Lira bringt ein abgrundtiefes Misstrauen zum Ausdruck. Da kann die Frage auch nur politisch beantwortet werden.

Wirtschaftlich haben Sie ja jetzt schon die Situation, dass Sie im Land hohe Zinsen zahlen müssen. Die Staatsanleihen zehnjährig notierten bereits im Frühsommer bei 17 Prozent, das heißt auch der Staat muss ja enorme Zinsversprechen machen um seine Schulden zu platzieren. Der Weg daraus ist - wie angedeutet - nicht eine dynamische Wirtschaft, das Land hat keine relevanten Wettbewerbsvorteile.

Es muss politischer Ballast abgeworfen werden. Und da muss sich Herr Erdogan fragen, wie er die Unabhängigkeit der Notenbank, die Sicherung fairer Marktbedingungen und die Glaubwürdigkeit der Regierung, die es ja so nicht mehr gibt – er ist ja alles in einem – signalisieren kann. Ich sehe das ehrlich gesagt nicht. Zur Frage nach einem Rezept: Die Antwort muss in der Türkei gefunden werden. Selbst wenn man dann doch den Internationalen Währungsfonds dazu nimmt, setzt das voraus, dass man sich selbst korrigiert. Und das haben wir bei Erdogan bisher nicht erlebt. Spieltheoretisch würde man sagen: Das ist so etwas wie eine Endgame-Situation.

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