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IW-Direktor Michael Hüther
Michael Hüther im Focus-Streitgespräch Interview 16. Februar 2019

„Auf die Straße gehen ist ein Weg, aber nicht der einzige”

Raus aus der Kohle bis 2030, fordert Klimaaktivistin Luisa Neubauer. Das würde uns schwer schaden, meint IW-Direktor Michael Hüther im Focus-Streitgespräch.

Luisa Neubauer will nicht die deutsche Greta Thunberg sein, ist aber genau das. Sie ist Kopf und Gesicht der deutschen "Fridays for Future"-Bewegung. Einmal pro Woche organisiert die 22-Jährige eine Demonstration vor dem Bundeswirtschaftsministerum in Berlin, für die Schüler den Unterricht schwänzen. Für ein Streitgespräch mit Michael Hüther, 56, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Köln, kommt Neubauer in die Berliner Dependance der Forschungseinrichtung. Im FOCUS-Streitgespräch prallen die Ideen der engagierten Umweltaktivistin und die des Wissenschaftlers, der auf marktwirtschaftliche Prinzipien setzt, aufeinander. Es geht um grüne Wünsche, industriepolitische Verantwortung - und die Macht der Straße.

Es ist Freitag, gleich gehen Sie streiken, Frau Neubauer. Wie lange wollen Sie noch auf die Straße gehen?

Neubauer: Bis wir sehen, dass die Politik den Klimawandel ernst nimmt. Die Kohlekommission schlägt das Jahr 2035 als frühestes Ausstiegsdatum vor. Bis dahin wären es noch über 820 Freitage.

Haben Sie keine Sorge, dass Sie und Ihre Mitstreiter die Lust verlieren?

Neubauer: Wir wissen, dass wir nicht auf Jahre streiken können. Die Lehrpläne sind auf fünf Tage pro Woche ausgelegt. Aber: Jede Woche kommen mehr Schüler und Studierende und mehr Orte hinzu. Viele streiken bei uns zum ersten Mal. Sie merken, dass ihre Stimmen gehört werden. Das motiviert viele, dabeizubleiben.

Herr Hüther, haben Sie jemals gestreikt?

Hüther: Ja, als Schüler in Neuss habe ich gegen Häuser-Leerstand und für die Besetzer demonstriert.

Neubauer: Oh, sympathisch!

Hüther: Und nach dem Angriff auf das World Trade Center in New York im Jahr 2001 war ich auch auf der Straße - aus Solidarität mit den Opfern.

Neubauer: Sie haben also seit 18 Jahren nicht mehr demonstriert?

Hüther: Wir haben eine parlamentarische Demokratie. Also gehe ich wählen, beteilige mich an Debatten und bringe mich durch klare Positionen ein. Auf die Straße gehen ist ein Weg, aber nicht der einzige.

Sie mögen "Fridays for Future" nicht sonderlich, oder?

Hüther: Wenn sich junge Menschen engagieren, finde ich das gut. Aber wir müssen Straße und Parlament wieder zusammenbringen. Und ich finde es nicht überzeugend, dass in der Schulzeit gestreikt wird. Wenn den Schülern der Klimaschutz so wichtig ist, sollten sie in ihrer Freizeit demonstrieren. Wir können nicht einfach die Schulpflicht aufkündigen.

Neubauer: Wir haben auch schon in den Schulferien gestreikt. Keine Sorge, wir schwänzen nicht einfach Unterricht oder Uni.

Wenn Arbeitnehmer streiken, tut das auch weh. Liegt das nicht im Wesen eines Streiks?

Hüther: Es gäbe ja noch viele andere gute Gründe, um demonstrieren zu gehen - für den Frieden zum Beispiel. Doch wo endet das? Wir können die Grundlagen unseres Schulsystems nicht in Frage stellen, auch wenn es um eine sehr wichtige Sachfrage geht. Und für Arbeitnehmer gilt das Streikrecht und nicht die Schulpflicht.

Neubauer: Für uns geht es nicht um eine Sachfrage, sondern um die größte Krise der Menschheit. Sie haben als Wissenschaftler eine herausgehobene Position und werden gehört. Wir nicht.

Hüther: Sie haben Facebook und andere Wege, um Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Neubauer: Wenn wir nur samstags oder nach Schulschluss streiken, würde sich doch kaum einer für unsere Sache interessieren. Und eine Facebook-Kampagne ist nett, aber nicht vergleichbar. Wir müssen ein paar Regeln brechen, um gehört zu werden.

Die Kohlekommission schlägt vor, dass Deutschland bis spätestens 2038 aus der Kohleverstromung aussteigt. Sie verlangen, dass es schneller gehen muss. Wie soll das gelingen?

Neubauer: Wir können die 14 dreckigsten Kohlekraftwerke bis 2020 abschalten, sagt das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik. Damit ist es sogar noch möglich, die Klimaschutzziele zu erreichen, die wir bis zum kommenden Jahr anstreben. Bis 2025 könnten wir einen Großteil der Kraftwerke abschalten, bis 2030 komplett auf Kohle verzichten. Niemand sagt, dass das leicht wird. Aber wir brauchen ambitioniertere und mutigere Ziele als bislang.

Ginge das?

Hüther: Wenn man die Verluste von Arbeitsplätzen, Einkommen und Wertschöpfung in Kauf nehmen will, ginge das. Das wäre eine völlig überstürzte Abkehr, die unserem Land schwer schaden würde. Ich verstehe diese Aufregung nicht. Wir haben ambitionierte Klimaziele. Was wir jetzt brauchen, ist Planungssicherheit für Unternehmen und Politik. So verlören wir Handlungsfähigkeit, die wir dringend klimapolitisch brauchen.

Neubauer: Wenn wir die heutigen Klimaschutzziele aller Staaten zusammenrechnen, wird sich die Erde um mehr als drei Grad erwärmen. Die überwältigende Mehrheit der Klimaforscher sagt, dass das katastrophale Folgen hätte: Dürre, Überschwemmungen, Fluchtbewegungen.

Greta Thunberg will deswegen Panik verbreiten?

Neubauer: Die, die heute leben und die Macht haben, verstehen nicht, dass uns die Zeit davonläuft. Und dass meine Generation in 50 Jahren gerne noch einen lebenswerten Planeten hätte.

Hüther: Natürlich verstehe ich das. Sie tun nur so, als ob es einfache Antworten gäbe. Wir brauchen keine deutsche Panik, sondern eine gemeinsame europäische Strategie. Wir müssen beim europäischen Emissionshandel ansetzen. Wenn CO2-Zertifikate vom europäischen Markt genommen werden, sinken die Emissionen auf dem ganzen Kontinent. Im Moment haben wir nur den Stromsektor im Zertifikatesystem. Es sollte auf die Bereiche Verkehr und Wärmeerzeugung ausgedehnt werden. Das ist ein schwieriges Unterfangen, das sich kaum auf der Straße lösen lässt. Dafür muss man verhandeln und um Kompromisse ringen.

Neubauer: Das ist mir bewusst. Europa verfeuert 50 Prozent aller Kohle, die es weltweit gibt. Deswegen engagiert sich unsere Bewegung schon in etlichen europäischen Ländern. Wir bauen überall Druck auf.

Während Deutschland bis 2038 rund 150 Kohlekraftwerke abschalten will, sollen weltweit 1400 neu gebaut werden. Was nützt da der deutsche Weg überhaupt?

Neubauer: Deutschland stößt seit der Industrialisierung Emissionen aus. Wir tragen eine erdrückende moralische Verantwortung. Außerdem brauchen wir die Signalwirkung, die von einem deutschen Ausstieg ausgeht. Deutschland muss in Europa und weltweit vorangehen. Dem Klima ist doch egal, ob Deutschland oder China zuerst aussteigt. Irgendwer muss anfangen.

Hüther: Wenn Deutschland ein sinnvolles Konzept hätte, würde ich zustimmen. Die Energiewende ist bislang aber Flickwerk, teuer für die Bürger, ineffizient und ineffektiv. Ich warne zudem vor einem moralischen Imperialismus. Als die Industrialisierung begann, wussten die Menschen nicht, welche Folgen das haben würde. Die jetzige Generation hat ein doppeltes Problem: Sie muss mit den Hinterlassenschaften früherer Generationen zurechtkommen und die Interessen künftiger Generationen berücksichtigen. Das ist nicht trivial. Die Konflikte und Widersprüche müssen in der freiheitlichen Ordnung ausgehandelt werden.

Neubauer: Es gibt einen Unterschied zwischen moralischem Imperialismus und historischer Verantwortung. Die westlichen Industriestaaten tragen die Verantwortung für einen Großteil der CO2-Emissionen, die die Erde noch auf Jahrzehnte beeinträchtigen werden. Wir können uns natürlich über China oder Indien beschweren. Aber dem Klima bringt das nichts. Stattdessen müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen.

Deutschland als Vorbild - das klingt doch ganz gut.

Hüther: Ich bezweifle den Sogeffekt für andere Länder. Wir sind kein internationales Vorbild. Die anderen sehen bislang nicht, dass der deutsche Weg funktioniert. Unsere losgelöste nationale Strategie ist absurd und löst bei anderen eher Kopfschütteln aus.

Neubauer: Das sehe ich anders. Nach langem Ringen haben wir endlich das Paris-Abkommen hinbekommen. Selbst wenn wir kein Vorbild wären, müssten wir unseren Teil dazu beitragen, dass das Pariser Abkommen ein Erfolg wird.

Hüther: Dem stimme ich zu. Hilfreich wäre aber, wenn Europa zum Vorbild in der Klimaschutzpolitik wird.

Neubauer: Einverstanden. Und ich will, dass Deutschland ein Treiber wird.

Viele Experten gehen davon aus, dass wir Kohlestrom aus Polen oder Tschechien importieren müssen, wenn wir unsere Kraftwerke abschalten.

Hüther: Wenn wir einen funktionierenden Zertifikatehandel in Europa hätten, wäre das nicht schlimm. Das wäre ein marktwirtschaftliches System, das besser als jedes Planungssystem funktioniert. Wichtig ist nur, dass die Emissionen insgesamt sinken. Wer auf Kohle setzt, ist nicht grundsätzlich ein Klimasünder.

Neubauer: Im Moment exportieren wir Braunkohlestrom. Wir können also Kraftwerke abschalten, ohne unsere Versorgungssicherheit zu gefährden. Unser Ziel muss sein, dass wir uns künftig mit erneuerbaren Energien vollständig versorgen können.

Hüther: Das klappt heute bereits, wenn die Sonne intensiv scheint und der Wind stark weht. An manchen Tagen im Jahr kann das ganze Land mit erneuerbarer Energie versorgt werden. Nur können wir diese Energie nicht speichern. Und solange diese Speichermedien nicht verfügbar sind, brauchen wir andere Energieformen, auch die fossilen Energieträger. Das ist eine Frage der Technologie, nicht der Ideologie.

Herr Hüther, Sie sind heute mit dem Flieger von Köln nach Berlin gekommen. Würden Sie sich stärker einschränken für den Umweltschutz?

Hüther: Ich reise, wo es geht, mit der Bahn. Nur klappt das eben nicht immer. Wenn ich an einem Abend einen Termin in Köln habe und am nächsten Morgen ein Interview in Berlin gebe, ist die Bahn zu langsam und oft auch zu unzuverlässig. Ganz ohne Fliegen geht es nicht.

Greta Thunberg sagt, sie fliege überhaupt nicht. Nutzen Sie Flugzeuge, Frau Neubauer?

Neubauer: Mittlerweile selten. Aber ich kann auch nicht über den Atlantik schwimmen. Das ist eine Ambivalenz, die uns alle beschäftigt. Und es geht ja um mehr: Essen wir Fleisch? Wo und wie legen wir unser Geld an? Ist mein Haus gut isoliert? Ich glaube, wir sollten die Rahmenbedingungen anders setzen und beispielsweise Kerosin viel höher besteuern.

Sie wurden kürzlich von Peter Altmaier eingeladen, um in seinem Ministerium zu sprechen. Was haben Sie ihm gesagt?

Neubauer: Dass seine Politik und sein Ministerium die Gründe sind, warum wir bei ihm vor der Tür stehen. Seine Prioritäten liegen auf kurzfristigem Wirtschaftswachstum. Das ist unverantwortlich.

Fühlen Sie sich von ihm ernst genommen?

Neubauer: Überhaupt nicht. Das Gespräch war freundlich und in Ordnung. Aber er sagt dann Dinge wie: Wir freuen uns, dass ihr euch engagiert und den Klimawandel ins öffentliche Bewusstsein bringt. Ich will den Klimawandel aber nicht ins öffentliche Bewusstsein tragen, sondern in seines.

Hüther: Es ist nicht meine Aufgabe, Peter Altmaier zu verteidigen. Aber er macht eben die Politik, für die er gewählt wurde. Wenn man nicht nur gehört werden, sondern auch entscheiden will, müssen Sie runter von der Straße. Sie müssen in die Parteien und Parlamente gehen, vielleicht sogar selbst ein Mandat anstreben. Nur dann können Sie Politik demokratisch verändern.

Neubauer: Das meinen Sie nicht ernst, oder?

Hüther: Selbstverständlich. Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. So sieht es das Grundgesetz vor. Wenn Sie das anders sehen, stellen Sie unsere Verfassungsgrundlage in Frage. Moralische Attitüde ersetzt legitime Verfahren nicht.

Neubauer: Ich bin durch und durch Demokratin. Ich gehe nicht auf die Straße, um selbst Politik zu machen. Ich will diejenigen, die heute die Macht haben, wachrütteln - bevor der Klimawandel unkontrollierbar wird.

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