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IW-Ökonom Klaus-Heiner Röhl
Klaus-Heiner Röhl in der WAZ Interview 20. August 2019

Regionalstudie: „Das Glas ist leider weniger als halb voll“

Die Regionalstudie des Instituts der deutschen Wirtschaft gibt dem Ruhrgebiet erneut schlechte Noten. Warum das so ist, erklärt IW-Ökonom und Mitautor Klaus-Heiner Röhl in einem Interview in der WAZ.

Die jüngste IW-Regionalstudie schlägt hohe Wellen. Wieder einmal ist das Ruhrgebiet Schlusslicht der wirtschaftlichen Entwicklung. Ist das Revier - oder sind zumindest Teile davon - eine abgehängte Region?

Ich mag den Zungenschlag „abgehängte Region“ nicht. Unsere Studie zeigt ja eben nicht, dass unter Deutschlands Regionen Arm und Reich immer weiter auseinanderdriften. Das ist ein Missverständnis. Wir zeigen vielmehr auf, dass es in unterschiedlichen Regionen unterschiedliche Problemlagen gibt. Darauf sollte die Politik reagieren. Im Vergleich der europäischen Flächenländer fällt das regionale Wohlstandsgefälle in Deutschland jedoch eher gering aus.

Als einzigem Ballungsraum widmet die IW-Studie dem Revier ein eigenes Kapitel. Vom „Sonderfall Ruhrgebiet“ ist dort die Rede. Klingt nach Sorgenkind der Nation.

Wir sprechen von Regionen, die in ihrer Entwicklung gefährdet sind und zeigen das Bedrohungspotenzial auf. Nehmen wir als Beispiel Essen. Als Sitz großer Konzerne liegt die Stadt deutlich über dem bundesweiten Durchschnitt beim Bruttoinlandsprodukt, steht also auf dem Papier recht gut da. Die Frage ist: Kann Essen das Potenzial nutzen? Oder stellt etwa die Konzentration der großen Unternehmen aus der anfälligen Energie- und Stahlbranche ein Risiko dar? Und es gibt weitere Risikofaktoren wie die hohe Arbeitslosenquote und die extrem hohe Schuldenlast der Stadt.

Die IW-Experten sehen das Revier in einer „ökonomischen Abwärtsspirale, die trotz umfangreicher Förderprogramme nicht nachhaltig beendet werden konnte“. Seit Jahrzehnten wird das Ruhrgebiet mit Fördermitteln gepäppelt. War das alles falsch?

Natürlich war nicht alles falsch an der bisherigen Förderpolitik fürs Ruhrgebiet. Wichtig und richtig etwa war der gezielte Ausbau der Hochschullandschaft. Hieraus hat sich zudem eine lebendige Start-Up-Szene entwickelt. In diesem Bereich könnte aber noch viel mehr geschehen. Denn die Gründermentalität im Ruhrgebiet ist unterentwickelt. Man muss aber auch einfache Gründungen im nichtakademischen Bereich im Blick haben. Auch hier gibt es noch viel Luft nach oben.

Schlusslicht ist das Revier also nicht in allen Belangen?

Nein. Die Wirtschaftskraft ist seit dem Jahr 2000 zumindest nicht weiter zurückgefallen. Auch in der Digitalisierung schneidet das Ruhrgebiet relativ gut ab und die demographische Entwicklung ist günstiger als in vielen anderen Regionen Deutschlands. Auch der Fachkräfteengpässe ist etwas geringer als in anderen Regionen, zudem bestehen noch Potenziale bei der Frauenerwerbsquote und in der Qualifizierung der Arbeitslosen.

Die dichte Hochschullandschaft im Ruhrgebiet wird oft als einer der wichtigsten Erfolge des Strukturwandels gelobt. Wie sehen Sie das?

So begrüßenswert die Investitionen in Wissenschaft und Forschung auch sind: Die absolut betrachtet große Zahl an Hochschulen und Studenten im Revier relativiert sich schnell, wenn man die Einwohnerzahl zu Grunde legt. Andere Berechnungen zeigen: Im Ruhrgebiet arbeiten von 1000 Beschäftigten nur knapp 3,5 im Bereich Forschung und Entwicklung. Das ist weniger als die Hälfte des Bundesdurchschnitts.

Was muss nun künftig getan werden, um dem Ruhrgebiet zu helfen?

Es gibt erfreuliche Ansätze, etwa die von der Landesregierung angestoßene Ruhrkonferenz zu diversen Themenfeldern, auch wenn sie nach dem Machtwechsel in Düsseldorf fast ein Jahr zu spät gestartet wurde und die Zeit zur Umsetzung von Maßnahmen bis zur nächsten Landtagswahl schon knapp werden dürfte.

Was fordern Sie konkret?

Die Stärkung der Wirtschaft ist das A und O. Alles muss dem Ziel untergeordnete werden, die hohen Arbeitslosenzahlen zu senken. Wegen der allgemein guten Konjunktur geht zwar auch im Ruhrgebiet die Arbeitslosigkeit Jahr für Jahr zurück. Doch die Quote ist insgesamt weniger stark gesunken als im bundesweiten Trend und liegt teilweise noch bei 10 Prozent. Regionen in Ostdeutschland mit ursprünglich gleich hohen Arbeitslosenquoten konnten sich im Durchschnitt um vier Prozentpunkte verbessern.

Wie kann man gegensteuern?

Die Bundesagentur für Arbeit könnte Regionen wie das Ruhrgebiet mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote von über neun Prozent stärker in den Blick nehmen und für sie spezielle Maßnahmenpakete schnüren. Außerdem könnte die BA die Betreuung von jungen Arbeitslosen durchaus engmaschiger organisieren als bisher und so die Betreuungsquoten erhöhen. Gerade in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit verfehlt die BA nämlich hier ihre eigenen Vorgaben. Auch die Gründungsförderung aus der Arbeitslosigkeit wurde meines Erachtens zu stark zurückgefahren.

Was können Bund und Land tun?

Dringenden Handlungsbedarf gibt es beim Altschulden-Problem der Revierstädte. Der Bund und vor allem die betroffenen Länder müssen hier gemeinsam Lösungen finden, um den überschuldeten Kommunen, die es ja besonders im Ruhrgebiet gibt, aus der Schuldenklemme zu helfen. Das könnte in Form eines Altschuldenfonds geschehen, der von den günstigen Zinsen, die der Bund realisieren kann, profitiert. Die dadurch gewonnenen neuen finanziellen Spielräume müssen die Städte natürlich zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes einsetzen, nicht für neue Spaßbäder.

Die IW-Studie hält eine neue Regionalförderung in Deutschland für überfällig, die an Bedürftigkeit, nicht mehr an der Himmelsrichtung ausgerichtet ist.

An einer Neuausrichtung der Regionalpolitik führt aus unserer Sicht kein Weg vorbei. Dabei sollten Strukturprobleme in Westdeutschland, insbesondere im Ruhrgebiet, auch im Bund deutlicher als bisher in den Fokus rücken. Ziel muss es sein, Innovationskraft und Produktivität gezielt vor Ort zu stärken.

Braucht das Revier ein Sonderprogramm Ruhr?

Machen wir uns keine Illusionen: Ein Sonderprogramm „Ruhr“ mit zwei Milliarden Euro im Topf wird vermutlich nicht kommen. Denn auch dem Bund sind Grenzen gesetzt. Der Braunkohleausstieg bindet demnächst viele Mittel. Am Ruhrgebiet fließt die milliardenschwere Förderung für das rheinische Braunkohlereviere ja buchstäblich knapp vorbei. Und das wichtigste regionalpolitische Förderinstrument von Bund und Ländern, das so genannten GRW-Programm, wurde in den vergangenen Jahren stark zusammengeschrumpft. Aktuell stehen jährlich noch rund eine Milliarde an GRW-Mitteln zur Verfügung – bundesweit. Im Rahmen der Neugestaltung, die 2020 ansteht, muss das erhöht werden, damit im Ruhrgebiet überhaupt ein nennenswerter Betrag ankommen kann.

Ist das Glas fürs Ruhrgebiet nun eigentlich eher halb voll oder halb leer?

Das Glas ist leider weniger als halb voll. Die Probleme sind gewaltig. Anders als Berlin, Hamburg oder Frankfurt ist es dem Ruhrgebiet nicht gelungen, an der seit längerer Zeit guten Entwicklung der Ballungsräume in Deutschland teilzuhaben und vom anhaltenden Trend zur Urbanisierung zu profitieren. Das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner ist im Ruhrgebiet gerade einmal halb so hoch wie beim Spitzenreiter, der Metropolregion München. Damit liegt das Revier in dieser Disziplin auf dem letzten Platz unter den sieben großen Ballungsräumen. Das Revier kann noch immer nicht seine PS auf die Straße bringen, die es als größter dieser Ballungsräume eigentlich haben müsste. Daran muss sich unbedingt etwas ändern. In anderen Ländern ist der größte Ballungsraum – Paris für Frankreich, London für Großbritannien - üblicherweise Wachstumstreiber. Das war das Ruhrgebiet in seiner Blütezeit auch einmal. Heute ist es eher Hemmschuhe der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Dass sich dies ändert, ist im gesamtdeutschen Interesse.

Zum Interview in der WAZ

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