1. Home
  2. Presse
  3. „Potenzial ist da, sich neu zu erfinden“
Zeige Bild in Lightbox
IW-Wissenschaftsleiter Hubertus Bardt
Hubertus Bardt in Märkte und Welt Interview 23. Mai 2019

„Potenzial ist da, sich neu zu erfinden“

Amerikanische Tech-Riesen wie Google und Amazon haben die erste Welle der Digitalisierung monopolisiert, während China in den vergangenen Jahren eine neue Technologie-Industrie aus dem Boden gestampft hat. Ist das Qualitätssiegel „made in Germany” also ein Auslaufmodell? Mitnichten, glaubt IW-Ökonom Hubertus Bardt. Im Gespräch mit NfA erläutert er, warum deutsche Unternehmen auch zukünftig ein bedeutendes Wort im globalen Handel mitreden werden.

Herr Bardt, viele Ökonomen sind der Ansicht, dass der Bundesrepublik der Abstieg in die zweite Liga der Wirtschaftsnationen droht? Teilen Sie diese Sorge?

Die deutsche Wirtschaft und insbesondere die Industrie sind gut auf den Weltmärkten präsent und wirtschaftlich sehr erfolgreich. Innovative mittelständische Unternehmen in ihrer Nische prägen das Bild ebenso wie die großen Unternehmen aus der Autoindustrie, dem Maschinenbau und anderen Branchen. Die Firmen haben auch weiterhin gute Marktchancen, aber der Erfolg ist alles andere als garantiert. Deutschland muss sich auf die Herausforderungen der neuen Technologien und der neuen Wettbewerber einstellen, wenn wir nicht zurückfallen wollen.

China stellte 2017 rund 1,3 Mio Patentanträge. Im Vergleich: Deutschland schaffte es auf etwa 176.000. Haben deutsche Firmen auf dem Weltmarkt überhaupt noch eine Chance, den Rückstand aufzuholen, etwa beim Thema Künstliche Intelligenz?

Die reine Zahl der Patentanträge sagt noch nicht viel über die technische und wirtschaftliche Verwertbarkeit. Aber klar ist: Die alte These, dass ein Land ohne Meinungsfreiheit auch nur begrenzt innovativ sein kann, bewahrheitet sich in China augenblicklich nicht. Deutschland muss sich nicht verstecken, aber muss sich anstrengen. Gerade die Verbindung von Internet und Industrie bietet Potenzial für deutsche Unternehmen. Aber das ist auch nicht voraussetzungsfrei: Wir müssen in Forschung und Entwicklung investieren, gerade bei Künstlicher Intelligenz. Da sind Forschungseinrichtungen und Industrie gefordert. Wenn Firmen den Sprung in die digitalen Geschäftsmodelle nicht wagen, drohen die Unternehmen abgehängt zu werden.

Das Beijinger Zentralblatt „Global Times“ attestiert Deutschland einen „Überlegenheitskomplex“? Müssen wir uns diesen Vorwurf gefallen lassen?

Im globalen Wettbewerb geht es nicht um Überlegenheit, sondern darum, dass sich jeder verbessern muss. Und China ist ein starker Wettbewerber, den man nicht unterschätzen darf. Klar ist aber auch: Europa muss weiter daran arbeiten, China zum Einhalten marktwirtschaftlicher Regeln zu bringen.

Der private Wohlstand der Chinesen legt zu, und der Konsumentenmarkt wird jedes Jahr um etliche Millionen größer. Welche Branchen könnten davon am meisten profitieren?

Die deutsche Industrie ist der Ausrüster der weltweiten Industrialisierung. Auch deshalb profitiert unsere Volkswirtschaft stark vom Wachstum in China. Bei den Gütern für private Haushalte sticht natürlich sofort die Autoindustrie ins Auge. Auch sie ist stark präsent und sehr erfolgreich auf dem chinesischen Markt. Aber Chancen sind branchenübergreifend. Unsere Unternehmen sind in globale Wertschöpfungsketten eingebunden, die insgesamt von dem chinesischen Wohlstand profitieren können.

US-Präsident Donald Trump droht – auch wenn er sie erst mal für sechs Monate auf Eis gelegt hat - der deutschen Autoindustrie immer wieder mit Strafzöllen. Diese könnten allein BMW, Volkswagen und Daimler bis zu 6 Mrd Euro kosten. Halten Sie derartige Zölle für realistisch? Und wenn ja, welche Folgen hätten diese für die exportabhängige deutsche Zulieferindustrie?

Allein der US-chinesische Handelskonflikt kostet die deutsche Volkswirtschaft 2 Mrd Euro im Jahr. Ein europäisch-amerikanischer oder gar ein globaler Handelskrieg würde das deutsche Geschäftsmodell infrage stellen. Wenn die internationale Arbeitsteilung erschwert wird, ist das für Deutschland besonders kritisch, weil die Volkswirtschaft besonders offen ist. Und leider ist solch ein Szenario nicht auszuschließen. Dabei sind kurzfristige Zolldrohungen oder -erhöhungen nicht entscheidend.

Viel gefährlicher ist, wenn mit der WTO die Grundregeln des internationalen Handels und des regelgebundenen Umgangs mit Handelskonflikten angezweifelt werden. Und genau das passiert derzeit.

Stichwort Hidden Champions: Amerikanische und asiatische Firmen drängen mit immer neuen Innovationen auf den Markt. Sind deutsche KMU in der Lage, dieses Tempo mitzugehen?

Die eigentliche Gefahr besteht vielfach darin, dass über digitale Lösungen bestehende Geschäftsmodelle obsolet gemacht werden können. Auch der Mittelstand muss diesen Sprung schaffen, da ist noch viel zu tun. Aber ohne stete Innovation wären die Firmen auch nicht dahin gekommen, wo sie jetzt sind. Das Potenzial ist da, sich neu zu erfinden und damit in den besonderen Nischen erfolgreich zu sein – aber der Innovationswettbewerb aus den anderen Ländern ist groß.

Die Liste der größten Unternehmen wird von den Vereinigten Staaten und China dominiert. Warum schaffen so wenige deutsche Firmen den Aufstieg zum Global Player?

Lassen Sie uns nicht absolute Größe verwechseln mit globalem Auftreten. Die großen und kleineren Unternehmen aus Deutschland wären nicht erfolgreich, wenn sie keine globalen Player in ihren Märkten wären. Aber es muss natürlich die Frage gestellt werden, wo in Deutschland Wachstumsbremsen liegen.

BDI-Präsident Dieter Kempf spricht gar von einem notwendigen „wirtschaftspolitischen Neustart, damit Deutschland seinen Platz in der Welt behaupten kann.“ Sehen Sie das auch so?

Die Unternehmen klagen über Fachkräftemangel, hohe staatliche Lasten, Regulierung und Schwächen in der Infrastruktur. All das muss angegangen werden. Wir müssen die Standortbedingungen der Industrie verbessern und gleichzeitig diskutieren, wie wir die großen Veränderungsprozesse – Digitalisierung, Klimaschutz und das Auftreten Chinas - bewältigen können. Das ist in der Tat ein wirtschaftspolitischer Neustart.

Auch Brüssel gerät immer wieder in die Kritik. In vielen Zukunftsfeldern – etwa der Digitalwirtschaft – existiert kein europäischer Binnenmarkt. Wie sollen Firma in diesem Umfeld die nötige Schlagkraft entwickeln, um mit der globalen Konkurrenz mitzuhalten?

Wirtschaftspolitik ist erst einmal nationale Aufgabe. Dass der Ausbau des Hochleistungsinternets in Deutschland so langsam geht, ist unsere eigene Schuld. Aber der digitale Binnenmarkt steht oben auf der Agenda für die EU. Der größere europäische Markt mit einheitlichen Regeln ermöglicht den Unternehmen Kostensenkungen und schnelleres Wachstum. Er ist aber auch Voraussetzung dafür, dass europäische Standards auch im Wettbewerb mit China und Amerika eine Rolle spielen können. Ohne Europa schaffen wir es nicht, unseren Wohlstand zu halten.

Werfen wir am Ende noch ein Blick in die Glaskugel: Wie lange hat das Qualitätssiegel „made in Germany” ihrer Meinung noch Bestand?

„Made in Germany” wird solange ein Zeichen von Qualität sein, wie es den Unternehmen gelingt, innovative und qualitativ hochwertige Produkte anzubieten. Und da bin ich guter Dinge.

Mehr zum Thema

Artikel lesen
Eisenerzschwäche kaschiert festen Markt
Hubertus Bardt in der Börsen-Zeitung Gastbeitrag 8. April 2024

IMP-Index: Eisenerzschwäche kaschiert festen Markt

Das Preisniveau für die wichtigsten Industriemetalle verzeichnete im März einen leichten Anstieg gegenüber dem Vorjahr, schreibt IW-Geschäftsführer Hubertus Bardt in einem Gastbeitrag für die Börsen-Zeitung.

IW

Artikel lesen
Klaus-Heiner Röhl IW-Kurzbericht Nr. 19 8. April 2024

Verteidigungsausgaben: Gerade so genug für die NATO?

Zwei Jahre nach Ausrufen der „Zeitenwende“ durch Bundeskanzler Olaf Scholz meldet die Bundesregierung für 2024 das Einhalten des Zwei-Prozent-Ziels an die NATO. Das heißt, erstmals seit gut 30 Jahren gibt Deutschland im laufenden Jahr demnach jeden fünfzigsten ...

IW

Mehr zum Thema

Inhaltselement mit der ID 8880