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IW-Wissenschaftsleiter Dr. Hans-Peter Klös
Hans-Peter Klös bei Stiftung flexible Arbeitswelt Interview 8. April 2021

Flexible Arbeitswelt: Immer stärker eine Frage der Qualifizierung

Die Veränderung der Geschäftsmodelle, der Arbeitsorganisation und des Kompetenzerwerbs werden noch stärker und schneller Hand in Hand gehen müssen. Diese Anpassung wird weniger als zuvor nur zertifikatsgetrieben sein und lebenspfadabhängig erfolgen können, Geschwindigkeit wird noch wichtiger. Dies gilt inhaltlich, arbeitsorganisatorisch und prozessual.

Für die Arbeitsmarktordnung bedarf es einer deutlich stärkeren Orientierung auf zentrale technologische Trends und einer digital angepassten Arbeitsorganisation. Dies betrifft Arbeitszeiten, Arbeitsorte, Arbeitsinhalte und Qualifikationen. Im Bereich der Weiterbildung etwa hat sich die Corona-Krise bereits als Trendbeschleuniger erwiesen. Kompetenzen zur Gestaltung des digitalen Wandels werden in allen Branchen und Berufen weiter an Bedeutung gewinnen. Da sich zusätzlich zu den klassischen Wertschöpfungsketten zunehmend branchenübergreifende digitale Wertschöpfungsnetze herausbilden, werden auch Querschnittsberufe und Querschnittskompetenzen gefragt sein, wie zum Beispiel Zeitmanagement, Selbstmarketing, Kundenakquise, Datenanalysen und -recherchen. Nie zuvor war daher die betriebliche Personalpolitik stärker gefordert als in der jetzigen digitalen Transformation.

Wie schätzen Sie die aktuelle Situation des Arbeitsmarktes ein?

Die langanhaltende Einschränkung wirtschaftlicher Aktivitäten wirkt sich mittlerweile spürbar auf den Arbeitsmarkt aus. Das wesentliche Instrument, mit dem Betriebe ihrer gesunkenen Arbeitskräftenachfrage begegnen, bleibt die Arbeitszeitverkürzung, vor allem durch ein weiterhin hohes Niveau an Kurzarbeit. Dadurch konnten in der Spitze die Arbeitsplätze von drei Millionen Menschen gesichert und die Wirtschaft massiv stabilisiert werden. Unter anderem deshalb kommt es bisher nach wie vor selten zu Entlassungen.

Zunehmend schwierig ist hingegen die Lage bei Minijobs und Selbstständigen. Bei den Insolvenzen ist das Bild noch unklar: Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht hat bisher zu einer sinkenden Zahl von Unternehmensinsolvenzen geführt. Creditreform rechnet aber mit einer deutlichen Zunahme der Insolvenzen für die zweite Hälfte dieses Jahres und geht von einem Rückstau in Höhe von etwa 25.000 überwiegend kleinen Betrieben aus. Alles in allem sind binnen Jahresfrist inzwischen rund 750.000 Arbeitsplätze in der Gesamtwirtschaft verloren gegangen, die Arbeitslosigkeit ist hingegen nur um rund eine halbe Million gestiegen.

Der Arbeitsmarkt dürfte sich zwar in diesem Jahr etwas erholen, aber auf absehbare Zeit nicht das Vorkrisenniveau erreichen. Im Schnitt dürften 2021 2,8 Millionen Menschen arbeitslos sein. Der für Arbeitsuchende stark erschwerte Zugang in den Arbeitsmarkt verändert aber zunehmend die Struktur der Arbeitslosigkeit. Ein Grund dafür sind die derzeit naturgemäß geringeren Einstellungsbedarfe der Betriebe. Sorge bereitet daher vor allem die Zunahme der Langzeitarbeitslosigkeit. Der steigende Anteil der Langzeitarbeitslosen erschwert die schnelle Rückführung der Arbeitslosigkeit, weil diese nach allen Erfahrungen weit schwerer wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren sind.

Welcher Bereich in der sich veränderten Arbeitswelt steht für Sie im Vordergrund?

Deutschlands Abstand zu den internationalen digitalen „first movern“ in der Digitalisierung ist eher größer als kleiner geworden. Der Reifegrad bei der Digitalisierung in Deutschland streut bisher noch erheblich nach Branchen. Im Business-to-Business-Segment aber hat Deutschland wohl noch einen Vorsprung, den es unbedingt zu sichern gilt. Dafür ist die Digitalisierung von „Industrie 4.0“ ein zentraler „Enabler“. Aber auch für die Bewältigung anderer „Megatrends“, wie z.B. die De-Karbonisierung, den demografischen Wandel ab Mitte dieses Jahrzehnts, eine mögliche pandemiebedingte De-Globalisierung und die Nachhaltigkeit in allen Bereichen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens setzt eine weitere Durchdringung unseres Lebens und Arbeitens mit digitalen Prozessen voraus.

Die Veränderung der Geschäftsmodelle, der Arbeitsorganisation und des Kompetenzerwerbs werden noch stärker und schneller Hand in Hand gehen müssen. Diese Anpassung wird weniger als zuvor nur zertifikatsgetrieben sein und lebenspfadabhängig erfolgen können, Geschwindigkeit wird noch wichtiger. Dies gilt inhaltlich, arbeitsorganisatorisch und prozessual. Hinsichtlich der Arbeitsmarktordnung ist eine deutlich stärkere Orientierung auf zentrale technologische Trends sowie auf veränderte Anforderungen an die Arbeitsorganisation erforderlich. Dies betrifft Arbeitszeiten, Arbeitsorte und Arbeitsinhalte.

Die betriebliche Personalpolitik wird zunehmend digital „augmented“, KI-unterstützt und ist ein entscheidender „Change Agent“. Der Bedarf an qualitativer Tarifpolitik zur Gestaltung des Wandels dürfte weiter zunehmen. Die disruptive Kraft der technologischen Dynamik erfordert die Reform von Inhalten und Methoden der Ausbildung sowie eine Weiterentwicklung der existierenden Ausbildungs- und Weiterbildungsstrukturen, die künftig stärker im Sinne von Karrierepfaden und Berufslaufbahnkonzepten noch enger miteinander verzahnt werden.

Brauchen wir neue Ausbildungsberufe und andere Qualifikationen?

Die duale Ausbildung steht ohne Zweifel durch sich digitalisierungsbedingt verändernde Geschäftsmodelle, eine höhere Studierneigung und die Corona-Pandemie unter Druck. Eine entscheidende Anforderung innerhalb des Systems der Berufsausbildung wird es sein, zum einen die Qualifikationsprofile noch flexibler zu machen, etwa in Form von Zusatzqualifikationen, Wahlqualifikationen oder betrieblichen Einsatzfeldern in mehr Berufen, die laufend angepasst, ergänzt oder erweitert werden können. Zum anderen sind die Fort- und Weiterbildungsangebote flexibel zu erweitern und damit verbundene Optionen zur beruflichen Profilierung und zu spezifischen fachlichen Karrierepfaden transparenter zu machen.

Die Art des betrieblichen Lernens dürfte sich unter dem Eindruck einer beschleunigten Digitalisierung weiter verändern. Für die Arbeit relevantes Wissen ist für alle Mitarbeiter digital verfügbar. Der Arbeitsplatz wird zum formalen Lernort. Die Wissensvermittlung findet überwiegend nicht mehr im „Klassenzimmer“ statt, sondern vor Ort im direkten Arbeitskontext. Micro Learning mit digitalen Medien gewinnt an Bedeutung. Präsenzlernen reduziert sich, bleibt aber wichtig zum Üben, Ausprobieren und Anwenden. Peer to Peer-Lernen wird als Methode wichtiger und muss organisiert werden. Digitalisierung ist aber kein einfaches Ersetzen von Präsenzseminaren durch E-Learning.

Die Weiterbildung wird individueller und vielfältiger werden und muss flexibler und schneller auf veränderte Bedarfe reagieren können. Viele Unternehmen und Beschäftigte haben derzeit einen hohen Orientierungs- und Beratungsbedarf bezüglich der Inhalte und der Lernmedien. Es ist schwer zu definieren, welche Kompetenzen in Zukunft benötigt werden. Aus- und Weiterbildner sowie Lehrkräfte brauchen daher umso mehr passgenaue Weiterbildungsangebote für den digitalen Wandel. Das Weiterbildungsengagement der Unternehmen steigt kontinuierlich.

Wie muss sich der Arbeitsmarkt entwickeln, um alle Jugendlichen mitzunehmen, insbesondere um die „abgehängten“ aufzufangen und zu integrieren?

Deutschland ist bisher stets ein Land mit geringer Jugendarbeitslosigkeit gewesen. Damit das auch trotz und nach der Pandemie so bleibt, verdient vor allem die Entwicklung am Ausbildungsmarkt ein besonderes Augenmerk, denn eine berufliche Ausbildung ist bisher noch immer der beste Weg zur Arbeitsmarktintegration für Jugendliche. Die Corona-Pandemie hat aber die Vermittlung auf dem Ausbildungsmarkt deutlich beeinträchtigt und die Ausgleichsprozesse verlangsamt. Dadurch ist die Situation auf dem Ausbildungsmarkt herausfordernd.

Mit Blick auf das neue Ausbildungsjahr 2020/2021 hat die diagnostische Unsicherheit noch einmal deutlich zugenommen: Offen ist derzeit zum Beispiel, inwiefern durch Kurzarbeit oder Insolvenzen noch mit Ausbildungsabbrüchen oder -unterbrechungen gerechnet werden muss, die Übernahme durch den Ausbildungsbetrieb nicht möglich ist oder die Ausbildung beim bisherigen Betrieb nicht fortgeführt werden kann. Schließlich muss auch damit gerechnet werden, dass wegen weiterhin eingeschränkten Wirtschaftsaktivität gerade in Branchen mit hohen Ausbildungsquoten die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge im Jahr 2021 noch einmal zusätzlich gedämpft werden dürfte.

Umso wichtiger sind daher die Maßnahmen, die im Rahmen der Allianz für Ausbildung ergriffen wurden: Das verlängerte und fortentwickelte Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“ wird in einer ganzen Reihe von Punkten verbessert, etwa durch die Verdopplung der Höhe der Ausbildungsprämien für das kommende Ausbildungsjahr 2021/2022, die Erweiterung des Zuschusses zur Verhinderung von Kurzarbeit während der Ausbildung, die Einführung eines einmaligen Sonderzuschusses für Kleinstbetriebe bis zu vier Mitarbeitern, die Erweiterung der Übernahmeprämie auf Fälle der Kündigung aus wichtigem pandemiebedingten Grund und die Öffnung der Förderleistungen für KMU mit bis zu 499 Beschäftigten (bislang 249) Beschäftigten.

Gibt es infolge der Corona-Pandemie Veränderungen in der Arbeitswelt und wie sehen Sie die Entwicklung beim Fachkräftebedarf?

Durch die zunehmenden und verstärkt verfügbaren technischen Möglichkeiten werden einerseits neue Arbeitsplätze und Berufe geschaffen, andererseits werden aber auch zahlreiche Arbeitsplätze verloren gehen. Insgesamt dürfte die Digitalisierung insgesamt einen neutralen bis positiven Effekt auf das quantitative Niveau an Beschäftigung haben. Eine große gesellschaftliche Aufgabe besteht aber auch darin, den durch die Digitalisierung und zusätzlich durch die De-Karbonisierung ausgelösten Veränderungs- und Transformationsprozess so zu gestalten, dass Chancen genutzt und Risiken bestmöglich reduziert werden können.

Der demografisch bedingt zunehmende Fachkräftebedarf wird nach der Pandemie den deutschen Arbeitsmarkt wieder stärker dominieren. Mit der Qualifizierung ihrer Beschäftigten und der Ausbildung des eigenen Fachkräftenachwuchses können und werden die Betriebe dem begegnen. Im Bereich der beruflichen Weiterbildung hat sich die Corona-Krise bereits als Trendbeschleuniger erwiesen. Absehbar ist, dass Kompetenzen zur Gestaltung des digitalen Wandels künftig in allen Branchen und Berufen eine wichtige Rolle spielen werden und dabei sowohl agile Arbeitsformen wie die Zusammenarbeit mit autonomen Systemen der Künstlichen Intelligenz zunehmend zum Arbeitsalltag gehören werden.

Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass sich an die Stelle klassischer Wertschöpfungsketten branchenübergreifende Wertschöpfungsnetze herausbilden werden, die eine neue Form von Querschnittsberufen oder Querschnittskompetenzen erforderlich machen werden. Auch für Erwerbsformen wie freie Mitarbeiter, Crowdworker und Clickworker, die in einer digitalen Ökonomie vermehrt auftreten dürften und auch auf Plattformen vermittelt werden können, ergeben sich veränderte Qualifizierungserfordernisse, wie zum Beispiel selbstgesteuertes Zeitmanagement, Selbstmarketing, Kundenakquise, Datenanalysen und -recherchen. Nie zuvor war wohl daher die betriebliche Personalpolitik stärker gefordert als in der jetzigen digitalen Transformation.

Zum Interview auf flexible-arbeit.de

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