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Hagen Lesch in der Rhein-Neckar-Zeitung Interview 9. Januar 2018

IG Metall startet Warnstreikwelle: Erst die Arbeitszeit, dann das Geld

Die IG-Metall kann nicht kürzere Arbeitszeiten fordern und unberücksichtigt lassen, dass ein Teil der Belegschaft länger arbeiten möchte, erklärt IW-Tarifexperte Hagen Lesch im Interview mit der Rhein-Neckar-Zeitung. Für eine Einigung im Tarifkonflikt sei es notwendig, dass die Gewerkschaft bereit sei, auch über Arbeitszeitverlängerungen zu verhandeln.

Vor Beginn der dritten Verhandlungsrunde im Tarifkonflikt der Metall- und Elektroindustrie hat die IG Metall die angekündigte Warnstreikwelle anrollen lassen. Am Montag legten nach Gewerkschaftsangaben bundesweit mehrere tausend Metaller zeitweise die Arbeit nieder, um ihrer Forderung nach mehr Geld und neuen Arbeitszeitregeln Nachdruck zu verleihen. In Mannheim fand gestern ein Warnstreik bei der Firma Wabco statt, morgen wird unter anderem bei John Deere gestreikt. Am Mittwoch treffen sich Metaller aus Heidelberg und Umgebung zu einer Kundgebung auf dem Parkplatz der Heidelberger Druckmaschinen AG in Wiesloch mit anschließendem Warnstreik.

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann forderte die Arbeitgeber erneut auf, von ihrem strikten Nein abzurücken und mit der Gewerkschaft über die Arbeitszeit-Forderung zu verhandeln. Die Arbeitgeber halten diese für unrechtmäßig und damit nicht verhandelbar. Die dritte Runde beginnt am Donnerstag im Südwesten. Die IG Metall fordert sechs Prozent mehr Geld und für alle 3,9 Millionen Beschäftigten die Option, ihre Arbeitszeit befristet auf 28 Wochenstunden senken zu können. Schichtarbeiter, Eltern junger Kinder sowie pflegende Familienangehörige sollen einen Teillohnausgleich erhalten, wenn sie ihre Arbeitszeit reduzieren - was die Arbeitgeber kategorisch ablehnen.

Unsere Berliner Redaktion sprach mit Hagen Lesch, Tarifexperte beim Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW).

Herr Lesch, die ersten Streiks in der Metallbranche haben gestern begonnen. Die IG Metall kämpft für die Möglichkeit zu kürzeren Arbeitszeiten bei teilweisem Lohnausgleich. Ist die Forderung berechtigt?

Die Forderung ist gleich zweifach problematisch: Zum einen droht den Unternehmen der Verlust von Arbeitszeit, der ausgeglichen werden müsste. Dies wäre nur zu schaffen, wenn die Gewerkschaft auch längere Arbeitszeiten für diejenigen, die dies wünschen, zulassen würde. Das noch größere Problem ist der Lohnausgleich: Die IG Metall will, dass Vollzeitbeschäftigte, die etwa wegen der Kindererziehung oder der Pflege von Angehörigen kürzer arbeiten wollen, einen Zuschuss bekommen. Das wäre eine unfaire Diskriminierung derjenigen, die keinen Lohnausgleich erhalten, vor allem gegenüber denen, die schon heute Teilzeit arbeiten.

Wären Ausgleichszahlungen für Gesundheitsprävention oder Sorgearbeit illegal?

Diskriminierungen müssen vermieden werden. So wurde die Staffelung der Löhne oder Urlaubstage nach Lebensalter abgeschafft, um jüngere Arbeitnehmer nicht zu benachteiligen. Durch die Forderung der IG Metall würden bestimmte Gruppen klar bevorteilt, etwa Beschäftigte mit Kindern oder Schichtarbeiter, nur weil sie in Teilzeit gehen. Das ist juristisch fragwürdig.

Die Arbeitgeber fürchten den Einstieg in die 28-Stunden-Woche und eine massive Arbeitskräfteknappheit. Eine realistische Sorge?

Fast 20 Prozent der Beschäftigten haben Kinder unter 14 Jahren. Es könnten also sehr viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer versuchen, in den Genuss der besserbezahlten Teilzeit zu kommen. Und sie könnten dies gleich mehrfach machen. Einen flächendecken Einstieg in die 28-Stunden-Woche gäbe es wohl erst mal nicht. Aber die Probleme der Arbeitgeber wären enorm.

Arbeitgeber wollen längere Arbeitszeiten für Mitarbeiter ermöglichen, die dies wünschen. Wird die Gewerkschaft einlenken müssen?

Die IG Metall wird sich hier bewegen müssen. Sie kann nicht einseitig kürzere Arbeitszeiten fordern und unberücksichtigt lassen, dass ein Teil der Belegschaft auch länger als 35 Stunden in der Woche arbeiten möchte. Arbeitszeitflexibilität für beide Seiten ist gefragt. Mit Vorfestlegungen kommt man nicht weiter.

Die Konjunktur brummt, deswegen die Forderung nach sechs Prozent mehr Lohn. Ist das drin für die 3,9 Millionen Beschäftigten?

Die Forderung fällt im Vergleich zu vergangenen Zeiten nicht aus dem Rahmen. Beim Entgelt werden sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer daher einigen können. Die entscheidende Frage ist, ob sich beide Seiten bei der Arbeitszeit aufeinander zubewegen. Erst danach wird es ums Geld gehen.

Erste Streiks haben am Montag begonnen, die IG Metall zeigt sich entschlossen. Droht ein massiver Arbeitskampf?

Das hoffe ich nicht. Entscheidend wird sein, ob die Gewerkschaft bereit ist, auch über Arbeitszeitverlängerungen zu verhandeln. Kritischster Punkt ist aber der Teillohnausgleich. Mehr Lohn für weniger Arbeit - das können die Arbeitgeber nicht akzeptieren. Denn das würde Klagen von denjenigen zur Folge haben, die ohne Lohnausgleich in Teilzeit arbeiten.

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