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Michael Hüther Gastbeitrag 7. Dezember 2006

Wir brauchen eine neue Familienpolitik!

Nur eine wachsende Bevölkerung garantiert künftigen Wohlstand und mehr Generationengerechtigkeit.

Wie kann Politik erreichen, dass sich mehr junge Erwachsene für Kinder entscheiden und ihnen einen guten Start ins Leben ermöglichen können?" So heißt es in der Einladung des Bundespräsidenten zum zweiten Forum Demographischer Wandel, das in dieser Woche stattfand. Eine bevölkerungsorientierte Politik für Familien als Instrument zur Gestaltung des demographischen Wandels findet so zunehmend Akzeptanz. Und dennoch: Immer wieder ist zu hören, dass dies alles ein Irrweg sei.

Natürlich fühlen sich viele angegriffen, weil man den eigenen Entwurffamiliärer Arbeitsteilung – traditionell der Alleinverdienerhaushalt mit dem Vater an der Spitze – durch die Familienpolitik kritisiert, wenn nicht gar diskreditiert sieht. Bei familienpolitischen Fragestellungen prallen individuelle Vorstellungen, sich wandelnde gesellschaftliche Rollenbilder und ökonomische Sachzwange aufeinander. Eine bevölkerungsorientierte Familienpolitik entkommt dem Dilemma nicht, dass sie zwangsläufig tradierte Lebensformen abstrakt neu gewichtet, ohne dies im Einzelfall berechtigt tun zu können.

Gleichwohl: Die Hinnahme des demographischen Wandels als gegeben und unveränderbar, wäre ebenso falsch wie fahrlässig. Doch die These, dass die Bevölkerungsentwicklung beeinflusst werden könne, trifft auf den Einwand, die Politik sei hier weitgehend einflusslos. Diese Kritik unterstellt, dass das heute wirksame generative Verhalten zwangsläufig war und unabhängig von politischen Rahmendaten zustande gekommen ist.

Der Blick auf andere Länder vergleichbarer ökonomischer Entwicklung und kultureller Prägung zeigt aber, dass es jenseits des globalen und säkularen Trends sinkender Geburtenraten deutliche Differenzierungen gibt. So weisen zwar viele europäische Gesellschaften Geburtenraten auf, die unterhalb des bestandserhaltenden Niveaus von 2,1 liegen, doch kein Land hat so lange so niedrige Raten wie Deutschland. So besteht beim demographischen Wandel kein Grund für Fatalismus.

Dies gilt, obgleich man angesichts der langen Tradition der bundesdeutschen Familienpolitik den Eindruck besonderer Ineffektivität gewinnen muss. Doch dieses Versagen hat nicht nur mit der Familienpolitik zu tun, die zu lange einer klaren Fokussierung ermangelte. Sie hat auch mit der unzureichenden Einbindung familienpolitischer Überlegungen in die allgemeine Standortpolitik zu tun. Ein Handlungsfeld der Politik, das unter der Rubrik "Gedöns" geführt wird, kann weder Eigenkraft entwickeln noch andere Akteure überzeugend zum Mittun animieren.

Wenn wir aber akzeptieren, dass wirtschaftliches Wohlergehen – Wachstum – sich durch den Willen, die Fähigkeit, die Chance und den Anreiz zur Arbeit entfalten sowie langfristig sichern lässt, dann gelangen wir schnell zu einer grundlegenden Einsicht: Die Menschen und ihre Qualifikation sind die zentralen Treiber einer expandierenden Ökonomie. Eine schrumpfende Bevölkerung geht mit einem Verlust an Wohlstand und an Chancen einher. Sie ist mit einem Anspruch der Generationengerechtigkeit nicht vereinbar, der den üblichen Blick auf die Erwerbstätigen sowie die Rentner weitet und die Jungen sowie noch Ungeborenen einbezieht. Auch erkennen wir nicht, wie ein Prozess schrumpfender Bevölkerung aus sich heraus zum Stillstand kommen kann.

Das Defizit einer plausiblen automatischen Korrektur in der Zeit ruft in jedem Fall aber nach einer Überprüfung der demographischen Wirkungen bestehender Regelungen. Allein die Weise, wie staatlich definierte Zeitmuster – für die schulische und universitäre Bildung oder das Rentenzugangsalter – die Lebensplanung beeinflussen, macht deutlich, dass der Staat in Bezug auf die höchst individuelle Entscheidung für bestimmte Familienformen und für Kinder gar nicht neutral ist. Kaum ein Land lässt zum Beispiel Menschen mit Hochschulabschluss ein so enges Zeitfenster – in der Regel zwischen 28 und 34 Jahren- für "das Leben lenkende Entscheidungen über Familie, Kinder und Beruf wie Deutschland.

Dass der Staat auch gar nicht neutral sein soll, dass verbindet sich mit dem skizzierten Befund negativer Wachstumsfolgen einer schrumpfenden Bevölkerung. Die Ausweitung der Generationengerechtigkeit auf die noch Ungeborenen dreht die bislang vorherrschende Perspektive, die mehr Kinder zur Stabilisierung unserer Sozialversicherung fordert. Nach den Lebensumstanden künftiger Generationen zu fragen drängt zu einer aktiven Politik der Bevölkerungsorientierung. Für eine solche Politik gibt es keine Zaubermittel. Schon die Vielschichtigkeit der individuellen Entscheidung für oder gegen eigene Kinder macht dies greifbar. Aber wir können versuchen, aus einem klaren Leitbild Ansatzpunkte zu erkennen. So sollte die Politik nicht darauf zielen, bestimmte Lebensentwürfe zu sanktionieren, sondern darauf, dass Paare eine wirkliche Wahl zwischen verschiedenen Familienmodellen haben.

Dies erfordert eine neue Struktur der finanziellen Dimension der Familienpolitik, wie mit dem Elterngeld begonnen und mit der Evaluierung der bestehenden Instrumente in Arbeit. Dies erfordert eine Entzerrung der kurzen Zeitspanne für lebenslenkende Entscheidungen durch offenere Zeitmuster der Bildung. Und es erfordert natürlich eine umfassende und qualitativ hochwertigere Betreuungsinfrastruktur ebenso wie personalpolitisch weitsichtig agierende Unternehmen. All dies können Bausteine einer Strategie zur Bewältigung des demographischen Wandels sein. Der Bundespräsident hat dazu eingeladen, wir sollten diese Chance nicht verstreichen lassen.

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