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Michael Hüther Gastbeitrag 25. Oktober 2007

Was Ungleichheit treibt

Dem technischen Fortschritt kommt eine größere Bedeutung zu als Handel und Kapitalbewegungen.

Fragen der Gerechtigkeit stehen nicht erst seit kurzem auf der Tagesordnung unseres gesellschaftlichen Diskurses. Der gegenwärtig politisch getriebene Streit über die Ausgestaltung der Arbeitslosenversicherung für Ältere ist letztlich nur Reflex einer tief empfundenen Verunsicherung angesichts der weltwirtschaftlichen Umwälzungen. Die seit Beginn der neunziger Jahre beschleunigt fortschreitende Internationalisierung von Arbeit und Wissen hat Sorgen begründet, dass die bei uns erarbeiteten Wohlstandspositionen nicht mehr zu halten seien.

Der Hinweis darauf, dass die Arbeit nicht ausgegangen ist, sondern derzeit in unserem Land mehr Menschen regulär erwerbstätig sind als je zuvor, kann diese Sorgen offenbar nicht mindern. Auch die Tatsache, dass Armut weltweit in den vergangenen Jahren deutlich reduziert und die Lebenserwartung in der Dritten Welt gesteigert werden konnte, überzeugt viele ebenso wenig. Zu martialisch wirken die Veränderungen beim Welthandel und bei den globalen Kapitalbewegungen. So haben sich die grenzüberschreitenden Finanztransaktionen seit 1990, bezogen auf das Welt-Bruttoinlandsprodukt, von seinerzeit 58 Prozent auf 131 Prozent in 2004 gesteigert.

Der Internationale Währungsfonds hat der Frage, wie die Globalisierung auf die Entwicklung der Einkommen wirkt, in seinem jüngsten Ausblick für die Weltwirtschaft eine tiefgehende empirische Analyse gewidmet. Dabei zeigt sich in der Tat, dass die Ungleichheit der Einkommensverteilung weltweit in den vergangenen zwei Dekaden zugenommen hat.

Gleichzeitig gilt aber auch, dass die durchschnittlichen Realeinkommen der ärmsten Bevölkerungsgruppen überall gestiegen sind. Die größere Ungleichheit geht demnach absolut und real nicht zu Lasten der Ärmsten. Sie ist vielmehr durch die vermehrte Bedeutung höherer Einkommen getrieben.

Was steckt als Treibsatz hinter dieser verstärkten Ungleichheit der Einkommensverteilung (für die Fachleute: gemessen mit dem Gini-Koeffizienten)? Die Studie des Währungsfonds bestätigt zwar, dass Handel und Kapitalbewegungen einen Beitrag für die sich ausbreitende Globalisierung leisten. Allerdings kommt dem technischen Fortschritt eine deutlich größere Bedeutung zu. Der Effekt der Globalisierung ist dagegen im Durchschnitt aller Regionen beträchtlich geringer. Zudem wird er nahezu ausgeglichen durch einen besseren Zugang zur Bildung sowie den Rückgang der Agrarbeschäftigung, die gerade in der Dritten Welt mit schlechten Einkommensperspektiven verbunden ist.

Während technischer Fortschritt weltweit die Ungleichheit verstärkt, gilt dies für die Globalisierung nicht, ihre Wirkung hat je nach Entwicklungsstand durchaus unterschiedliche Vorzeichen. In den Industrieländern befördert die Globalisierung nahezu die Ungleichheit mit gleicher Kraft wie der technische Fortschritt. In den Entwicklungsländern wirkt sie hingegen leicht und in den Schwellenländern stark nivellierend. Dahinter verbirgt sich eine unterschiedliche Bedeutung der Globalisierung für die Einkommensverteilung durch Handel einerseits und durch Kapitalbewegungen andererseits.

Es zeigt sich nämlich, dass der boomende Welthandel unter liberalen Bedingungen die Ungleichheit der Einkommen sowohl in den Industrieländern als auch in den Entwicklungsländern mindert. Die Direktinvestitionen verschärfen indes die Ungleichverteilung: in den Zielländern, weil dort die Nachfrage nach relativ qualifizierter Arbeit steigt, und in den Ursprungsländern, weil dort die Nachfrage nach gering qualifizierter Arbeit sinkt. Hier bestätigt sich, was wir seit geraumer Zeit verspüren: Die Globalisierung verlagert Arbeitsplätze, die in Industrieländern als wenig qualifiziert gelten, in Entwicklungsländer, wo sie als anspruchsvoll willkommen sind.

Dies muss die Einkommensposition der entsprechenden Bevölkerungsgruppen in den entwickelten Volkswirtschaften nicht belasten, weil der internationale Handel zugleich die Realeinkommen positiv beeinflusst. Der jeweils verteilbare Kuchen wird größer. Dabei schlägt sich tendenziell auch der Handel mit Vorprodukten günstig in der Produktivitätsentwicklung in den etablierten Ländern nieder. In Europa, so der Währungsfonds, sind die Reallöhne gering Qualifizierter weitgehend im Gleichklang mit denen höher Qualifizierter gestiegen. Freilich hat sich die Beschäftigung der Erstgenannten vermindert, die der zweiten Gruppe hat zugenommen.

So ergibt sich doch ein sehr differenziertes Bild über die Wirkungen der Globalisierung. Einfache Schlussfolgerungen haben zwar oft den schönen Schein der Offensichtlichkeit für sich, können aber dennoch falsch sein. Verantwortliche Politiker – ob in der Entwicklungshilfe oder für den heimischen Arbeitsmarkt – dürfen sich weder von Vorurteilen noch von Gefühlen leiten lassen, selbst wenn der kommunikative Aufwand bei der Nutzung empirischer Erkenntnisse dramatisch wächst.

Aus den Analysen des Währungsfonds ergeben sich auch klare politische Orientierungshilfen. Es erweisen sich gerade offengehaltene Märkte – in Industrieländern wie in Entwicklungsländern – als die zentrale Voraussetzung für eine Teilhabe am globalen Prozess der Wohlstandsmehrung. Die entwickelten Volkswirtschaften müssen gezielt den Arbeitsmarkt flexibilisieren, den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft abkoppeln und die soziale Sicherung leistungsorientiert umbauen.

Auch insofern war die Agenda 2010 richtig. Nun sollte ihre Fortsetzung anstehen, nicht ihre Rücknahme.

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