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Michael Hüther Gastbeitrag 12. Juni 2008

Unbequeme Wahrheiten

Die Verabschiedung neuer Gesetze reicht für eine ernsthafte Beschäftigung mit dem Klimaschutz nicht aus.

Vor einer Woche hat der Bundestag Gesetze zum Kampf gegen den Klimawandel verabschiedet. Bedeutsam sind vor allem die Neufassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes sowie das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz. Die gute Absicht ist greifbar, wenngleich jeder weiß, dass diese Maßnahmenpakete der naturwissenschaftlich umrissenen Dimension der Klimaveränderung nicht gerecht werden können. Beide Gesetze kranken daran, dass sie die Augen vor unangenehmen Wahrheiten verschließen und deshalb Wundermittel verheißen müssen.

Zunächst die Fakten: Es gibt eine intensive Debatte zwischen Klimaforschern über Ausmaß und Zwangsläufigkeit des Klimawandels. Der Zusammenhang zwischen Erderwärmung und dem CO2-Gehalt der Troposphäre ist freilich als gesichert anzusehen. Die CO2-Konzentration ist in den vergangenen fünf Dekaden exponentiell angestiegen und liegt derzeit um mehr als 30 Prozent über dem vorindustriellen Wert. Parallel dazu ist die mittlere globale Oberflächentemperatur in den vergangenen hundert Jahren um 0,74 Grad Celsius angestiegen.

Dieser tatsächlich gemessene Klimaverlauf kann nur rekonstruiert werden, wenn man die vom Menschen verursachte Emission von Treibhausgasen berücksichtigt. Die Szenarien über den weiteren Verlauf weisen allerdings erhebliche Unterschiede auf. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts wird ein Anstieg der globalen Temperatur zwischen 1,8 und vier Grad Celsius erwartet, ein Anstieg des Meeresspiegels zwischen 18 und 59 cm. Damit wird deutlich, dass auch die Naturwissenschaft keine Gewissheit über die Zukunft liefern, sondern nur vorläufiges Wissen anbieten kann.

Maßvolle Politik entspricht dem, indem sie bei der Verfolgung des grundsätzlich unstrittigen Ziels keine Handlungsoptionen ausschließt und zugleich beschrittene Wege für Revisionen offenhält. In jedem Fall ist eine laufende, nüchterne Analyse geboten, die den offenen Diskurs über Vermeidung des Klimawandels bzw. Anpassung an den Klimawandel ohne ideologische Blockaden ermöglicht. Die Politik muss sich der Frage stellen, wie die Ziele zur Minderung des CO2-Ausstoßes mit dem freiwillig begrenzten Instrumentenset erreicht werden sollen.

Das Gesetz über erneuerbare Energien soll bis 2020 rund 30 Prozent der insgesamt anvisierten CO2-Minderung ermöglichen. Dazu wird ein aberwitziger Subventionsmechanismus aufrechterhalten, der gerade bei der Photovoltaik zu enormen Kosten für die Verbraucher und zu stark verzerrten Anreizen für die Produzenten führt. Bislang werden gerade einmal 0,7 Prozent des in Deutschland benötigten Stroms durch derartige Anlagen produziert, perspektivisch ist ein Anteil von zwei Prozent zu erwarten. Die gute Absicht reicht, um umfangreiche finanzielle Stützung zu erhalten.

Die Steigerung des Wirkungsgrades aller Kohlekraftwerke um einen Prozentpunkt würde rund 4,3 Millionen Tonnen CO2 vermeiden, gut zweieinhalbmal so viel wie durch die bestehenden Photovoltaikanlagen. Hier greift die politische Blockade: Eine fragwürdige Verdammung konventioneller Techniken verhindert eine effiziente CO2-Minderung ebenso wie eine tragfähige Lösung für den Energiemix.

Dagegen hat die Internationale Energieagentur jüngst mit einer Studie klargemacht, welche Notwendigkeiten zu beachten sind. Die für den Klimaschutz als zwingend angesehene Halbierung der CO2-Emissionen erfordere global jährlich 32 neue Kernkraftwerke sowie 55 Kohle- und Gaskraftwerke, deren CO2-Ausstoß gelagert werden soll. Man wird ohne diese Energieträger nicht auskommen. Letztlich kann nur eine globale Lösung wirksam helfen, Klimaschutz ist ein globales öffentliches Gut. Die Schwierigkeiten einer solchen Übereinkunft resultieren aus unterschiedlichen Belastungen der Länder durch den Klimawandel und den dadurch gesetzten Anreizen, als Trittbrettfahrer zu agieren.

Eine andere unbequeme Wahrheit verbirgt sich hinter dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz, mit dem zusätzlich zur KfW-Förderung der energetischen Gebäudesanierung die Investitionen in klimafreundliche Wärmetechnik (Heizung und Warmwasser) angeregt werden soll. Insgesamt ist der Gebäudebereich – private Haushalte und Dienstleistungssektor – für rund ein Drittel der deutschen Emissionen von Treibhausgasen verantwortlich, wobei davon knapp 70 Prozent auf Raumwärme, Warmwasser sowie Kühlung entfallen. Insofern besteht hier Handlungsbedarf.

Die Gesamtkosten allein der energetischen Wohngebäudesanierung auf den Sieben-Liter-Standard liegen – je nach einbezogenem Baujahr – zwischen 165 und 220 Milliarden Euro. Das KfW-Förderprogramm erreicht derzeit jährlich nur 77.000 Wohnungen, mithin 0,2 Prozent des Bestands. Würde das Programm bis 2020 verlängert, beteiligte sich der Staat gerade einmal mit vier bis 4,5 Prozent an den Investitionskosten. Da staatliche Gelder nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen, muss nach adäquaten Rahmenbedingungen für die Investoren gefragt werden. Hier ist vor allem das Mietrecht bedeutsam, das derzeit umfangreichen Sanierungen eher entgegensteht.

Zwar kann der Vermieter elf Prozent der Modernisierungskosten an die Mieter weitergeben, die Miete darf dadurch die ortsübliche Vergleichsmiete aber um nicht mehr als 20 Prozent übersteigen. Diese Grenze ist in Regionen mit niedrigen Durchschnittsmieten schnell erreicht. Überdies geht es dabei allein um die Kaltmiete, Einsparungen bei den Energiekosten dürfen nicht gegengerechnet werden. Wer es mit dem Klimaschutz ernst meint, der muss auch eine Novellierung des Mietrechts ins Auge fassen. Klimapolitik ist keine Schönwetterveranstaltung. Am Mut zur Wahrheit zeigt sich die Ernsthaftigkeit der Politik.

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