Schuldenmachen ist in der Politik zu einer schlechten Angewohnheit geworden. Die Schuldenbremse ist deshalb eine gute Sache – vorausgesetzt, sie wird konsequent umgesetzt, schreibt Tobias Hentze, Steuerexperte im Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung.
Eine Frage der Gerechtigkeit
Das Schuldenmachen ist in der deutschen Politik in den vergangenen Jahrzehnten zu einer schlechten Angewohnheit geworden. Umso stolzer verkündete daher Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble Anfang Januar, dass für das abgelaufene Jahr 2014 erstmals seit 1969 die Ausgaben des Bundes nicht höher waren als die Einnahmen. In den vergangenen 45 Jahren zwischen 1969 und 2014 musste dagegen jeder Bundesfinanzmister Jahr für Jahr neue Schulden aufnehmen. Der Schuldenberg türmte sich dadurch immer höher auf – doch kaum jemand schien sich daran zu stören. Schwierige Herausforderungen wurden dank neuer Kredite einfach auf morgen vertagt: eine verlockende Art der Problemlösung – gerade für Wahlkämpfer.
Schulden sind nicht per se Teufelszeug: Wer eine Wohnung, ein Auto oder eine Küche kauft, verschuldet sich oft aus gutem Grund, um die große Anschaffung finanzieren zu können. Der Unterschied ist jedoch, dass private Käufer verpflichtet sind einen Kredit innerhalb einer bestimmten Zeit und in festgelegten Raten wieder zurückzuzahlen. Dieses Prinzip scheint in der Politik verloren gegangen: Schulden, die in wirtschaftlich schwierigen Zeiten sinnvollerweise aufgenommenen werden, werden in der nächsten Boom-Phase nicht beglichen. Ganz im Gegenteil: Selbst im Boom geht das Schuldenmachen weiter.
Für Politiker sind neue Schulden wie ein großer Schokoladenkuchen, an dem sie eigentlich täglich vorbeigehen müssten – doch oft werden sie schwach. Da Politiker sich selbst aber am besten kennen und wissen, dass sie der süßen Versuchung kaum widerstehen können, haben sie sich mit der Schuldenbremse zur Selbstdisziplinierung verpflichtet: Mit dieser selbstverordneten Diät dürfen sie nämlich kein, oder nur noch ein sehr kleines Stück vom Kuchen kosten. Wie bei jeder Diät führt es nur zum Erfolg, wenn strikte Regeln befolgt werden. Für die Politik stehen diese Regeln seit 2009 im Grundgesetz. Der Bund darf ab 2016 durch die Schuldenbremse in wirtschaftlich normalen Zeiten maximal neue Schulden in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) aufnehmen, das wären derzeit rund 10 Milliarden Euro. Während eines wirtschaftlichen Abschwungs ist der Spielraum – je nach Berechnungen des Bundesfinanzministeriums über die Schwere der Krise – größer, um den Wirtschaftsmotor wieder ankurbeln zu können. Für die Bundesländer fallen die Vorgaben indes noch strenger aus: Ab dem Jahr 2020 herrscht für sie das vollständige Verbot der Neuverschuldung.
Die Diät in Form der Schuldenbremse ist für Deutschland sehr sinnvoll. Denn die Jahre des maßlosen Schlemmens führten u.a. dazu, dass Deutschland bis heute gegen die selbstunterzeichneten Verträge der Europäischen Union, die sogenannten Maastricht-Kriterien, verstößt. Der Schuldenstand beträgt nämlich mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts: Seit einigen Jahren übertreffen Deutschlands Schulden die Schwelle von 2.000.000.000.000 Euro, also 2 Billionen Euro - und jede Sekunde kommen 173 Euro hinzu, wie die Schuldenuhr des Steuerzahlerbundes anzeigt. Konsequenzen hat Deutschland indes kaum zu befürchten, da sich das Land »in bester Gesellschaft mit den meisten anderen Euro-Ländern« befindet. Obwohl der Bundeshaushalt derzeit ohne neuen Schulden auskommt, wird es dauern, bis der Zeiger der Schuldenuhr rückwärst läuft. Anders als der Bund schreiben einige Bundesländer nämlich weiterhin rote Zahlen. Nach »Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft« Köln (IW) müssen insbesondere Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland ihre Hausaufgaben noch machen. Damit alle Bundesländer das bis 2020 erfolgreich schaffen, ist es wichtig, dass Bund und Länder grundlegend klären, wer für welche Aufgaben zuständig ist und wie diese finanziert werden sollen. Sonst laufen einige Bundesländer Gefahr, nicht mehr Herr über die eigenen Finanzen zu sein. Derzeit geben sich alle Seiten unnachgiebig: Die Länder beharren auf mehr Geld aus dem Steuertopf, um die vom Bund übertragenen Aufgaben vor allem im sozialen Bereich erfüllen zu können. Der Bund stellt sich bislang quer.
Ein Manko der Schuldenbremse müsste allerdings noch behoben werden: Es mangelt an Sanktionen, die beim verbotenen Naschen greifen, also dann, wenn doch wieder neue Schulden gemacht werden. Deshalb sollte der sogenannte Stabilitätsrat, der kontrolliert, ob die Schuldenbremse eingehalten wird, so gestärkt werden, dass er Vergehen ahnden kann – indem er zum Beispiel direkt in die Haushalspolitik eingreifen darf. Trotz dieses Makels zeigt die Schuldenbremse bereits erste Wirkungen: Eine solide Haushaltspolitik schafft Vertrauen und fördert Wachstum und Beschäftigung in einer Volkswirtschaft. Entsprechend trägt die Diät ihren Teil dazu bei, dass die Beschäftigungslage derzeit sehr gut ist und die Wirtschaft schneller wächst als viele erwartet hatten. Kaum ein Land in Europa hat die Wirtschafts- und Finanzkrise nach 2008 so gut überstanden wie Deutschland. Eine solide Haushaltspolitik ist dabei ein Schlüssel zum Erfolg. Was passiert, wenn Regierungen die Dimension der Staatsschulden aus dem Blickfeld verlieren, lässt sich in einigen Ländern Südeuropas beobachten. Letztendlich gilt für den Staat das Gleiche wie auf privater Ebene auch: Zu hohe Schulden führen zur Zahlungsunfähigkeit und damit zu Umstürzen – wie derzeit in Griechenland zu beobachten. Dass der vermeintliche Musterknabe Deutschland dabei eher der Einäugige unter den Blinden denn ein Vorbild ist, wird in der Diskussion teilweise vergessen.
Die Schuldenbremse ist aber vor allem eine Frage der Gerechtigkeit: Sie wird dabei helfen, dass unsere Generation den kommenden Generationen nicht nur Schulden hinterlässt. Anstatt lediglich den Notstand zu verwalten, sichert die Schuldenbremse den kommenden Generationen den Spielraum, selbst darüber zu entscheiden, wie eine moderne Volkswirtschaft aussehen soll. Für die heutigen Politiker bedeutet dies, zukunftsorientierte Investitionen vor allem in Bildung und Infrastruktur von unnötigen Ausgaben zu trennen. Wer jetzt in Zeiten der „schwarzen Null“ – so das geflügelte Wort für einen Haushalt ohne neue Schulden – überlegt, ob der Staat nicht einfach wieder mehr ausgeben könnte oder sollte, dem hilft vielleicht der Gedanke an das eigene Leben: Wer es nach Monaten oder Jahren endlich schafft, sein Wunschgewicht zu erreichen, wird vieles dafür tun, dass er das Gewicht hält und die ganze Anstrengung nicht vergebens war. Und das bedeutet, sich dauerhaft bewusst und gesund zu ernähren. Daher ist es so wichtig, dass die Politik diese Chance ergreift. Auf Dauer kann der Einzelne nur in einem gesunden System gut leben. Auf diesem Weg ist die Festschreibung der Schuldenbremse im Grundgesetz ein Meilenstein in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Zum Gastbeitrag auf bpb.de
Wirtschaftspolitisches Monitoring des Bundeshaushalts
Die vorliegende Studie setzt das wirtschaftspolitische Haushaltsmonitoring des Bundeshaushalts fort, um, ausgehend vom Jahr 2014, nachzuvollziehen, inwieweit die von der Politik formulierten Absichten zur verstärkten Ausrichtung des Bundeshaushalts auf ...
IW
„Die kommenden zehn Jahre werden die schwierigsten”
Deutschlands Wirtschaft steht unter Druck. Eine alternde Gesellschaft, teure Energie und eine sehr teure Klimawende kommen auf das Land zu. Doch der Weg aus der Krise ist gar nicht so kompliziert, sagt IW-Direktor Michael Hüther im Interview mit der Südwest ...
IW