Die Lebensleistungsrente soll Menschen helfen, die lange gearbeitet, aber wenig verdient haben. Dabei werden einige andere vergessen. Ein Gastbeitrag auf Zeit Online von IW-Sozialökonomin Susanna Kochskämper.

Warum sollen nur Geringverdiener profitieren?
Jetzt also doch: Bundessozialministerin Andrea Nahles hatte der Lebensleistungsrente zwar zwischenzeitlich eine Absage erteilt. Aber der nächste Koalitionsgipfel zum Thema Rente ist nicht mehr fern, an diesem Freitag ist es soweit. Doch ein grundsätzliches Problem im Konzept der Lebensleistungsrente bleibt bestehen. So zumindest ist es den Angaben des Ministerium zu entnehmen: Ziel sei es weiterhin, die Alterssicherung für langjährig beschäftigte Geringverdiener zu verbessern. Es soll stärker als bisher vermieden werden, dass jemand, der im Leben lange gearbeitet hat, am Ende auf Grundsicherung angewiesen ist.
Die Grundidee der Lebensleitungsrente bleibt also im Kern unangetastet, nur soll sie jetzt der Steuerzahler finanzieren. Das Konzept ist jedoch insgesamt ungerecht – ein Umstand, der bislang in der Diskussion kaum berücksichtigt wird. Es fußt auf dem Gedanken, dass derjenige, der viele Jahre arbeiten konnte, eine besondere Behandlung verdient habe. Die Gruppe der langjährigen Geringverdiener soll somit privilegiert werden. Zurückgelassen werden aber viele Menschen, die möglicherweise unverschuldet nicht lange genug arbeiten konnten, um im Alter über das Niveau der Grundsicherung hinaus Rentenansprüche erworben zu haben.
Und dabei geht es nicht um den faulen Langzeitarbeitslosen – ein Stereotyp, der sich hartnäckig hält. Sicherlich gibt es solche Fälle, doch mehr noch andere, die keineswegs aus Untätigkeit im Alter auf Grundsicherung angewiesen sind: hart arbeitende Selbstständige, die außerhalb der Rentenkasse vorsorgen, deren Ersparnisse dann aber nicht für das Alter reichen; Menschen mit gebrochenen Erwerbsbiographien, wie etwa die alleinerziehende Mutter, die gerne arbeiten würde, aber keinen Job findet, der mit den angebotenen Betreuungszeiten zusammenpasst; und es wäre höchst zynisch, denjenigen als faul zu bezeichnen, der unverschuldet in jungen Jahren durch einen Unfall erwerbsunfähig wurde.
Alle diese Menschen können später keine so lang anhaltende sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorweisen, die sie als langjährige Beschäftigte für die Lebensleistungsrente qualifizieren würde – zuletzt wurden dafür 35 Beitragsjahre diskutiert. Für all jene, die diese Zeit aus verschiedensten Gründen nicht aufweisen können, scheint es also zumutbar, im Alter zum Sozialamt zu gehen.
Denkt man diesen Gedanken konsequent zu Ende, sind sie uns als Solidargemeinschaft weniger wert. So zugespitzt zeigt sich der soziale Sprengstoff von Nahles' Konzept, das willkürliche Maßstäbe anlegt. Diese Betrachtungsweise liegt nahe in unserem Land, in dem sich eine Mehrheit stark über ihre Arbeit und ihre Leistungsfähigkeit definiert. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung maßen die Befragten der Arbeit mit 34 Punkten den zweithöchsten Stellenwert in ihrem Leben zu – nur die Familie lag mit 39 Punkten knapp darüber.
Hinzu kommt, dass sozialversicherungspflichtige Beschäftigung allen Vorurteilen zum Trotz hierzulande nach wie vor der Normalfall ist, dies gilt für mehr als 70 Prozent der arbeitenden Bevölkerung. Die Idee, langjährig Beschäftigte bevorzugt zu behandeln, mag deshalb auf einige Zustimmung stoßen. Gepaart mit Stereotypen und Vorurteilen führt dies aber zur Diskriminierung von Menschen, die – aus verschiedenen Gründen – keine so langen oder eben nicht sozialversicherungspflichtige Beschäftigungszeiten aufweisen können, die sie für diese bevorzugte Behandlung qualifiziert. Schließlich sind viele Einzelschicksale denkbar, die zur Bedürftigkeit im Alter führen können. Für jeden Einzelfall Gerechtigkeit schaffen zu wollen, scheint utopisch zu sein.
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