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Michael Hüther Gastbeitrag 2. Februar 2006

Schluss mit der Folklore

Die Evaluation der Hartz-Reformen zeigt, dass wir mehr ordnungspolitische Konsequenz auf dem Arbeitsmarkt brauchen.

Verehrte Leserin, verehrter Leser, erinnern Sie sich noch, was uns vor vier Jahren aufregte und seitdem kaum loslässt? Der Skandal um die deutsche Arbeitsverwaltung. Es ist fast auf den Tag genau vier Jahre her, dass Presseberichte die vernichtende Kritik des Bundesrechnungshofs an der Vermittlungsleistung der Arbeitsämter öffentlich machten. Die Politik hatte darauf mit großer Geste durch die Einberufung der Hartz-Kommission reagiert.

Angesichts der Arbeitsmarktdaten für den Januar geraten die seinerzeit als "größte Arbeitsmarktreform aller Zeiten" bewerteten Vorschläge der Expertenkommission grundsätzlich in den Blick. Denn in diesen Daten spiegelt sich der reformerische Kern der Hartz-Gesetze: Einerseits ist das Niveau unverändert von der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe geprägt, andererseits hat sich die zum 1. Februar wirksam gewordene Verkürzung der Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld I einmalig durch das Vorziehen von Kündigungen bei älteren Arbeitnehmern ausgewirkt.

Während auf den ersten Blick also Belastungen für den Arbeitsmarkt resultierten, zeigt eine genauere Analyse, dass dahinter wichtige Weichenstellungen stehen. Die Wirkungen einer verkürzten Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld können auf Grund einer Vielzahl internationaler Untersuchungen eingeschätzt werden. Auf mittlere Sicht führen die dadurch verstärkten Suchanstrengungen auf Seiten der Arbeitslosen zu mehr Beschäftigungsaufnahmen und damit zu einer Minderung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Bedeutsam ist auch, dass dadurch das Risiko einer Entwertung des Erfahrungswissens gemindert wird.

Aber gut Ding braucht Weile. Dies gilt ebenso für die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zu einer Grundsicherung für Arbeitssuchende. In Regionen, wo die Job-Center voll arbeitsfähig sind, zeigt sich, dass das Fördern als notwendige Ergänzung des Forderns auch seine positiven Wirkungen entfaltet. Die Reintegration von Menschen, die längere Zeit arbeitslos waren, ist eine besondere Herausforderung. Sie kann – wie wiederum internationale Erfahrungen zeigen – nur gelingen, wenn neben richtig gesetzten Anreizen auch die individuelle Ansprache und Förderung gelingen.

Neben diesem reformerischen Kern haben sich die übrigen Vorschläge der Hartz-Kommission als Reformfolklore erwiesen: viel Lärm um wenig Substanz. Die Vorschläge waren zwar gut vermarktet und witzig betitelt, doch das Urteil der ersten Evaluation, die am Mittwoch im Bundeskabinett präsentiert wurde, lautet: zumeist teuer und ineffizient. Während Weiterbildungsangeboten lediglich eine mangelnde Nachhaltigkeit attestiert wird, haben Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen "die Integrationschancen von Teilnehmern verschlechtert".

Vermittlungsgutscheine und die Beauftragung Dritter für die Vermittlung haben sich als unwirksam erwiesen, die Personal-Service-Agenturen fuhren sogar zu einer verzögerten Integration in Erwerbstätigkeit. Einzig die Förderung der Existenzgründung durch Überbrückungsgeld und Ich-AG habe erfolgreich Brücken in die Beschäftigung gebaut.

Damit bestätigt sich: Die aktive Arbeitsmarktpolitik ist vor allem eine Strategie der Beruhigung – für die Politik, die sich durch gut Gemeintes ein gutes Gewissen verschafft, und für die Arbeitslosen, die den Eindruck umfänglicher Betreuung erhalten. Es gehört deshalb zu den größten Erfolgen der im Nachgang zum Vermittlungsskandal betriebenen Umsteuerung, dass die lange geheiligte Politik der Arbeitsbeschaffung – für jedermann erkennbar und kaum noch strittig – entzaubert wurde. Die entsprechenden Ausgaben im Haushalt der Bundesagentur sanken von 2001 bis 2005 um fast 8,5 Milliarden Euro beziehungsweise 40 Prozent – ohne Rückgang des Eingliederungserfolgs. Die bisherige Konsolidierungsleistung der Bundesagentur ist beachtlich.

Wer sich an die Diskussionen um die Beschäftigungspolitik aus den achtziger und den neunziger Jahren erinnert, der wird einschätzen können, welch großen Fortschritt die heute selbstverständliche Evaluation der entsprechenden Instrumente darstellt. Hier liegt der eigentliche Gewinn der bisherigen Reform der Arbeitsverwaltung.

Wenig erbaulich ist im Vergleich dazu nach wie vor die Vermittlungsleistung, die vor vier Jahren den Prozess der Neuorientierung auslöste. Ob Vermittlungsquote, Marktanteil oder Einschaltungsgrad: die Arbeitsagenturen sind fortlaufend auf dem Rückzug. Der Grund dafür dürfte allerdings weniger in den mangelnden Vermittlungsbemühungen liegen, als vielmehr in dem geänderten Suchverhalten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. In zunehmendem Maß gewinnen virtuelle Jobbörsen an Bedeutung.

Die erste Evaluation "der größten Arbeitsmarktreform aller Zeiten" führt zu der Einsicht, mehr ordnungspolitische Klarheit und Konsequenz für den Arbeitsmarkt zu fordern. Dies bedeutet erstens eine Reduzierung der Arbeitsverwaltung auf ihre Kernfunktion, die Organisation und Abwicklung der Arbeitslosenversicherung. Es erfordert zweitens die sukzessive Rückführung der Bundesagentur aus der klassischen Vermittlung von Arbeitslosengeldempfängern sowie – damit verbunden – drittens die Intensivierung der Ansprache und Betreuung von ALGII-Empfängern.

Viertens muss evaluationsgestützt die Revision der aktiven Arbeitsmarktpolitik weitergetrieben werden. Sie stellt übrigens erstmals einen neuen Ansatz der Gesetzesfolgenanalyse und beim Bürokratieabbau dar. Fünftens ist beim Arbeitslosengeld II der Anreiz zur Arbeitsaufnahme zu stärken. Also weniger Folklore, mehr Substanz.

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