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Michael Hüther Gastbeitrag 30. November 2006

Schlag nach bei Dostojewski

Die Finanzierung wichtiger Aufgaben durch Lotterieeinnahmen bedingt nicht die Aufrechterhaltung eines Staatsmonopols.

Ich habe mich ganz einfach zu Grunde gerichtet. Meine Lage lässt sich überhaupt mit nichts vergleichen, und es hat auch keinen Zweck, mir selber Moral zu predigen! ... Was bin ich jetzt? Zero." So bilanziert Aleksej Iwanowitsch in Dostojewskis Roman "Der Spieler" sein Leben. Die Spielsucht hat Aleksej so weit getrieben, dass selbst die Aussicht auf die Erfüllung einer unerwidert geglaubten Liebe keine Hoffnung auf Heilung begründet. Dieses Krankheitsbild prägt bis heute in vielen Ländern den staatlichen Umgang mit dem Glücksspiel.

In Deutschland stehen nun Änderungen an, weil die EU-Kommission die enge Abschottung des hiesigen Glücksspielmarktes aufbrechen will. Insbesondere die Diskriminierung von ausländischen Wettanbietern stört Brüssel. Diese verstoße gegen die Dienstleistungsfreiheit in der EU. Das Argument der deutschen Landesgesetzgeber, die staatlichen Monopole würden dem Schutz der Bürger vor der Spielsucht dienen, habe sich angesichts der durch intensive Werbung getragenen Expansion der Glücksspielbetriebe verbraucht.

Anfang Dezember soll von den Bundesländern ein neuer Staatsvertrag beschlossen werden, der das Glücksspiel regelt. Gegen diesen richten sich bei uns öffentliche Proteste. Private Wettvermittler sehen sich ebenso in ihrer Existenz gefährdet wie die staatlichen Klassenlotterien. Das Verbot von Glücksspielen im Internet, vor allem aber das Untersagen von "unverlangter Übermittlung von Werbematerial" werden als Bedrohung des eigenen Geschäftsmodells gesehen. Die Länder wollen so allerdings der Attacke aus Brüssel auf ihren Monopolanspruch begegnen.

Dieser Versuch ist nur allzu verständlich, denn es geht um sehr viel Geld. Fast 4,5 Milliarden Euro fließen aus speziellen Steuern und Konzessionsabgaben an die Länder. Zusammen mit den Einnahmen aus den Alkoholsteuern erzielt der deutsche Fiskus knapp acht Milliarden Euro mit suchtverdächtigem Verhalten der Bürger, die zu schützen er eigentlich vorgibt. Daneben werden die Gewinne der Lotterieveranstalter zweckgebunden für soziale, kulturelle und sportliche Einrichtungen verwendet. Dabei handelt es sich wiederum um Beträge in Milliardenhöhe.

Die Widersprüchlichkeit des staatlichen Handelns ist eindrucksvoll: Der Schutz der Bürger vor der eigenen Sucht wird mit Monopolstrukturen beantwortet, die nicht unerhebliche Beiträge mobilisieren. Pecunia non ölet! Zwei Fragen drängen sich auf: Muss der Bürger wirklich vor sich selbst geschützt werden? Und wenn ja, dann wie? Und: Trägt das Argument, mit den Erträgen des Glücksspiels "wichtige Aufgaben" finanzieren zu können, für die Beibehaltung des staatlichen Monopols?

Zunächst: Das Glücksspiel hat eine lange Tradition staatlicher Obacht. Die Gefahren der Spielsucht, die uns Dostojewskij aus eigenem Erleben so grandios schildert, sind vielfach erörtert worden. Irritieren mag, dass Menschen anscheinend bewusst oder unbewusst irrational handeln. Für den Einsatz beim Lotto oder anderen Glücksspielen ist mit einer negativen Rendite zu rechnen. Betrachtet man die planmäßigen Gewinnausschüttungen deutscher Anbieter, so ergibt sich je Spiel eine Rendite von minus 50 Prozent. Die Hälfte der Einsätze verbleibt beim Veranstalter, geht an den Fiskus oder wird für soziale Einrichtungen verwandt.

Die "grundsätzliche Missbilligung solcher Veranstaltungen durch die Rechts- und Sittenordnung", so der Bundesgerichtshof im Jahr 1999, stützt den staatlichen Eingriff in den Glücksspielmarkt. Wollte man konsequent sein, dann müsste beispielsweise auch der Alkoholkonsum unter staatliche Kuratel gestellt werden. Ein tragfähiges Argument verbindet sich damit jedoch nicht.

Zweifellos besteht Regulierungsbedarf. Denn beim Glücksspiel existieren Anreize zu betrügerischem Verhalten, weil die Spieler keinen vollständigen Überblick über das gesamte Spiel haben. Der Manipulationsfall Hoyzer, der die Fußballbundesliga in Misskredit brachte, macht die Potenziale deutlich.

Dennoch spricht alles für die Zulassung privater Anbieter und die Privatisierung der staatlichen Lottogesellschaften. Die Betreiber sollten freilich zur Offenlegung der Spielmodalitäten – Ausschüttungsquoten, Gewinnwahrscheinlichkeiten, Spielregeln – verpflichtet sein. Soll der Verleitung zu exzessivem Spiel begegnet werden, wäre die Werbung einzuschränken. Kontrollen der Glücksspielbetreiber durch Zertifizierungsinstitutionen ("Glücksspiel-Tüv") könnten Manipulationen vermeiden. Schließlich ließen sich durch eine Begrenzung der Spieleinsätze die Akteure vor übermäßigen Verlusten ansatzweise schützen.

Der stets zu hörende Hinweis auf die Finanzierung vieler vermeintlich oder tatsächlich wichtiger Aufgaben durch Lotterieeinnahmen ist kein wirklich gutes Argument gegen eine Öffnung des Glücksspielmarktes. Denn hier werden Gelder in Milliardenhöhe über Nebenhaushalte vorbei an der parlamentarischen Budgetkontrolle bestimmten Verwendungszwecken zugeführt.

Die dadurch bestehenden finanziellen Komfortzonen entwickeln, wie die verschiedenen Skandale in den deutschen Lottogesellschaften belegen, eine ganz eigene Anreizstruktur.

Der Wettbewerb um knappe öffentliche Mittel kommt zudem durch diese Art der Finanzierung nicht zum Tragen. Die Tendenz zu einer wenig effizienten Mittelverwendung ist angelegt. So muss es nicht verwundern, wenn Sportbünde die Absicherung des staatlichen Monopols begrüßen, weil damit "die bewährte Finanzierungsgrundlage für die Sportförderung der Länder gesichert" sei.

Offenkundig wird die Begeisterung über das eigene Tun als Ersatz für eine regelmäßige parlamentarische Legitimation angesehen. Wie heißt es bei Dostojewskij: "Kann es etwas Dümmeres geben als Moral in so einer Zeit?"

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