Zwischen Unternehmern und Politikern reißt eine immer tiefere Kluft auf.
Resistent gegen Erkenntnis
Die Mienen deutscher Politiker verraten derzeit hohen Leidensdruck. Ursache ist allerdings nicht etwa der Stillstand in der Wirtschaftspolitik oder die Sorge um die Konjunktur. Was die Politiker belastet, ist vielmehr ein tiefes Unverständnis für unternehmerisches Handeln. Siemens, BMW und Henkel haben vor zehn Tagen ihre Pläne bekanntgegeben. Für die nächsten Jahre ist mit einem" Abbau an Arbeitsplätzen zu rechnen, und zwar an allen Standorten weltweit. Da war der Aufschrei groß, nachdem zuvor schon die Steuerhinterziehung Einzelner die Gemüter erregt hatte.
Politiker bringen sich mit gespielter emotionaler Betroffenheit in eine komfortable Situation. Denn so können es Unternehmer ihnen niemals recht machen. Wenn sie in guten Zeiten Vorsorge für Unwägbarkeiten oder erkennbare Anpassungslasten leisten, dann werden sie als Renditegierhälse ohne soziale Verantwortung verleumdet. Wenn Unternehmer die Anpassungen aber zur rechten Zeit unterlassen und in rezessiven Phasen zu dramatischen Einschnitten gezwungen sind, gelten sie als Versager, denen in wichtigen Momenten der Weitblick gefehlt hat.
Dass diese Bewertungen nicht zusammenpassen, stört ebenso wenig wie die Gefahr, dass der Gesprächsfaden zwischen beiden Gruppen zerreißt. Durch globale Beschimpfung wird man die Unternehmer als Interessengruppe los. Wirtschaftspolitik muss dann nicht mehr stattfinden, alles kann sich auf .Sozialpolitik konzentrieren. Die Frage nach der Entstehung des Wohlstands wird nicht mehr gestellt. Die Politiker verkennen indes, dass – wie es der große Ökonom Oskar Morgenstern vor 75 Jahren formuliert hat – "Hindernisse, die das wissenschaftliche Denken nicht überwindet, auch durch keine andere Bemühung oder Anstrengung überwunden werden können".
Doch in der Welt der Koalitionsverabredungen und Parteibeschlüsse scheint vieles möglich. So hat die Kanzlerin beim Gespräch mit den Spitzen der deutschen Wirtschaft vor einer Woche jede Kritik selbst an jenen Gesetzentwürfen ihres Sozialministers zum Mindestlohn zurückgewiesen, die mit dem Koalitionskompromiss vom 18. Juni 2007 nur wenig zu tun haben. Ob die Tatsache, dass das Kanzleramt gegen den Versand der Entwürfe bislang Einspruch erhoben hatte, Mut machen kann, werden wir erst noch herausfinden müssen. Zurzeit können wir nur den sturen Willen der Regierung zur Kenntnis nehmen, durch ihr Handeln Arbeitsplätze zu gefährden.
Dabei sollte der Arbeitsmarkt Mut machen. Wer schon nicht glauben will, dass die positive Beschäftigungsentwicklung auch auf die Arbeitsmarktreformen zurückgeht, der sollte wenigstens sehen, dass es den von der Kritik deklamierten negativen Effekt nicht gegeben hat. Doch die Verfechter einer anderen Politik halten sich gar nicht mit dieser für sie ohnehin unbequemen Frage auf. Stattdessen wird der Fortschritt am Arbeitsmarkt schlicht geleugnet – mit dem Hinweis darauf, dass sich die Arbeitsproduktivität kaum anders entwickle als früher.
Die Produktivität jedoch ist eine sich endogen anpassende Variable; sie ist damit für die Beantwortung dieser Frage völlig ungeeignet. Eindeutig ist hingegen der Rückgang der Arbeitslosigkeit: Innerhalb der vergangenen drei Jahre betrug er mehr als 1,5 Millionen Personen. Dabei war die Anzahl der Teilnehmer in Programmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik parallel rückläufig. Die Erwerbstätigkeit liegt mit knapp 40 Millionen Menschen auf historischem Höchststand, die Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung um gut 1,1 Millionen über dem letzten Tiefststand.
Dies ist nur möglich gewesen, weil die Unternehmer in ihrer übergroßen Mehrheit die Hausaufgaben zur rechten Zeit gemacht hatten. Nur dadurch konnten die Impulse der Weltwirtschaft unter den verbesserten wirtschaftspolitischen Bedingungen wirken. Im global getriebenen Strukturwandel müssen aber fortlaufend Anpassungsleistungen erbracht werden. Nichts kann auf längere Sicht beansprucht werden. Gerade wenn die Gewinne sprudeln, die den Erfolg der Vergangenheit reflektieren, muss der Blick nach vorne gerichtet werden – auch wenn es schmerzt.
Dabei ist der Mangel an verfügbaren Fachkräften ein bedeutsames Problem. Bereits 2006 konnten nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln für das Bundeswirtschaftsministerium 165.000 Stellen gar nicht und 65.000 Stellen nur verzögert besetzt werden. Damit verband sich ein Wertschöpfungsverlust von 18,5 Milliarden Euro. Die Dynamik des Arbeitsmarktes zeigt sich auch daran, dass seit Anfang des Jahrzehnts die Anzahl arbeitsloser Ingenieure um 70 Prozent, die arbeitsloser Techniker um mehr als 50 Prozent und die arbeitsloser Industrie- und Werkmeister um 75 Prozent abgenommen hat.
Die Antworten der Bundesregierung, formuliert auf der Klausur in Meseberg, sind unzureichend. Immer noch erfordert eine unbefristete Niederlassungserlaubnis für hochqualifizierte Fachkräfte aus Ländern außerhalb der EU ein Jahresgehalt in Höhe von mindestens 85.000 Euro. Das ist deutlich mehr als die Grundbezahlung für einen ordentlichen Professor an einer deutschen Landesuniversität. Zu erkennen, dass diese straffe Regel keine Arbeitsplätze schützt, sondern die Schaffung neuer Stellen verhindert, setzt Einsicht in die Funktionsweise des Strukturwandels voraus.
Doch wie hatte schon Oskar Morgenstern formuliert: "Die Welt würde sich heute in einem wesentlich besseren Zustande befinden, wenn die Allzuzahlreichen, die, über die Nationalökonomie lächelnd, diese zum Opfer ihres dünnen Spotts wählen – und von denen viele für die Wirtschaftspolitik verantwortlich zeichnen -, überhaupt imstande wären, ein ernsthaftes ökonomisches Werk verständnisvoll durchzuarbeiten."
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