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Michael Hüther Gastbeitrag 13. Dezember 2007

Politik für Mitleid und Neid

Der Mindestlohn für die Postzusteller symbolisiert eine Haltung, die wirtschaftliche Vernunft vermissen lässt.

Es muss etwas Neues geschehen. Mein Geschäft ist zu schwierig, denn mein Geschäft ist es, das menschliche Mitleid zu erwecken. Es gibt einige wenige Dinge, die den Menschen erschüttern, einige wenige, aber das Schlimme ist, dass sie, mehrmals angewendet, schon nicht mehr wirken." So wie in Bertolt Brechts Dreigroschenoper Jonathan Jeremiah Peachum, Besitzer der Firma "Bettlers Freund", die Herausforderung seines Jobs beschreibt, so könnte es derzeit mancher Politiker zum Vortrage bringen. Es scheint, als ginge es nur noch darum, menschliches Mitleid zu mobilisieren und korrespondierend Neid zu erwecken.

Jonathan Peachum organisiert Londons Bettler. Wer die Hälfte seiner Einnahmen abliefert, den unterstützt er. Er hält die Bettler in ihrer Abhängigkeit. Ähnlich funktioniert Sozialpolitik in Deutschland. Bedürftige werden so versorgt, dass sie eher inihrer Lage bleiben, als ihr durch Anstrengung entkommen. Der Konflikt zwischen Kombilohn und Mindestlohn kann auf diesen Kern reduziert werden. Die Idee der Arbeitsmarktreform war es, auch bei geringer Qualifikation Erwerbseinkommen nicht auszublenden, sondern durch Transfers aufzustocken. Diese Aufstocker werden nun skandalisiert und als Rechtfertigung für Mindestlöhne genommen.

Gute Politik zeichnet sich durch Maß und Mitte aus. Der Mindestlohn entspricht dem nicht. Denn die Anzahl ganzjährig Vollzeiterwerbstätiger mit ergänzendem Arbeitslosengeld II dürfte, folgt man den Analysen des Instituts für Arbeits- und Berufsforschung, allenfalls bei 100.000 liegen. Bezogen auf 40,4 Millionen Erwerbstätige ist das nicht gerade ein dominierendes Phänomen. Dabei wirken branchenbezogene Mindestlöhne flächendeckend etabliert weitaus einschneidender als ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn. Die Tarifautonomie wird gefährdet, weil die Außenseiterkonkurrenz – die negative Koalitionsfreiheit – ausgeschlossen wird.

Der Mindestlohn für die Postzusteller liefert nun frei Haus Anschauungsmaterial für eine Politik, die trotz vielfacher Mahnungen die letzte Ausfahrt zur Vernunft verpasst hat. Da die privaten Konkurrenten angesichts eines Mindestlohns von 9,80 Euro jeStunde mit Entlassungen reagieren wollen, zeigt sich die Politik überrascht und kommt mit der geronnenen industriepolitischen Weisheit: Die privaten Anbieter hätten ohnehin kein tragfähiges Geschäftsmodell gehabt. Die Post AG, so wird verkündet, übernimmt in hoheitlicher Verantwortung die freigesetzten Beschäftigten. Das nennt man eigentlich Staatswirtschaft.

Indem man mit dem Mindestlohn die Aktienoptionen der Post AG staatlich gesteuert aufgewertet hat und dies zu realen Zahlungen führte, hat man die Debatte über Managergehälter zusätzlich angeheizt. Damit es klar ist: Natürlich gibt es dabei Fragwürdiges und ökonomisch Ungereimtes, insbesondere Abfindungen und Aktienoptionen setzen für verantwortliches unternehmerisches Handeln falsche Anreize. Nur: Dies muss von den Aufsichtsgremien der Unternehmen geregelt werden, hier ist die Haftung konsequent einzufordern. Dabei steht auch unser System unternehmerischer Mitbestimmung auf dem Prüfstand.

Zwar beteuerte die Bundeskanzlerin in dieser Woche, dass es gesetzliche Regelungen für Managergehälter und Abfindungen nicht geben werde. Doch welche Halbwertzeit kann man dem angesichts der Erfahrungen mit Mindestlöhnen oder mit der altersdifferenziertenBezugsdauer beim Arbeitslosengeld I zubilligen? Nicht einmal auf den so hoch gehandelten Koalitionsvertrag kann man sich noch verlassen. Und gesetzliche Regelungen sind – wie die sachfremde Anwendung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes für die Postzustellerbelegt – schon lange kein Hinderungsgrund mehr für populistische Maßnahmen.

Bei alldem drängt sich die Frage auf, warum in der Politik wirtschaftswissenschaftliche Argumente derzeit so wenig Wirkung entfalten. Sicher: Ökonomisches Wissen ist trotz empirischer Fundierung unweigerlich in Raum und Zeit gebunden. Oft bestimmen nurkonsistente Argumentationen die Diskussion, die sich der gewünschten Exaktheit entziehen. Aber ist dies so grundverschieden von den Naturwissenschaften? Haben wir nicht gerade an den umweltrelevanten Themen lernen können, dass auch naturwissenschaftliches Wissen nur vorläufig ist und deshalb immer der abwägenden Entscheidung bedarf?

Während bezogen auf den Klimawandel die Politik mit einer Gewissheit über die Folgen und Notwendigkeiten hantiert, die wissenschaftlich nicht gerechtfertigt ist, handelt sie in wirtschaftlichen Fragen gerade so, als gäbe es .noch nicht einmal empirisch gestützte Wirkungserwartungen. Völlig losgelöst vom ökonomischen Kenntnisstand wird alles möglich, erscheint alles zulässig. Nun wird man nicht erwarten können, dass in Regierung und Parlament zuerst und vor allem die wirtschaftliche Vernunft regiert. Daswäre naiv, denn es sind Wahlen zu gewinnen und Mehrheiten zu organisieren. Wohl aber dürfen wir Konsistenz einfordern und die Politik an den selbst gesetzten Maßstäben messen.

Politik ist Führungskompetenz auf Zeit und nicht das Mobilisieren von Stimmungen, die dann als Orientierung dienen. Wenn die Regierung bewusst das Risiko eingeht, Chancen der Menschen auf Teilhabe am ökonomischen Geschehen zu vernichten, dann ist Klarheitin der Gegenposition gefordert. Marktwirtschaft lebt vom verantwortlichen Mitmachen aller, nicht von der Ausgrenzung durch "Bettlers Freund". Ansonsten bleibt es stets wie in der Moritat von Mackie Messer beschrieben: "Denn die einen sind im Dunkeln unddie andern sind im Licht. Und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht."

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