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Michael Hüther Gastbeitrag 7. August 2008

Politik aus dem Liegestuhl

Die Regierungsparteien sollten in der Sommerpause neue Ideen entwickeln, statt sich aus der Verantwortung zu stehlen.

Parlamentsferien lassen selbst das politische Berlin in die Beschaulichkeit eines mittelgroßen Kurorts versinken. Der politisch-mediale Diskurs folgt in dieser Zeit weniger dem Ziel, ernsthaft Impulse zu setzen, als vielmehr der Unterhaltung des Boulevards. Parteiausschlussverfahren und Freiflüge sind dafür dankbare Themen. Doch Langeweile und die Ruhe vor dem Alltag sind gar nicht negativ zu sehen, denn sie bieten die Chance, das politisch Notwendige neu zu beleuchten und Antworten zu überdenken. Anlass gibt es dazu genügend.

Die konjunkturelle Entwicklung erinnert daran, dass die Expansion von Investitionen und Beschäftigung kein Selbstläufer ist, sondern an Bedingungen hängt. Die heute beginnenden Olympischen Spiele verdichten wie im Brennglas die Bedingungen der ökonomischen Globalisierung. Sie stellen den Wettbewerb der Systeme in ein neues Licht, denn Freiheit ist nicht auf bestimmte Lebenssphären begrenzbar, sei es auch die Ökonomie. Schließlich rückt die Bundestagswahl ins Visier, noch ein Jahr Zeit verbleibt. Die Frage nach der konzeptionellen Aufstellung harrt der Klärung.

Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass Konjunktur und Globalisierung sehr schnell und in der Regel recht eindeutig politische Positionen gegeneinander aufrufen. Ein klärender Streit ist da ohne Zweifel geboten. Indes: Die Vorstellung, unser politisches Führungspersonal nutze die Ruhe im Liegestuhl dazu, konzeptionelle Antworten für die Wirtschaftspolitik der kommenden Jahre zu finden, erscheint zu fantasiereich. Vielmehr kann man aus den Debatten der jüngsten Vergangenheit die Einstellung ablesen, möglichst keinebelastbaren Positionen beziehen zu wollen.

Dies wäre politisch kurzsichtig. Denn der programmatische Vorrat der Bundesregierung ist aufgebraucht. Der Koalitionsvertrag war noch von der schwierigen und konfliktträchtigen Umsetzung der Agenda 2010 sowie dem Versuch geprägt, an dem Reformteppich zumindest an einigen Enden weiterzuweben. Dieser Anspruch ist nicht mehr greifbar. Bei der Frage nach der wirtschaftspolitischen Grundlinie und den Reformperspektiven der Regierung bleibt man ratlos. Die relevanten Ressorts finden kaum noch zu einer gemeinsamen Linie.

Die Folgen sind an dem bunten Strauß von Ideen zu erkennen, mit dem allenfalls das mediale Sommerloch gefüllt werden kann: Sozialtarife für Energie, Begrenzung von Managergehältern, gespaltener Beitrag zur Arbeitslosenversicherung, Beschränkung der Investitionsfreiheit von Staatsfonds und anderes mehr. Auch wenn die Urheber an den Nutzen ihrer Vorschläge glauben: An den zentralen Fragen der Wirtschaftspolitik geht dies grandios vorbei. Nichts fügt sich hier zu einem Ganzen, wenngleich jeweils das wärmende Licht wohl gemeinter sozialer Gerechtigkeit durchschimmert.

Erstaunlicherweise führt dies aber nicht dazu, dass die Zustimmung zu den entsprechenden Akteuren steigt. Auch der Wahlbürger spürt, dass die Versuche eines reformpolitischen Zurückdrehens noch kein schlüssiges Bild ergeben. Dazu passt ein Befund aus der aktuellen Erhebung des Bankenverbandes zur Einstellung der Bevölkerung über Wirtschaftsstandort und Wirtschaftsordnung. Danach sind unverändert zwei Drittel der Deutschen davon überzeugt, dass die Politik die wirtschaftlichen Probleme des Landes nicht zu lösen vermag.

Hat aber nicht gerade der Rückgang der registrierten Arbeitslosigkeit – seit Anfang 2005 immerhin um fast zwei Millionen – die Wirksamkeit reformpolitischer Intervention belegt? Das schon. Doch wenn sich keiner findet, der für die politischen Mühen die Verantwortung zu tragen bereit ist, dann kann auch niemandem deren Wirkung gutgeschrieben werden. Dabei ist in der Bevölkerung eine Mehrheit gegen die Reformen – wie einige Watchblog-Sekten vorzugeben versuchen – gar nicht auszumachen.

Nach der zitierten Umfrage des Bankerverbandes bewerten 22 Prozent die durchgeführten Veränderungen am Arbeitsmarkt, in der sozialen Sicherung und bei den Steuern gerade als angemessen, während 36 Prozent gar weitergehende Änderungen befürworten. Reformmüdigkeit bedeutet das nicht.

Allerdings ist der Anteil jener, die mehr soziale Absicherung durch den Staat fordern, gerade von 2006 bis 2008 von 43 auf 60 Prozent angestiegen. Darin manifestiert sich eine tief sitzende Verunsicherung über die Stabilität und die Verlässlichkeit etablierter Strukturen. Es ist für viele nicht zu erkennen, was die durch die globalisierungsbedingte Beschleunigung des Wandels geforderten Anpassungslasten kompensieren könnte. Das ist keine prinzipielle Scheu Veränderungen gegenüber, sondern der durchaus verständliche Reflex auf eine wahrgenommene Überforderung. Die Beständigkeit bestimmter als elementar bewerteter Strukturen – man mag das Verfassungskonsens nennen – ist eine nahezu anthropologische Bedingung für das auskömmliche gesellschaftliche Miteinander in der Massengesellschaft.

Wer den Handlungsbedarf im Ungefähren belässt, der verursacht zugleich Unsicherheit über das, was Bestand haben kann. Die Befürchtung vieler, dass der Staat gänzlich zur Inkompetenz verdammt ist, erhält Nahrung. Die Politik Ist aufgerufen, darüber einen öffentlichen Diskurs anzustoßen. Das freilich erfordert systematisches ordnungspolitisches Denken und einen scharfen Blick dafür, wo der Staat und wo der Einzelne unter den heutigen Bedingungen Verantwortung tragen kann.

Die Verweigerung der Debatte ist auf Dauer nicht möglich. Nutzen wir die Zeit im Liegestuhl.

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