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Michael Hüther Gastbeitrag 29. Juni 2006

Nur vorübergehend geöffnet

Bei der Diskussion über den Ladenschluss geht es um die Souveränität der Konsumenten und um Freiheitsrechte.

Die Welt zu Gast bei Freunden. Den Slogan der Fußballweltmeisterschaft nehmen wir sogar bei den Ladenöffnungszeiten ernst. Mit dem Ansturm der Gäste hat die Politik alle Vorbehalte beiseite geschoben, die über Jahrzehnte einer entsprechenden Liberalisierung entgegenstanden. Alle Bemühungen hatten bisher nur Stückwerk erbracht. Für unsere Gäste werfen wir indes die Bedenken über Bord: Bis Mitternacht oder sogar rund um die Uhr und am heiligen Sonntag darf verkauft werden. Nach Abreise der Gäste gilt aber erst einmal wieder das fein ziselierte Regelwerk eines allwissenden Staates.

So dürfen jenseits der wochentäglich seit wenigen Jahren vereinheitlichten Ladenschlusszeiten am Sonntag von 8 bis 10 Uhr Verkaufsstellen für frische Milch öffnen, jedoch nicht, wenn der zweite Weihnachtsfeiertag auf einen Sonntag fällt. Fällt aber Heiligabend auf einen Sonntag, dann kann Milch sogar bis 11 Uhr verkauft werden.

Bäcker- und Konditorwaren dürfen sonntags maximal drei Stunden feilgeboten werden, Zeitungen und Zeitschriften an Kiosken von 6 bis 13 Uhr, in Zeitungsläden aber lediglich bis 11 Uhr. Blumen kann man am Sonntag eigentlich von nur 10 bis 12 Uhr kaufen, Heiligabend – dann einschließlich Weihnachtsbaum – bis 13 Uhr, an Allerheiligen und ähnlichen Gelegenheiten sogar bis 16 Uhr. Das verschlägt einem die Sprache.

Nun meldeten zunächst sowohl der Einzelhandelsverband als" auch der Kaufhausverband, dass die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten aus Anlass der Weltmeisterschaft kaum in erhöhter Käuferfrequenz zu spüren sei. Damit wittern die üblichen Bedenkenträger die Chance, eine grundsätzliche Freigabe unabhängig vom Eintreffen besonderer Gästescharen auch nur für Inländer doch noch verhindern zu können.

Die Kritiker ziehen nun den Schluss: Da die Resonanz enttäuschend sei, bringe das Ganze nichts, es belaste nur die Beschäftigten, ohne den Umsatz zu steigern. Diese Einwürfe muss man ernst nehmen.

Bereits elf Bundesländer haben angekündigt, die infolge eines Verfassungsgerichtsurteils nach Verabschiedung der Föderalismusreform auf sie übergehende Regelungskompetenz nutzen zu wollen; um die Sinnhaftigkeit einer umfassenden Freigabe der Ladenöffnungszeiten zu prüfen.

Die bayerische Staatsregierung hat aber bereits darauf hingewiesen, die Erfahrungen während der Weltmeisterschaft sehr genau beobachten zu wollen, um daraus Hinweise für eine dauerhafte Liberalisierung abzuleiten.

Bislang muss ein öffentliches Interesse vorliegen, um Abweichungen von der starren Regelung zu ermöglichen. So hat vor wenigen Wochen das Verwaltungsgericht Weimar argumentiert, als es über die Klage einer Verkäuferin gegen die längeren Ladenöffnungszeiten während der Weltmeisterschaft verhandelte. Ein solches Interesse sei nicht erkennbar. Vielmehr gehe es in erster Linie offensichtlich darum, das regionale Wirtschaftsleben anzuregen. Die bloße Erwartung eines Bedarfs reiche allein nicht aus, um eine Ausnahmeregelung zu rechtfertigen.

Dem Gericht ist aus ordnungspolitischer Perspektive sowohl zuzustimmen wie auch zu widersprechen. Zwar ist die Belebung der regionalen Wirtschaft ein hehres Ziel, doch nicht zuvörderst für die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten. Hier geht es um die Souveränität der Konsumenten, um die Gewährung von Freiheitsrechten. Ob dadurch der Umsatz in den Geschäften steigt oder nicht, ist nachrangig.

Entscheidend ist: Jeder kann zu jeder Zeit machen, was er will nämlich sein Geschäft öffnen, einkaufen gehen. Alle können, niemand muss mitmachen. Insofern ist die bloße Erwartung eines Bedarfs völlig hinreichend für eine grundsätzliche Freigabe.

Die Gewährung von Freiheit bedarf keiner besonderen Rechtfertigung, wohl aber deren Einschränkung. Wenn die Freigabe der Ladenzeiten nach derzeitigem Recht nur mit dem Nachweis eines öffentlichen Interesses zulässig ist, dann zeigt dies, wie wenig wir dem Einzelnen zubilligen. Erst wenn das Kollektiv, die Öffentlichkeit, einen Nutzen – natürlich nachweislich – verspürt, kann dem Individuum mehr Freiheit gewährt werden. Welch verquere Logik! Die Freiheit des Einzelnen, nicht nur die des ausländischen Fußballfans, zu entscheiden, wann, wo, wie er was tut, ist der Anfang einer Geschichte, die wir mit Wachstum und Wohlstand überschreiben.

Unser Regelungswahn zeigt sich am Beispiel des Ladenschlussrechts auch deshalb so eindrücklich, weil hier erreicht werden soll, was bereits in anderen Gesetzen und Verordnungen geregelt ist: der Arbeitsschutz. Sowenig es effizient ist, mit einem Instrument zwei Ziele realisieren zu wollen, so wenig ist es effizient, mit zwei Instrumenten ein Ziel anzustreben. Unser Arbeitszeitgesetz regelt das Notwendige. Es zieht eine Obergrenze von 60 Wochenstunden, wenn innerhalb eines Ausgleichszeitraums von einem halben Jahr durch entsprechend kürzere Arbeitszeiten 48 Stunden nicht überschritten werden.

Wenn wir unsere Perspektive nicht ändern und weiter dem Wahn der Einzelfallgerechtigkeit unterliegen, dann werden wir nicht vorankommen. Da fordert der Deutsche Städtetag, die von elf mutigen Landesregierungen erwogene Freigabe der Ladenschlusszeiten auf die Innenstädte zu beschränken, um ihnen einen Vorteil gegenüber der grünen Wiese zu verschaffen. Wie wäre es denn mit abgestuft liberalisierten Öffnungszeiten? Rund um die Uhr in der City, von 5.20 Uhr bis 22.40 Uhr in den citynahen Zonen usw. Oder eine völlige Freigabe nur für kleine Läden zum Schutz vor Konkurrenz durch die großen?

Aber davor bewahrt uns das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Oder doch nicht? Es ist zum Verzweifeln.

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