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Michael Hüther Gastbeitrag 16. Oktober 2008

Nüchterner Blick nach vorn

In der Krise ergibt sich jetzt die Chance, längst überfällige Reformen in Angriff zu nehmen.

Die Regierungen Europas haben gehandelt: Im Grundsatz ohne Alternative, in der Sache angemessen, in der internationalen Koordination zügig und konsistent. Ein stärkeres Haltsignal für die Epidemie des Misstrauens an den Weltfinanzmärkten kann nicht gesendet werden.

Während die Geldpolitik schon seit längerem durch Liquiditätsbereitstellung und globale Abstimmung die Lehren aus der Weltwirtschaftskrise reflektiert, so hat die Politik nun dokumentiert, ebenfalls die maßgebliche Lektion der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gelernt zu haben. Es war eine Sternstunde für die Übernahme nationaler Verantwortung in internationaler Perspektive.

Dieses Handeln der Staaten in der Krise gutzuheißen ruft bei vielen Erstaunen hervor. Spöttisch heißt es, nun bejubelten die Neoliberalen nach dem Versagen der von ihnen früher wohlfeil geforderten Deregulierungen die Reparaturleistung des Staates. Gar vor einer Verstaatlichung von Banken schrecke man nicht mehr zurück, nur um den verkommenen Kapitalismus zu retten. Solche Spottrufe ertönen nicht nur im linken politischen Spektrum, das die Verstaatlichung als jederzeit und grundsätzlich probates Mittel anpreist. Auch Mitglieder der Regierungsparteien folgen diesem Argumentationsmuster: Gänzlich unregulierte Märkte seien degeneriert und nicht mehr zu Selbstheilung fähig. Hier liege allein das Übel.

So richtig es ist, dass und wie der Staat jetzt gehandelt hat, so wenig begründet dies zugleich die These eines umfassenden Systemversagens. Je mehr sich aber diese These festsetzt, desto mehr droht uns eine Regulierungswelle, die zwar Handlungsfähigkeit manifestiert, an den spezifischen Problemen jedoch vorbeigeht und so Gefahr läuft, ihrerseits zur Ursache künftiger Verwerfungen zu werden.

Was jetzt nottut, ist ein nüchterner Blick nach vorn, um Handlungslinien aus der Ursachenanalyse der Krise abzuleiten. Dies jetzt ebenso gründlich wie zügig zu tun erweist sich angesichts der orientierungslosen öffentlichen Debatte als zwingend.

Die Ursachen der Finanzkrise sind vielfältig: Es ist der Boom an privaten Hauskäufen in den USA und die ihm zugrunde liegende Hypothekenblase zu analysieren. Nach dem Problempotenzial von Kreditverbriefungen und nach möglichem Regulierungsversagen muss gefragt werden. Die Refinanzierungslösungen der Banken sind kritisch zu beleuchten, ebenso die Anreizstrukturen von Vergütungssystemen in der Finanzbranche. Es ist nach dem Durchblick und der Handlungsfähigkeit der Finanzaufsicht zu fragen – gerade im internationalen Kontext. Schließlich ist der Mechanismus der sich epidemisch ausbreitenden Misstrauensinfektion zu analysieren. Das ist für sich ein ganzes Forschungsprogramm.

Schon jetzt lässt sich indes deutlich machen, dass an verschiedenen Stellen der Problemkette den Staat als Akteur oder als Regulator maßgeblich Verantwortung trifft. So etwa am Anfang der Kette, der durch massive Eingriffe des amerikanischen Staates zur Subventionierung von Hypotheken gekennzeichnet ist. Hier haben in Amerika die Hypothekenrefinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac mit einer expansiven Geldpolitik sowie unzureichenden Regeln zusammengewirkt. Das seit 1933 staatlich regulierte Trennbankensystem hat Anreize gesetzt, bestimmte Geschäftsmodelle – das Investment-Banking – zu überdehnen.

Für uns in Deutschland schließt sich die Frage an, warum unsere Finanzaufsicht offenkundig im Unterschied zu ihrem Pendant in Spanien es nicht untersagt hat, Engagements im Verbriefungsmarkt außerhalb der Bilanz abzuwickeln. Diese und ähnliche Aspekte machen deutlich, dass es um sehr konkrete Probleme der schon bestehenden Regulierung geht – und keineswegs darum, völlig unregulierte Märkte erstmals zu regulieren. Entsprechend angemessen liest sich die Liste mit den von Bundesfinanzminister Steinbrück beim GT-Treffen am vergangenen Wochenende vorgeschlagenen acht neuen „Verkehrsregeln" für die Finanzmärkte.

Dort lesen wir von einer Bilanzierungspflicht für Finanzinnovationen, höherer Liquiditätsvorsorge der Banken, einer stärkeren persönlichen Haftung verantwortlicher Finanzmarktakteure, einer Anpassung der Vergütungssysteme, einer engeren Zusammenarbeit von Internationalem Währungsfonds mit dem Forum für Finanzstabilität, dem Verbot schädlicher Leerverkäufe, einem Selbstbehalt bei Verbriefungen sowie einer verbesserten Zusammenarbeit der nationalen Aufsichtsbehörden. Allein an der Aufzählung wird erkennbar, dass es – im Detail kritikwürdig – um- Ergänzung und Veränderung des bestehenden Regulierungsregimes geht.

Die öffentliche Rede vom grundsätzlich neuen Ordnungsrahmen, dessen es für die Finanzmärkte bedürfe, ist irreführend und schädlich. Denn damit verbaut man sich die Chance, den heilsamen Lernprozess der Märkte zu nutzen und diesen gezielt zu befördern. Die Verbriefungsindustrie hat mit der True-Sale-Initiative in Deutschland beispielsweise angemessene Standards entwickelt. Denen muss nun eine Chance gegeben werden. Intransparente, weil hochkomplizierte und komplexe Produkte werden sich ohnehin nicht mehr verkaufen lassen.

Die Krise als Chance zu begreifen heißt, Überfälliges – wie die Konsolidierung der Landesbankenszenerie – endlich zu tun. Es heißt zudem, Stereotypen im Diskurs aufzugeben. Zu nennen wäre der enervierende Streit über die Drei-Säulen-Struktur des Kreditgewerbes ebenso wie die ausschließende Gegenüberstellung von bankbasierter und marktbasierter Finanzierung. Auch die Ökonomen sind gefordert, ihre zunehmende professionelle Verengung auf eine rein formale Theorie ohne Institutionen zu überprüfen. Nicht nur die Politik muss den Blick nach vorne richten.

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