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Michael Hüther / Sebastian Dullien / Jens Südekum im Handelsblatt Gastbeitrag 5. September 2023

Warum der Brückenstrompreis vertretbar ist

Das Konzept hilft der energieintensiven Industrie. Berlin sollte es bald beschließen, fordern IW-Direktor Michael Hüther, Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung und Jens Südekum von der Heinrich-Heine-Universität in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt.

Das Problem hoher und unvorhersehbarer Strompreise in Deutschland, besonders für die energieintensiven Branchen, ist unbestritten. Vergangene Woche unterstrich die Bundesregierung in ihrem Abschlusspapier zur Klausurtagung, dass es dringend nötig sei, für verlässliche und günstigere Strompreise zu sorgen.

Doch leider führte das nicht zu einer mutigen Entscheidung. Ein Grund dürfte sein, dass der sogenannte Brückenstrompreis mit Missverständnissen und Fehlwahrnehmungen verbunden ist. Der Brückenstrompreis ist ein gedeckelter Strompreis, der zurzeit in erster Linie für energieintensive Industriebetriebe diskutiert wird.

Ein häufig genanntes Gegenargument ist, dass dadurch eine Dauersubvention energieintensiver Betriebe drohe. Doch das ist gerade nicht die Idee des Brückenstrompreises.

Es geht darum, die Preisspitzen der kommenden Jahre zu überbrücken, die unter anderem aus dem Anstieg der Brennstoffpreise für die gasbetriebenen Spitzenlastkraftwerke resultieren. Sobald der Ausbau der Erneuerbaren weit fortgeschritten ist und sich dies im Börsenstrompreis niederschlägt, wird die Subvention von alleine wieder wegfallen – genau wie die staatlichen Zuschüsse beim Gaspreisdeckel für die Privathaushalte nun mit etwas niedrigeren Gaspreisen von selbst verschwinden.

Es gibt kein Indiz dafür, dass alte Industrien pleitegehen müssen, damit neue Branchen wachsen können

Mit einem Brückenstrompreis nimmt die Politik sich selbst ernst und wettet glaubwürdig auf die Umsetzung der eigenen Versprechen für den Ausbau günstiger Stromproduktion und der Übertragungsnetze. Wird zudem die Stromsteuer auf europäisches Niveau abgesenkt, der Spitzenausgleich – also die Option für Unternehmen des produzierenden Gewerbes, sich ihre Stromsteuer auf Antrag erstatten zu lassen – beibehalten und die Netzentgelte reformiert, sollte sich zeitlich absehbar die Lage verändern.

Man muss nur damit leben, dass das andere Ende der Brücke noch nicht fixiert ist. Doch so nimmt die Politik den Investoren jenes Risiko ab, das sie durch die Versäumnisse und Fehlentscheidungen der letzten Jahre zu verantworten hat.

„Die Bundesregierung täte gut daran, den Brückenstrompreis zeitnah in Kombination mit der Absenkung der Stromsteuer und der Reform der Netzentgelte zu beschließen.“

Ein irreführendes Argument ist, dass ein Brückenstrompreis den nützlichen Strukturwandel verhindere, weil alte, überkommene Strukturen konserviert würden. Es gibt keinerlei Indiz dafür, dass zunächst alte Industrien pleitegehen müssen, damit neue Branchen wachsen können.

Das war historisch, wenn überhaupt, nur in extremen Ausnahmesituationen der Fall. Ökonomisch sind „alt” und „neu” ohnehin keine tragenden Konzepte, es geht vielmehr um Wettbewerbsfähigkeit und Markterfolg. Und die bestehende Struktur der deutschen Volkswirtschaft ist im internationalen Wettbewerb entstanden.

Vom Brückenpreis würden stromkostenintensive Unternehmen jeder Größe profitieren, die im internationalen Wettbewerb stehen

Grundsätzlich falsch ist die Idee, dass energieintensive Branchen einfach aus Deutschland verschwinden müssten. Es mag sein, dass manche Industrien derzeit hierzulande nicht profitabel sind, aber in wenigen Jahren mit wieder niedrigeren Strompreisen auskömmlich produzieren können. Der Abbau solcher Industrien würde unnütz dazu führen, dass wettbewerbsfähige Anlagen verschrottet und Menschen arbeitslos werden.

„Ein irreführendes Argument ist, dass ein Brückenstrompreis den nützlichen Strukturwandel verhindere.“

Das zitierte Gegenargument verkennt überdies, dass für die Transformation wichtige Sektoren wie für die Herstellung von Elektrolyseuren – zur Produktion von (grünem) Wasserstoff – bei uns gerade deshalb erfolgreich sind, weil sie die in traditionellen, fossil-basierten Bereichen vorhandenen Kompetenzen nutzen. Ein Brückenstrompreis würde Anpassungszeit schaffen und neue außenwirtschaftliche Abhängigkeiten vermeiden.

Gegen den Brückenstrompreis wird gerne vorgetragen, dass dieser die Großindustrie begünstige und zugleich das Handwerk schädige. Der Vorschlag des Bundeswirtschaftsministers sieht jedoch vor, als Bezugsgröße für die Anspruchsvoraussetzung die besondere Ausgleichsregelung der früheren Umlage des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) zu nehmen. Vom Brückenstrompreis würden dann stromkostenintensive Betriebe aus Branchen profitieren, die im internationalen Wettbewerb stehen. Eine Größengrenze gibt es dabei nicht.

Die Energiewende für die Dekarbonisierung beruht auf der Idee, grünen Strom als Ersatz für fossile Energien zu nutzen und in bestimmten Branchen – wie der Glasherstellung – einen Anreiz zu setzen, aus der fossilen Wärmeproduktion auszusteigen.

Das wird kaum in Deutschland stattfinden, wenn die Investoren für die heute nötigen Innovationen nicht verlässlich von wettbewerbsfähigen Strompreisen ausgehen können.

Die Bundesregierung täte gut daran, den Brückenstrompreis zeitnah in Kombination mit der Absenkung der Stromsteuer und der Reform der Netzentgelte zu beschließen. Dabei bietet das vom Bundeswirtschaftsminister vorgelegte Konzept einen guten Ausgangspunkt für eine anreizkompatible Ausgestaltung.

Das gilt für den Bezug des Brücken- zum Börsenstrompreis, die Anknüpfung an die besondere Ausgleichsregelung und die Bedingung, dass die Unternehmen eine Transformationsstrategie vorlegen. Dann sollte es transparent und einfach möglich sein, den Brückenstrompreis zu nutzen.

Hier geht es zum Handelsblatt-Artikel

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