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Daimlers Vorstandsvorsitzender Ola Källenius hat sich deutlich gegen Fremdenfeindlichkeit ausgesprochen. (© Foto: GettyImages)
Michael Hüther im Handelsblatt Gastbeitrag 4. Oktober 2019

Verantwortung der Unternehmer

Sowohl in der Klimadebatte als auch in der Digitalisierung geht es um Wesensfragen der marktwirtschaftlichen Ordnung, meint IW-Direktor Michael Hüther in einem Gastkommentar für das Handelsblatt.

Klimawandel und digitale Transformation prägen die öffentlichen und politischen Diskurse. Jeweils stellt sich die Frage, inwieweit Unternehmen - zumal in globaler Aufstellung - in diesen gesellschaftlichen Kontexten Verantwortung tragen, neu und fundamental. Die marktwirtschaftliche Ordnung gerät damit in Schwierigkeiten, denn grundsätzlich wird die Moral in der Rahmenordnung der Märkte verortet. Der Bedarf an individuell entscheidungs- und handlungsleitender Ethik wird dadurch jedenfalls minimiert. Die Moral des Einzelnen erscheint als Relikt einer vormodernen Weltsicht, die durch die unsichtbare Hand verdrängt wurde. Indem in der Marktwirtschaft nach den Motiven grundsätzlich nicht gefragt wird beziehungsweise gar nicht gefragt werden muss, ist auch der Eigennutz als individuelles Vorteilsstreben funktional und ethisch kein Problem.

Diese idealtypische Vorstellung eines Marktes, der umfassend machtzerstörend wirkt und den individuellen Einfluss auf das Marktergebnis mit dem Gesetz der großen Zahl ausschaltet, trifft freilich auf reale Bedingungen, die politische und regulatorische Herausforderungen begründen. Durch Wettbewerbspolitik wird versucht, die Störung der Markteffizienz durch Machtmissbrauch, Marktmacht und unlauteren Wettbewerb zu unterbinden. Durch Vertragsrecht und Verbraucherschutz wird versucht, die Steuerungswirkung der Konsumenten für die volkswirtschaftliche Produktionsstruktur zu stärken. Mittels der Finanzmarktordnung wird der Sparer geschützt und das moralische Risiko der Ausbeutung durch unfaire finanzwirtschaftliche Praktiken eingehegt. Nicht zuletzt sind unsere Unternehmen durch die Arbeitsmarkt- und Sozialordnung vielfältig in gesellschaftlicher Verantwortung.

Schon mit diesen wenigen Hinweisen wird klar, dass die ordnungstheoretische Position ausschließlich auf Gewinnerzielung fokussierter Unternehmensverantwortung in der Realität nicht zu halten ist und der theoretischen Verankerung bedarf. Dafür hat der Nobelpreisträger Edmund Phelps eine konstruktive Perspektive für altruistisches Verhalten in realen (nicht-perfekten) Märkten erkannt. Denn indem Unternehmen durch Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit, Offenheit und altruistisches Verhalten als vertrauenswürdig erscheinen, wird die Koordination in solchen Märkten zu geringeren Transaktionskosten möglich, was die ökonomische Effizienz steigert.

Abstrakte Idee fern ökonomischen Denkens

So bleibt es keine abstrakte Idee fern ökonomischen Denkens, systematisch von Marktakteuren gesellschaftliche Verantwortung einzufordern beziehungsweise diese dazu funktional als berechtigt zu sehen. Es gibt auf der einen Seite hinreichenden Bedarf, sich an der Entwicklung der Regelwerke und Institutionen zu beteiligen. Denn die "rules of the game" fallen ja nicht vom Himmel, sondern sind Ergebnis kooperativer Lösungssuche im demokratischen Raum der Gesellschaft, der sich auf das Parlament konzentriert, aber zugleich auf zivilgesellschaftlichen Diskursen beruht. Auf der anderen Seite kann nicht alles durch Regeln vorhersehbar geregelt werden. Diskretionäre Spielräume gibt es in jedem Regelwerk und erst recht dort, wo technische und institutionelle Innovationen gänzlich neue Fragen stellen. Gesellschaftliche Verantwortung ist damit für Unternehmen nicht nur möglich, sondern geradezu notwendig.

Doch das ist konfliktträchtig. Denn ein Unternehmen ist kein Corporate Citizen, der in gesellschaftlichen Bezügen als Handlungseinheit auftritt. Das kann nur bei strategischer Verankerung der gesellschaftlichen Verantwortung gelingen, allerdings können individuelle Positionen, Einstellungen und Haltungen der Mitarbeiter davon abweichen, intern Konflikt sowie extern Reputationsprobleme verursachen.

Starkes Signal von Daimler-Chef Ola Källenius

Die klare öffentliche Stellungnahme des Vorstandsvorsitzenden der Daimler AG, Ola Källenius, im Juli 2019 gegenüber jeder Form der Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung war nicht nur ein starkes öffentliches Signal, sondern zugleich eine unternehmensinterne Positionierung, der eine Sanktion entsprechenden Fehlverhaltens einzelner Mitarbeiter durch Kündigung zugrunde lag.

Unternehmen sehen sich über vielfältige Zusammenhänge auf Beschaffungsmärkten und Absatzmärkten, über die Finanzierung, über unterschiedliche Produktionsstandorte oder strategische Allianzen mit anderen Unternehmen sehr diversen Ansprüchen gegenüber. Lieferanten haben eine andere Bedeutung als potenzielle Mitarbeiter oder mögliche Kapitalgeber für Stellung und Ansehen des Unternehmens, die sich nicht nur auf die Kompetenzvermutung für das Angebot an Gütern und Dienstleistungen beziehen. Diese Ansprüche müssen sich zwangsläufig in der inneren Verfassung des Unternehmens spiegeln. Einzelne Anspruchsgruppen zu ignorieren oder gar gegeneinander auszuspielen kann zu erheblichen Reputationsrisiken führen.

Versucht man, die verschiedenen Interessen am unternehmerischen Handeln mit den grundsätzlich denkbaren Verantwortungskonzepten zu verbinden, dann bietet sich dafür die Unterscheidung von Ergebnisverantwortung, Reputationsverantwortung und Ordnungsverantwortung an. Während die Ergebnisverantwortung das unabdingbare einzelwirtschaftliche Kalkül zum Ausdruck bringt, greifen die Reputationsverantwortung (unternehmerisches, vor allem innovatives Handeln als gesellschaftlicher Mehrwert) sowie die Ordnungsverantwortung (Mitgestaltung relevanter Regelwerke und Institutionen) weit darüber hinaus. Diesem Dreiklang kann sich grundsätzlich kein Unternehmen entziehen, egal welcher Größe, Kategorie oder Internationalität. Alle drei zahlen darauf ein, dass der Marktwirtschaft von den Bürgen das notwendige Lösungs- und Zukunftsvertrauen entgegengebracht wird.

Negative Haltung gegenüber den Unternehmen

Trotz dieser prinzipiell gesellschaftlich orientierten Unternehmensverantwortung bleiben Politik und Gesellschaft skeptisch. Die Haltung gegenüber Unternehmen ist insgesamt negativ geprägt. Die immer dreister laut werdenden Antikapitalista-Rufe an den Zukunftsfreitagen belegen dies. Und die Bundesregierung plant eine Verschärfung der Sanktionen bei Ordnungswidrigkeiten von Unternehmen ("Verbandssanktionengesetz") unter der sachlich fragwürdigen Überschrift "Unternehmensstrafrecht", das es rechtssystematisch hierzulande nicht gibt. Es wird damit das Schuldprinzip auf Unternehmen als Organisation unabhängig vom willentlichen Handeln eines Einzelnen ausgedehnt.

Tatsächlich sind Unternehmen mit zunehmender Komplexität ihrer Produkte und Prozesse vor Herausforderungen gestellt, die letztlich Konflikte zu allen drei Kategorien unternehmerischer respektive gesellschaftlicher Verantwortung begründen können. Libor-Manipulation, Dieselabgas-Betrug, Cum-Ex-Geschäfte und anderes mehr haben gezeigt, dass und wie diskretionäre Spielräume auch für rechtswidrige Praktiken genutzt werden können. Die Frage, inwieweit neben die individuellen Verantwortung von Mitarbeitern eine besondere Verantwortung des Unternehmens als Ganzes tritt, ist jedenfalls nachvollziehbar.

Zunehmendes Interesse an ausländischen Zivilgesellschaften

Die interne Organisation des Unternehmens erlangt damit zentrale Bedeutung für die Verantwortungswahrnehmung des Ganzen. Die verschiedenen Anspruchsgruppen müssen darüber hinsichtlich ihrer Interessen ausgeglichen werden, zugleich muss eine konsistente Steuerung bei unvermeidbar dezentral diskretionären Spielräumen gesichert werden, indem diese transparent sind. Die Herausforderung verschärft sich bei multinationalen Unternehmen, wie es für viele deutschen Mittelständler ebenso gilt wie für Großkonzerne. Unternehmen geraten dann in ein Spannungsfeld unterschiedlicher Wertestrukturen und werden zum Ort einer Konfliktaushandlung.  Dabei geht es zunächst um die Frage, welche Kultur der Anker für die Aushandlung sein soll. Gibt es überhaupt einen Heimatmarkt? Oder: Gibt es überhaupt multinationale Unternehmen ohne einen Heimatmarkt?

Mit zunehmender Integrationstiefe an ausländischen Standorten durch Direktinvestitionen nimmt das Interesse der dortigen Zivilgesellschaft an dem Unternehmen zu. Gleichzeitig aber muss der Heimatstandort aufgrund seiner historischen Wurzeln mit zunehmender transnationaler Unternehmensaufstellung die Ankerfunktion für die Unternehmenskultur ausprägen. Daraus folgt, dass Reputationsverantwortung und Institutionenverantwortung des Unternehmens im Heimatstandort definiert werden und damit zugleich Orientierung für die Reputation auf den ausländischen Märkten schaffen, während die Ergebnisverantwortung auf allen Märkten gleichermaßen greift.

Gesellschaftliche Verantwortung multinationaler Unternehmen steht damit im Konflikt zwischen den verschiedenen Standortidentitäten. Unternehmen müssen deshalb Kulturarbeit leisten, ihre DNA definieren und damit zugleich den Spielraum definieren, der für standortspezifische Lösungen besteht. Es ist zu klären, was die unverrückbaren, weil identitätsstiftenden Werte des Unternehmens sind. Diese Aufgabe zu verkennen kann Unternehmen letztlich in Existenzrisiken bringen.

Zum Gastbeitrag auf handelsblatt.com

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