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Michael Hüther in der Rheinischen Post Gastbeitrag 23. September 2014

"NRW bleibt unter seinen Möglichkeiten"

Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, spricht in der Rheinischen Post über Existenzgründer, die Ideale Unternehmenskultur für Innovationen und wie Politik und Unternehmer das Land voranbringen können.

Die Zahl der Selbstständigen hierzulande macht im Vergleich zur Zahl der Arbeiter, Angestellten und Beamten einen Bruchteil aus. Fehlt uns Deutschen das Unternehmer-Gen?

Wir haben zwar viele kleine Unternehmen, die über einen Zeitraum von 150 bis 200 Jahren bestehen. Das bekommen Sie nicht ohne Unternehmergeist hin. Richtig ist aber auch, dass die Existenzgründungsneigung im internationalen Vergleich nicht besonders ausgeprägt ist. Das ändert sich gerade, weil an den Hochschulen viel für Jungunternehmer getan wird. Wir sollten aber noch früher ansetzen: Es muss schon den Schülern in Fleisch und Blut übergehen, dass Existenzgründung ein möglicher Berufsweg ist.

Häufig wird uns Deutschen unterstellt, wir sind zwar top bei den Erfindungen, verschlafen es aber, diese marktfähig zu machen. Vorurteil oder Tatsachenbeschreibung?

Das ist ein Vorurteil. Die deutsche Wirtschaft ist hervorragend bei den Hochtechnologien aufgestellt. Wir sind gerade gut auf der Umsetzungsebene, also bei Problemlösungen für die Wertschöpfungskette. Nehmen Sie den Maschinenbau oder die Elektrotechnik.

Welche Unternehmensgröße ist vielversprechender für die Schaffung von Innovationen: das kleine-mittelständische Unternehmen oder der Konzern?

Der kleine Tüftler-Betrieb ist flexibler und anpassungsfähiger, während eine Großstruktur behäbiger daherkommt und mehr Bürokratien ausgebildet hat. Entscheidend ist letztlich aber nicht die Größe, sondern die Unternehmenskultur: Lasse ich Fehler zu? Bin ich bereit, Risiken einzugehen? Man muss auch mal scheitern dürfen.

Bislang gilt Scheitern hierzulande aber als extrem verpönt.

Eine Insolvenz ist für den Betroffenen nicht besonders charmant. Aber durch die Anpassung des Insolvenzrechts und der Gewährung einer zweiten Chance – wie wir sie aus den USA kennen – hat sich da einiges getan. Zudem ist das nicht nur ein rein deutsches Problem: Durch die Internationalisierung der Märkte und damit auch der Kapitalgeber ist das Geschäft kurzatmiger geworden. Ausländische Eigner werden oft schon bei der zweiten Gewinnwarnung nervös. Das steht der Risikobereitschaft im Weg.

Wieso liegt NRW im Vergleich zu Baden-Württemberg und Bayern so weit hinten?

Es reicht nicht, unsere Rückständigkeit immer noch auf den Strukturwandel zu schieben. Ursache sind vielmehr die schlechten Voraussetzungen für das Wirtschaften. Wir hinken bei der Infrastruktur – etwa im Verkehrsbereich – hinterher, gleiches gilt für die Bildung oder die Versorgung mit frühkindlichen Betreuungseinrichtungen. So funktioniert die Integration von Frauen und Älteren ins Erwerbsleben nicht.

Die Politik ist also schuld, dass NRW gegenüber den westlichen Flächenländern zurückbleibt?

NRW hat viel Geld ausgegeben in den vergangenen 20 Jahre – man fragt sich, wo das Geld geblieben ist.

Was kann die NRW-Regierung angesichts der Schuldenbremse überhaupt noch leisten?

Es ist unerwachsen von Rot-Grün, immer nach Finanzhilfen aus Berlin zu rufen, anstatt sich endlich mal auf die Hinterbeine zu setzen. Die vorhandenen Mittel müssen konzentriert werden. Das Land muss stärker investieren, zugleich aber sparen. Das ist kein Widerspruch, wenn die Landesregierung auch mal den Mut hat, im Sozialbereich den Rotstift anzusetzen oder teure Doppelstrukturen zu streichen. Und NRW sollte sich besser aufstellen, wenn Bundesmittel verteilt werden. Beim letzten Bundesverkehrswegeplan hatten die Bayern sofort eine ganze Reihe von Projekten zur Hand, NRW nicht.

Ist das Land inzwischen zu unattraktiv für die Ansiedlung internationaler Unternehmen geworden?

Die machen deshalb keinen großen Bogen um uns. Hier leben schließlich mehr als 17 Millionen Menschen im Herzen Europas. Aber NRW bleibt unter seinen Möglichkeiten. Die Wirtschaftspolitik hat sich viel zu lange ausschließlich auf das Ruhrgebiet konzentriert. Dabei hat die Musik in ganz anderen Regionen gespielt, etwa im Siegerland oder im Bergischen Land. Dort hat eine gute Clusterbildung der Unternehmen stattgefunden. Statt weiterhin das Ruhrgebiet isoliert zu betrachten, sollte die Politik die Clusterbildung mit den angrenzenden Regionen vorantreiben.

Aber die Probleme in den Ruhrgebietsstädten sind gewaltig.

In der Tat haben die Städte große Probleme, wenn man allein die Kaufkraft heranzieht. Dort leben die Menschen, die am stärksten von Armut bedroht sind – also Arbeitslose, Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund, Singles. In den Städten erleben wir seit 2006 einen Anstieg der Armutsquote. Im ländlichen Raum haben wir das nicht. Dort muss das Land Antworten finden.

Beispielsweise in Form von Mietpreisbremsen?

Einen Preis zu deckeln? Das überzeugt einen Ökonomen nicht. Im Ruhrgebiet sind hohe Mieten im Übrigen kein Problem – eher die Abwanderung. Das ist mehr ein Thema in den gesunden Zentren. Dort müssen wir mutiger bei der Ausweisung von Bauland werden. Hamburg bekommt es auch hin, 6000 neue Wohnungen im Jahr zu schaffen. Wenn wachsende Städte wie Düsseldorf oder Köln neue Flächen ausweisen, sollten sie sofort mit den Wohnungsbaugesellschaften Verträge abschließen, dass diese in bestimmten Segmenten auch günstige Wohnungen vorhalten.

Was kann denn die Unternehmerseite tun, um NRW nach vorne zu bringen?

Die Netzwerkkultur muss ausgebaut werden. Das findet beispielsweise sehr gut im Automobilsektor statt. Da haben dann die Unternehmen beispielsweise im Raum Iserlohn nicht nur in bürgerschaftliches Engagement, sondern gleich in eine private Fachhochschule investiert. So etwa schafft Chancen für eine ganze Region. Solche Beispiele sollten Schule machen.

Zum Interview auf rp-online.de

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