Die vermutlich neue, alte große Koalition macht da weiter, wo sie im vergangenen Jahr aufgehört hat: beim Stillstand, schreibt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, in einem Gastbeitrag auf Zeit Online.
Steuerpolitik: Neue Groko, alter Stillstand
Es ist fast in Vergessenheit geraten, dass zwischen Union und SPD im Wahlkampf traute Einigkeit herrschte. In der Steuerpolitik sollte der Mittelstandsbauch schlanker werden, der Spitzensteuersatz nicht immer mehr Facharbeiter treffen und der Solidaritätszuschlag sollte ab dem Jahr 2020 abgebaut werden. So stand es in beiden Wahlprogrammen. Damit gaben die damaligen Regierungsparteien offen ihre Versäumnisse in der Steuerpolitik zu – lange genug Zeit zum Handeln hatten sie ja.
Unverhofft und nicht ganz freiwillig haben CDU, CSU und SPD jetzt die Chance bekommen, ihre Trägheit abzulegen. Doch gemacht haben sie daraus wenig: Statt sich an die eigenen Wahlprogramme zu halten, haben sich die Sondierer auf „ein Papier des Gebens und Nehmens geeinigt”, wie es Kanzlerin Angela Merkel nannte. Übersetzt heißt das: Jeder darf sich einige Wohltaten auf die eigene Fahne schreiben. Das Gesamtbild scheint zweitrangig. Das Kindergeld steigt wie von der Union gefordert, die gesetzliche Krankenversicherung wird künftig wieder paritätisch finanziert. So will es die SPD.
Ansonsten macht die vermutlich neue, alte große Koalition da weiter, wo sie im vergangenen Jahr aufgehört hat: beim Stillstand. Von einem schlankeren Mittelstandsbauch oder dem späteren Einsetzen des Spitzensteuersatzes fehlt in dem Einigungspapier jede Spur. Damit bleibt es dabei, dass schon bei Geringverdienern ein zusätzlich verdienter Euro zu einem Großteil an den Staat geht, weil die Steuersätze schnell und stark ansteigen und mehr als vier Millionen Menschen in Deutschland in den Spitzensteuersatz rutschen.
Der Soli verschwindet auch nach 2019 nicht vollständig, vielmehr haben sich die Parteien auf eine Freigrenze verständigt. Wer mit seinem Einkommen darüberliegt, muss von einem zusätzlich verdienten Euro rund 70 Cent an den Fiskus abführen – ein ökonomischer Irrsinn. Und Union und SPD haben noch zu einem Trick gegriffen: Anders als im Wahlkampf versprochen kommt es nicht 2020, sondern erst ein Jahr später zu einem teilweisen Abbau.
Das erleichtert aus Sicht der Politiker die Rechnung für die kommenden vier Jahre enorm. So können sie nämlich rund zehn Milliarden Euro mehr ausgeben. Ganztagsbetreuung, sozialer Wohnungsbau, mehr Geld für die Kommunen und ein höherer Verteidigungsetat lassen sich so leichter finanzieren.
Das Rentenniveau soll bis 2025 bei 48 Prozent festgezurrt werden. So müssen Beitrags- und Steuerzahler allein im Jahr 2025 voraussichtlich mehr als elf Milliarden Euro zusätzlich schultern – Kosten der Mütterrente Teil II und der Lebensleistungsrente sind dabei noch nicht eingerechnet.
Von der Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung profitieren die Arbeitnehmer vermutlich nur kurzfristig. Denn dadurch steigen aus Unternehmenssicht die Arbeitskosten. Das kann Jobs kosten. Und bei der Arbeitslosenversicherung fällt die geplante Beitragssenkung gemessen am Milliardenüberschuss eher mickrig aus. Zudem klammert sich die Politik nicht nur an die Einnahmen, sondern sie sucht sogar Wege, noch mehr einzusammeln. Von der Abschaffung der Abgeltungssteuer verspricht sie sich ebenso ein Plus für die Staatskasse wie von einer Finanztransaktionssteuer.
Ein „Weiter so” sollte es eigentlich nicht geben, haben Union und SPD vor den Gesprächen stets betont. Jetzt bleibt vermutlich alles wie gehabt. Die eigenen Wahlprogramme scheinen vergessen zu sein. Offensichtlich sind sich die Sondierer einig darin, dass der Staat besser weiß, wie das Geld auszugeben ist als die Bürger.
Zum Gastbeitrag auf zeit.de
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