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Michael Hüther auf zeit.de Gastbeitrag 26. September 2013

Im liberalen Sinne heißt liberal nicht nur liberal

Der derzeitige Zustand der FDP erinnert stark an einen Sketch von Loriot. Die Partei muss den Liberalismus wieder ganzheitlich begreifen und nicht so verengt wie bislang.

Das Ausscheiden der FDP aus dem Deutschen Bundestag ist ein historisches Datum, erstmals seit Gründung der Republik ist im Parlament eine programmatisch liberale Partei nicht mehr vertreten. Das grundsätzliche Bedauern darüber wird meist durch den mehr oder weniger direkten Hinweis ergänzt, dass dieses Ausscheiden gute Gründe hat. Programm und Personen haben nicht (mehr) überzeugt, eine Erneuerung der Partei ist geboten. Der Bürger hat ein gutes Gespür, wo etwas nicht mehr überzeugt, nicht mehr in die Zukunft weist. Und Mitleid war noch nie eine überzeugende politische Kategorie.

Wenn man nach den Folgen fragt, dann sind zunächst die Ursachen zu beleuchten. Denn jede Perspektive dieses politischen Lagers, jeder Neuanfang muss daraus seine Kraft ziehen. Schaut man auf die FDP der vergangenen Jahre so fühlt man sich an jenen berühmten Loriot-Sketch "Der Wähler fragt" erinnert, der eine politische Fernsehdiskussion der 1970er Jahre simuliert.

Darin ist der Vertreter der Freien Demokraten – die Kunstfigur Claus-Hinrich Wöllner – ausschließlich mit dem stereotypen Satz zu vernehmen "Im liberalen Sinne heißt liberal nicht nur liberal". Der Bezug zur heutigen Lage der FDP resultiert nicht so sehr aus einer Analogie zu manchen Stereotypen ihres Programms, sondern liegt in dem tieferen Sinn, dass die liberale Position nicht so verengt werden darf.

Die seit Längerem zu hörende Kritik an der FDP bezog sich auf die einseitige Forderung nach Steuersenkungen und die Vernachlässigung anderer, traditioneller Themen einer liberalen Partei. Doch damit erreicht man nicht den Kern des Problems. Entscheidend ist, welcher Freiheitsbegriff von einer sich liberal verstehenden Partei verwendet wird.

Wer Steuersenkungen in den Mittelpunkt seines Programms stellt, der ist vom klassischen Gegensatz zwischen Staat und Individuum geprägt, der sieht sich ständig in der Not, die Freiheit des Einzelnen vor dem überbordenden Staat und seinen Agenten zu schützen. Staatsskepsis bestimmt die Rhetorik, und zwar selbst dann, wenn man durch Regierungsverantwortung Teil der Exekutive geworden ist.

Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich ist der Staat ständig an seine Freiheitsverpflichtung gegenüber den Bürgern zu erinnern. Der Kampf ist nie zu Ende. Allerdings ist ein politisches Programm, das den Freiheitsbegriff auf die Frage "Freiheit wovon?" bezieht, eine gefährliche Reduktion. Die Frage "Freiheit wozu?" ist viel wichtiger, weil sie die Verantwortung ins Spiel bringt. Freiheit ist ohne Verantwortung nicht nur undenkbar, sondern dauerhaft nicht funktionsfähig, weil sie die Ausbeutung der anderen ebenso wenig ausschließt wie die Überdehnung der eigenen Verfügungsrechte.

Freiheit und Verantwortung kennzeichnen bei weitem nicht nur einen philosophischen Reflexionsraum, sondern sind von elementarer gesellschaftlicher Relevanz. Dabei darf der Begriff Verantwortung in der demokratischen Ordnung nicht auf die individuelle Haftung beschränkt werden. Die Verantwortung des Einzelnen für die tägliche Organisation des öffentlichen Raums gehört zwingend und gleichberechtigt dazu.

Mitverantwortung ist eine für die Liberalen eher unhandliche Kategorie, weil sie eine generelle Haltung des Einzelnen für das Gemeinsame – den Gemeinsinn – adressiert, das liegt nahe an der Gesinnung. Dennoch: Die freiheitliche Gesellschaft lebt nicht nur von Regeln und geordneten Verfahren. Wer das glaubt, der übersieht den wichtigen Hinweis des bedeutenden Philosophen und Soziologen Helmuth Plessner: "Man gibt den Menschen kein gutes Gewissen, wenn man ihnen sagt, dass sie überhaupt keins zu haben brauchen" (Grenzen der Gemeinschaft, 1924). So bedingt die Freiheit des Einzelnen auch seine Befähigung zur Freiheit: Den Willen und die Bereitschaft, sich auch innerhalb expliziter Regeln fair und verantwortlich zu verhalten.

Damit sind aber ganz andere Politikfelder aufgerufen als nur die Steuerpolitik. Es geht es um Bildung und gesellschaftliche Verantwortung, um Zivilgesellschaft und bürgerschaftliches Engagement. Der Bildungsbegriff ist breiter zu verankern, neben die Vermittlung von Kompetenzen tritt die Sozialisation und Selbststeuerungsfähigkeit des Individuums im öffentlichen Raum.

Die FDP ist nicht an ihrer programmatischen Verengung gescheitert, sondern letztlich an einem völlig unzeitgemäßen Freiheitsbegriff. Jeder Neuanfang, der eine Chance haben soll, muss das korrigieren. Mitverantwortung als Steuerungsressource zu begreifen, sichert die Anschlussfähigkeit an die gesellschaftlichen Debatten nach der Krise. Freiheit und Verantwortung sind deshalb ebenso ein angemessener Leitstern für die Wirtschaftspolitik.

Der weite Verantwortungsbegriff bietet die Möglichkeit, die Voraussetzungen der sozialen Marktwirtschaft zeitgemäß zu definieren. Doch vorerst muss dies im vorparlamentarischen Raum stattfinden. Der Verlust einer liberalen Partei im Bundestag wird die Linksverschiebung der Politik befördern. Eine Lösung könnte sein, dass die Grünen die strategische Option ergreifen und sich als liberale Bürgerpartei positionieren, oder die FDP erneuert sich von Grund auf. Keineswegs können politische Kräfte – wie die AfD –, die auf Ängsten und Ressentiments beruhen, diese Lücke füllen.

Zum Gastbeitrag auf zeit.de

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