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Michael Hüther in ThePioneer Gastbeitrag 3. Januar 2023

Was 2023 zu tun ist: Ein Neustart für Europa!

Die Europäische Union befindet sich in keinem guten Zustand und was jetzt dringend notwendig wäre, sind Reformdebatten. In einem Gastbeitrag für ThePioneer ordnet IW-Direktor Michael Hüther ein, was es zu diskutieren gibt und mit welchen Problemen wir es zu tun haben.

Zuletzt wurde an den Jahrestag der jüngsten Bundestagswahl erinnert. Dass der russische Krieg gegen die Ukraine den seinerzeitigen Programmen der Parteien weitgehend den Boden entzogen habe, war die überragende Botschaft.

Der Zivilisationsbruch zeigt seine Bedeutung aber auch darin, dass die programmatischen Leerstellen in den Debatten des Wahlkampfs in dem veränderten Licht besonders schmerzhaft erscheinen. Das gilt für die Perspektiven der Globalisierung ebenso wie für die Zukunft der Europäischen Union.

Dazu gab es weder in den Parteien noch in Medien und Öffentlichkeit eine angemessene Diskussion. Dabei verlangten beide Themen bereits vor einem Jahr nach einer ernsthaften und tiefgehenden Debatte. Die Erschöpfung der Globalisierung ist seit Langem zu spüren, die Ratlosigkeit über die nächsten Schritte der europäischen Integration ebenso.

Die Bundesregierung hat sich mit dem Doppel-Wumms zwar Luft in Deutschland verschafft, indem private Haushalte und Unternehmen eine Aussicht auf die Abfederung der Kaufraft- und Kosteneffekte infolge der hohen Energiepreise erhielten.

Doch in Europa hat sie damit fast alle Partner vor den Kopf gestoßen. Das ist keineswegs ein automatischer Reflex der anderen Regierungen gegen die stärkste Ökonomie auf dem Kontinent, sondern eine begründete, grundsätzliche Kritik. Denn Deutschland, das immer den fiskalpolitischen Musterknaben spielt und ja auch tatsächlich die Schuldenquote bis zur Pandemie unter 60 Prozent führen konnte, hat nun jede Rücksichtnahme auf die europäischen Partner und die europäischen Regeln vermissen lassen. Schlimmer noch: Der Bundesregierung fehlt offenbar jede Bereitschaft, die in einer Währungsunion gebotene finanzpolitische Koordinierung zu leisten.

In Deutschland ist nur zur Kenntnis genommen worden, dass die europäischen Partner sich gegen Deutschland stellen, jedenfalls kein Verständnis für die Nöte der deutschen Wirtschaft aufbringen. Die Wahrheit hat wie stets mehrere Gesichter. Dass die Bundesregierung die angemessene Kommunikation mit den Partnern unterlassen hat und – damit jedenfalls konsistent – die Fiskalkriterien der Währungsunion gar nicht mehr würdigt, lässt die Disziplin der anderen Staaten in der Eurozone nicht gerade stärker werden.

Eine gesamthafte Betrachtung der Finanzpolitik in der Währungsunion gibt es nicht mehr, die Geldpolitik kann so ohne Not unter Druck geraten, wenn die Schuldentragfähigkeit aller Mitgliedsstaaten aus dem Blick der Politik gerät, damit aber in den Fokus der Kapitalmärkte rückt. Dagegen wäre jetzt ein strategischer Schritt für die europäische Integration wirksam, den wir allein deshalb wagen sollten, weil die globalen Verwerfungen und die daraus resultierenden Herausforderungen von den einzelnen europäischen Staaten nicht zu bewältigen sind.

Doch statt darüber zu debattieren, scheint es so, als wenn hierzulande – bis weit ins bürgerliche Milieu – die Sorge um eine Vergemeinschaftung finanzieller Ressourcen alles hemmt. Diese Phantomangst, kunstvoll verklärt mit kenntnisreichen Argumenten zu den Target-Salden und einer als unverantwortlich bewerteten europäischen Geldpolitik, kommt jedoch nie über das Klagen hinaus und verbaut jede konstruktive Sicht auf die Optionen und Notwendigkeiten europäischer Integration.

Neue strategische Vorhaben liegen auf der Hand: die europäische Verteidigungsunion und die europäische Infrastrukturunion einschließlich Energie. Das verlangt von uns die Bereitschaft, darin zu investieren. Über eine Verteidigungsunion stellen wir uns militärisch auf eigene Beine, wenn wir nicht nur die Beschaffung, sondern auch die Außenverteidigung und internationale Sicherheit institutionell integrieren und dafür eine europäische Steuer erheben.

Das entlastet die nationalen Haushalte und schafft Raum für Effizienzgewinne und neue Wirksamkeit in der Verteidigung. Durch eine Infrastruktur-Union schaffen wir europäische Netze zwischen und mit den Metropolen des Kontinents. Wie dringend dies in der Energieversorgung ist, muss nicht begründet werden. Der Next Generation EU-Fonds bietet dafür perspektivisch den Finanzierungsrahmen. Eigentlich naheliegend, doch leider ist nicht nur die europapolitische Debatte in Deutschland notleidend, sondern die ganze Europäische Union in keinem guten Zustand.

Selbst beim Energiethema werden Lösungen blockiert. Deutschland und Frankreich haben keine gemeinsame Agenda, jeder scheint nur noch für sich zu arbeiten. Doch für die Zukunft Europas sind neue Integrationsschritte geboten, angesichts des Wettstreits der großen Mächte sogar zwingend. Es geht um eine „Europäische Union, die ihre gesellschaftliche und politische Lebensform weder von außen destabilisieren noch von innen aushöhlen lassen will“, wie Jürgen Habermas es im Sommer formulierte.

Zum Gastbeitrag auf thepioneer.de

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