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Michael Hüther im Handelsblatt Gastbeitrag 15. März 2011

Die Regierung schuldet uns ein neues Energiekonzept

Es gibt Alternativen zur Atomenergie, schreibt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, im Handelsblatt. Aber jede hat ihren Preis. Und der entscheidet über Wachstum und Beschäftigung am Standort Deutschland.

Die schrecklichen Ereignisse in Japan versetzen uns in tiefe Unruhe. Die Beherrschbarkeit der Atomkraft ist fundamentalen Zweifeln ausgesetzt. Am Montag hat die Bundesregierung ein Moratorium für die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke verfügt, gestern hat sie beschlossen, sieben ältere Atomkraftwerke mit einer Gesamtleistung von gut 7000 Megawatt (MW) vom Netz zu nehmen. Der Vizekanzler hat betont, dass das Moratorium "die Dinge ändern wird"– dann aber ist es ein Grundsatzbeschluss, der zumindest zu dem rot-grünen Ausstiegsbeschluss zurückführt, wenn nicht mehr. Das Energiekonzept für den Zeitraum bis 2050 ist damit Makulatur.

Die Bundesregierung muss zügig ein überzeugendes neues Energiekonzept vorlegen, das frei von Träumen ist und verlässlich für Jahrzehnte den Weg zu einer versorgungssicheren und preisgünstigen Energieversorgung eröffnet. Dabei ist es unvermeidbar, die primär auf Vermeidung gerichtete Klimapolitik stärker auf Anpassung zu orientieren. Nichts ist ohne Alternative, auch die Atomenergie nicht. Doch jede Alternative hat ihren Preis. Und der entscheidet über die Zukunft von Beschäftigung und Einkommen am Standort Deutschland. Angst und Emotion sind trotz der Katastrophe in Japan kein guter Ratgeber. Verantwortliche Politik ist zur Vernunft verpflichtet, auch vor Landtagswahlen.

Schon das bisherige Konzept der Bundesregierung beruhte auf sehr ambitionierten, wenn nicht unrealistischen Annahmen: Es unterstellte eine um jährlich 2,5 Prozent steigende Energieeffizienz, während die deutsche Wirtschaft in den letzten Jahren 1,7 Prozent realisierte. Andererseits wurde erwartet, dass zügig ein europäischer Netzverbund realisiert wird, wobei allein in Deutschland 3.600 Kilometer neue Stromleitungen gebaut werden müssen.

Mit der Rückkehr zu dem rot-grünen Ausstiegsbeschluss müssen ab 2015– bis dahin dürfte die gesicherte Leistung deutscher Kraftwerke ausreichend sein– die von den deutschen AKW erzeugten 23 Prozent des Stroms sukzessive anders bereitgestellt werden. Insgesamt wird sich die gesicherte Leistung deutscher Kraftwerke nach heutigem Stand bis 2030 auf 40.000 MW halbieren.

Jede alternative Energieproduktion ist an Voraussetzungen gebunden, die entweder skeptisch zu beurteilen sind oder einfach Zeit benötigen. Der Import von Strom wird zusätzliche Investitionen in die Netze, insbesondere in die Grenzkoppelstellen, erfordern. Außerdem fragt sich, wie angesichts eines deutschen Abschieds von der Kernenergie die Einfuhr von Atomstrom zu bewerten ist. Von der Atomenergie wird sich nicht ganz Europa verabschieden können oder wollen. Die deutsche Lösung lebt davon, dass sie ein Sonderweg bleibt.

Erneuerbare Energie wird nur die Lücke füllen können, wenn sie in Großanlagen produziert wird, dies gilt vor allem für Windkraft-Offshore-Anlagen. Die derzeit größte bestehende Anlage dieser Art bringt 300 MW, nach Beschluss der Bundesregierung sollen im Jahr 2030 rund 25.000 MW auf diese Weise produziert werden – ein weiter Weg. Wegen der großen Distanz zwischen den Windparks und dem Ort des Verbrauchs sind qualitativ andere Netze notwendig. Der Ausbau kostet laut Deutscher Energie-Agentur zwischen zehn und 25 Mrd. Euro, je nach gewünschter Übertragungsleistung. Von der Planung bis zur Nutzung vergehen erfahrungsgemäß acht bis neun Jahre. Entsprechend große Investitionen sind zudem in die Speichertechnologie geboten, um die schwankende Stromproduktion auszugleichen.

Wer ernsthaft auf erneuerbare Energie setzt, muss die bisherige Förderung überprüfen. Die Gebühren der deutschen Stromverbraucher von 20 Mrd. Euro jährlich fließen in die Unterstützung bestehender Technologien, nicht in Forschung und Entwicklung potenziell wettbewerbsfähiger Techniken.

Der Verzicht auf Kernenergie erhöht den Bedarf an neuen Kohlekraftwerken. Um die Leistung der nach dem rot-grünen Ausstiegspfad entfallenden Kernkraftwerke auszugleichen, müssten bis 2020 Anlagen mit etwa 15.000 MW, bis 2030 rund 28.000 MW zugebaut werden, so die Berechnung der Deutschen Energie-Agentur. Wir benötigen für den Klimaschutz moderne Kraftwerke, und zwar mit der CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage). Derzeit sind Kraftwerkskapazitäten für gut 11.000 MW genehmigt bzw. in Bau, deren Inbetriebnahme bis 2013 geplant ist. Aber nur eines dieser Kraftwerke ist mit CCS ausgestattet.

In Planung befinden sich Kohlekraftwerke mit einer Leistung von rund 13.000 MW, Projekte mit noch einmal dieser Leistung wurden in den letzten Jahren vor allem wegen öffentlicher Proteste aufgegeben. Das Stilllegungsvolumen aber liegt je nach umweltpolitischer Bewertung (Effizienzgrad oder Emissionsvolumen) zwischen 10.000 MW und 22.000 MW. Das heißt: Der notwendige Investitionsbedarf ist bei weitem nicht durch die Planungen gedeckt.

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