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Michael Hüther in der Wirtschaftswoche Gastbeitrag 20. April 2015

Die Ökonomik muss sich erinnern

Seit der Weltwirtschaftskrise diskutieren Ökonomen über Ausrichtung und mögliche Neuorientierung der Wirtschaftswissenschaft. Ein Gastbeitrag von IW-Direktor Michael Hüther in der Wirtschaftswoche.

Eine Debatte über die Zukunft der Volkswirtschaftslehre sollte auf einem Befund über ihren Beitrag zur Krise starten. Diese begann an den Finanzmärkten, sie war dort durch den geschäftspraktischen Erfolg der neoklassischen Finanzmarkttheorie mitverursacht. Diese Theorie, die zu hoher mathematischer Eleganz gelangt war sowie zu attraktiven formalen Lösungen wie bei der Bewertung von Derivaten geführt hat, ist von einem strukturellen Mangel durchwebt: Es ist eine Theorie ohne Institutionen, die die historische Zeit negiert. Fragen des institutionellen Designs von Märkten werden beispielsweise ausgeklammert und als vorgedacht gelöst bewertet, das Risiko ist nur noch eine Frage des Preises.

Informationsprobleme, die konstitutiv für Finanzmarkttransaktionen sind, werden in dieser theoretischen Sicht ausgeklammert. Es wirkt ein Zeitkonzept, das sowohl die historische Bedingtheit allen wirtschaftlichen Handelns ausblendet als auch Verlaufsdynamiken und Anpassungsfristen in Echtzeitvorstellungen auflöst. In dieser institutionenfreien Weltsicht wurden Verbriefungsprodukte zu voraussetzungslosen Wertpapieren. Die damit angeregte vollständige Verbriefung der zugrunde liegenden Kredite ignorierte die Anreizprobleme, die aus einer Zerlegung der Haftungskette resultierten.

Bereits im Lichte dieser wenigen Hinweise wird deutlich, wie sehr der disziplingeschichtlich zunächst entlastende Rückzug der historischen Zeit über deren weitgehenden Verlust zu einer Bürde der ökonomischen Theorie wurde. Das sozial relevante Handeln des Menschen ist nun mal historisch gebunden. Die Reaktivierung der historischen Zeit kann sich indes nicht auf die wirtschaftsgeschichtliche Einordnung ökonomischer Phänomene beschränken, sie muss ebenso auf die wissenschaftsgeschichtliche Selbstreflexion der Ökonomik zielen.

Wer darauf antwortet, dass die Disziplingeschichte nicht zum Lehrkanon der Ökonomik gehören sollte und man daheim entsprechende Bücher lesen könne, offenbart ein Missverständnis über die Orientierungsaufgabe des Studienprogramms (siehe WirtschaftsWoche 15/2015). Dort testieren die Fachvertreter die Bedeutung der Themen. Die Lektion der Krise anzunehmen, dass der Verlust der historischen Zeit ein massives Versagen begründete, erfordert die Bereitschaft, zu lernen und relevante Fragen anzunehmen. Einige Fakultäten haben dieses geleistet.

Die historische Einordnung bedeutet zugleich, die theoretischen Modelle einem besonderen empirischen Test auf Relevanz zu unterziehen. Die Modelle verlieren dann ihre Unschuld, die sie ohnehin nur vordergründig besitzen. Denn die Aussage, dass "die Modelle... dank ihrer mathematischen Unterlegung ideologiefrei" seien, kann man bestenfalls als naiv beschreiben. Die Mathematik eröffnet der Ökonomik einen Weg, Probleme präzise und konsistent nach den Regeln der Logik zu durchdringen. Doch die Anwendung der Mathematik ist weder voraussetzungslos noch umfassend möglich. So ist die Entscheidung für das Instrument Mathematik selbst ein Werturteil, ihre konkrete Nutzung kann den Bedarf an Werturteilen reduzieren, nicht aber völlig auflösen.

So ist die Entscheidung für ein Menschenbild unumgänglich. Es mag ja sein, dass manche Kollegen nicht mehr an den Homo oeconomicus glauben. Das ist aber nicht die Frage. Man benötigt ein theoriefähiges Menschenbild, das die Aggregation typischer Akteure zulässt. Bei aller berechtigten Kritik an dieser Kunstfigur, so liegt sie aber doch ungefragt den mathematischen Modellen zugrunde, die schon deshalb nicht werturteilsfrei sein können. Das sollte man redlicherweise offenlegen. Daran haben die wertvollen Erkenntnisse der Verhaltensökonomik nichts geändert.

Ein theoriefähiges Menschenbild verlangt nach Reduktion der Merkmale. Eines ist die Wirksamkeit von Anreizen für menschliches Verhalten, das bleibt der Markenkern der Ökonomik. Ein experimentell belegtes Merkmal des Menschen, seine Neigung zur Kooperation und zum guten Willen, hat interessanterweise im ökonomischen Hauptdiskurs kaum Niederschlag gefunden. Dabei hat der Nobelpreisträger Edmund Phelps schon vor 40 Jahren herausgearbeitet, dass in unvollkommenen Märkten altruistisches Verhalten die Effizienz der Ressourcenallokation steigert, weil dadurch Transaktionskosten gesenkt werden.

Eine Ökonomik, die solches ernst nimmt, findet auch einen Zugang zu Themen, die ihr bisher fremd erschienen und macht sie dort anschlussfähig: Mitverantwortung als Steuerungsressource, Zivilgesellschaft als Lösung von Allokationsproblemen, kulturelle Differenzierung als Faktor ökonomischer Spezialisierung. So gewinnt das Abtauchen in die Zeitschichten unseres Daseins eine größere Bedeutung, die formale Methode wird auf ihren relevanten Bereich verwiesen.

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