Einige Beobachter fühlen sich bemüßigt, auf die wirtschaftlichen Vorteile hinzuweisen, die die Aufnahme von Flüchtlingen bringen wird. Das ist voreilig. Niemand kann die Zukunft vorausberechnen. Ein Gastbeitrag von Detlef Fetchenhauer und Michael Hüther in der Welt.
Die Kosten der Flüchtlingsaufnahme kennt keiner
Die Massivität des Flüchtlingszustroms bestimmt nahezu alle Debatten. Die Ökonomen streiten über die volkswirtschaftlichen Vor- und Nachteile. Dabei wird häufig vergessen, dass Flüchtlinge nicht einer gesteuerten Arbeitsmigration folgen, sondern aufgrund lebensbedrohender Gefahren ihre Heimat verlassen. Die Aufnahme hierzulande folgt humanitären Gründen und beruht grundsätzlich auf der Erwartung, dass bei einer Besserung der Lage in der Heimat eine Rückwanderung stattfindet. Integrationskurse waren deshalb bislang für Flüchtlinge nicht offen und eine Integrationsperspektive nicht systematisch gegeben.
Die ökonomische Frage nach den Integrationspotenzialen ist gleichwohl berechtigt, darf sich aber nicht auf eine simple Nutzen-Kosten-Rechnung beschränken. Denn so elementar die Einfädelung der Flüchtlinge in das Bildungssystem und in den Arbeitsmarkt ist, so sehr gilt auch, dass Integration mehr bedeutet, nämlich die Einbindung in die kulturelle Traditionen und Errungenschaften unseres Landes.
Die steigende Erwerbstätigkeit seit 2011 hat sich weitgehend aus der arbeitsmarktbedingten Zuwanderung aus der Eurozone und der gezielten Migration aus Drittstaaten gespeist. Infolge der im Vergleich zur heimischen Bevölkerung überdurchschnittlichen Bildung dieser Migranten war damit eine Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens der bereits hier lebenden Menschen verbunden. Das heimische Arbeitskräftereservoir war hingegen weder hinreichend flexibel noch passend qualifiziert.
Über die Qualifikation der Flüchtlinge wissen wir nicht viel, doch alles deutet auf eine im Durchschnitt eher geringe Bildung und berufliche Qualifikation hin. Das galt bereits für die in den früheren Jahrzehnten zugewanderten Flüchtlinge, deren Einbindung in den Arbeitsmarkt bis heute unterdurchschnittlich ist. So ist es richtig, alles zu tun, um die Bildungs- und Erwerbsintegration der Flüchtlinge zu ermöglichen.
Die Flüchtlinge sind aber nicht Ersatzspieler für die Deutschen, wie das von Marcel Fratzscher an dieser Stelle benutzte Beispiel der Fußball-WM 2014 nahelegt. Es werden hingegen durch die Zuwanderung neue Mannschaften entstehen und die Liga wird sich verändern. Wer sich auf enge Nutzen-Kosten-Argumentation einlässt, der muss auch die Frage nach den Alternativen stellen.
Und dann kommt man schnell in moralische Untiefen, vergleicht man Flüchtlingsmigration mit gesteuerter Zuwanderung. Ohnedies geht die Nutzensimulation nur auf, wenn der Arbeitsmarkt aufnahmebereit ist. Das ist an Voraussetzungen in der Regulierung und der Lohnstruktur gebunden, die nicht per se erfüllt sind.
Man ist gut beraten bei Analysen zwischen Sollen und Sein zu unterscheiden. Viele Studien zeigen, dass dies den meisten Menschen intuitiv schwer fällt. So sind Personen, die aus moralischen Gründen gegen die Todesstrafe sind meist davon überzeugt, dass diese keine abschreckende Wirkung habe. Umgekehrt sind Menschen, die Todesstrafen für ethisch notwendig halten davon überzeugt, dass sie mögliche Täter abschreckt. Beides hat logisch nichts miteinander zu tun.
Dies gilt auch für die aktuelle Debatte über die ökonomischen Konsequenzen der Flüchtlingskrise. Aus der Überzeugung, dass Deutschland aus moralischen Gründen Flüchtlinge aufnehmen sollte, lässt sich logisch nicht ableiten, dass diese zumindest mittelfristig ökonomisch ein Gewinn für Deutschland sind. Ebenso wenig wie sich politisch und moralisch ableiten lässt, Deutschland solle keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen, falls diese dauerhaft eine ökonomische Belastung darstellen.
Zudem zeigt mancher Kommentar die Neigung, die historisch-gesellschaftliche Bedingtheit ökonomischer Entwicklungen auszublenden. Welche wirtschaftlichen Konsequenzen der aktuelle Flüchtlingszustrom hat, hängt an vielen politischen Faktoren und lässt sich aus ökonomischen Überlegungen alleine nicht vorhersagen. Eine große Aufgabe wie diese muss auch umfassend bewältigt werden. Das aber ist mehr Vision als Realität.
Detlef Fetchenhauer ist Professor für Wirtschafts- und Sozialpsychologie an der Kölner Universität.
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