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Michael Hüther im Handelsblatt Gastbeitrag 29. Februar 2016

Der Preis der Politik

Der Fiskalrat droht zum Instrument weiterer Finanzintegration zu werden, schreibt IW-Direktor Michael Hüther im Handelsblatt.

Im Schatten der Brexit-Verhandlungen und der Krise der europäischen Flüchtlingspolitik wird leicht übersehen, was in Brüssel sonst noch passiert. Und da ist Obacht geboten. Denn es lässt sich gerade beobachten, wie die Juncker-Kommission ihr Selbstverständnis als politische Kommission umsetzt. Regeln werden da nur noch zum Beiwerk einer Politik, die sich grundsätzlich frei fühlt, den Ausnahmefall zum Standard und die Abweichung vom Grundsatz zur Regel zu machen. Insbesondere die Regelbindung der Finanzpolitik in der Euro-Zone wird bei den meisten Mitgliedstaaten als deutscher Spleen angesehen.

Dabei hat die Kommission ganz anders auf den Fünf-Präsidenten-Bericht und den Vorschlag reagiert, einen europäischen Fiskalrat einzurichten. Dieser soll unabhängig die Einhaltung der finanzpolitischen Vorgaben und Selbstverpflichtungen der Mitgliedstaaten der Euro-Zone bewerten. Damit soll die Umsetzung der neuen Fiskalregeln begleitet und glaubwürdig befördert werden. Eine im Grundsatz überzeugende Idee, die wohl für das deutsche Gemüt eine weitergehende Fiskalintegration erträglich machen soll.

Bedenklich stimmen muss aber, dass so der Blick von den einzelnen Staaten auf die angemessene gesamteuropäische Fiskalperformance geweitet wird ("fiscal stance"). Damit liegt die Forderung nach einer europäischen Fiskalkapazität in der Luft, die viele für unvermeidlich halten, weil nur so die krisengeschüttelten Länder wieder auf einen Pfad stabilen Wachstums zurückkehren könnten. Tatsächlich reicht politisch die Kraft nicht, mit Ausdauer hinreichend strukturelle Veränderungen durchzuführen und dann die Geduld aufzubringen, deren Erfolg abzuwarten. Dann wird Deutschland mit seinem Nein zur Fiskalkapazität der Bösewicht, der reformwilligen Staaten die fiskalische Luft zur Erholung nimmt.

So droht der Fiskalrat zum Instrument einer weitergehenden Fiskalintegration zu werden. Seine Unabhängigkeit als zweifelhaft anzusehen erscheint bereits durch die Errichtung als Organ der Kommission als berechtigt.

Wer dennoch guten Willens war und darauf setzte, dass ein kompetent besetzter Rat einen Beitrag zur budgetpolitischen Vernunft leisten kann, der wurde durch eine scheinbar nachrangige Kommissionsentscheidung vom 12. Februar 2016 eines Bessern belehrt. Dort wurde die ursprünglich vorgesehene Lösung revidiert, den "Chief Economic Analyst" auch zum Chef des Sekretariats des Fiskalrats zu machen.

"Aus Gründen der Kohärenz und Effizienz" wurde nun eine Trennung beider Funktionen beschlossen. Kohärent ist die Vermeidung eines deutschen Ökonomen aus der Europäischen Zentralbank nur mit all den Wünschen nach budgetpolitischer Vergemeinschaftung und einer Fiskalkapazität. Man will den Fiskalrat berechenbar halten und keine Überraschungen erleben.

Man mag dies als personalpolitische Petitesse ansehen, doch es verdeutlicht, wohin sich die EU-Kommission in ihrem Selbstverständnis bewegt. Als politisches Gremium will sie sich alle Möglichkeiten offenhalten, um aus eigener Vollkommenheit für jede Überraschung gut zu sein. Dann aber ist der Fiskalrat aber verzichtbar; er kostet zu viel Zeit und Geld.

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