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Michael Hüther in der Süddeutschen Zeitung Gastbeitrag 17. November 2015

Aufruhr im Garten Enden

Der Kulturkritiker Slavoj Žižek hält den Kapitalismus für unheilbar – und springt dabei ins Nichts. Eine Rezension von IW-Direktor Michael Hüther in der Süddeutschen Zeitung.

Slavoj Žižek macht es mit seinem neuen Buch „Ärger im Paradies. Vom Ende der Geschichte zum Ende des Kapitalismus“ eingefleischten Kapitalismuskritikern nicht leicht. Es ist ein Lektüreweg verdeckter Ermittlung notwendig. Wie bei ihm gewohnt drängt der Autor seine Leser durch eine Vielzahl von geist- und beziehungsreichen Anekdoten, Geschichten, Mythen und philosophischen Referenzen. Man ist gut unterhalten, horcht aber doch etwas schwindelig auf, wenn abrupt die klare Ansage kommt und der Kapitalismus als unheilbar krisenkrank bewertet wird, da seine „spezifischen Dysfunktionen... strukturell notwendig“, also nicht kompensierbar sind.

Der Slowene Žižek offeriert seine Argumentation in vier Schritten, nachdem er in der Einleitung das Paradies mit jenem Heilsversprechen gesellschaftlicher Ordnung verbindet, das sich auf den liberaldemokratischen Kapitalismus bezieht. Den Ärger verursacht ihm die anhaltende ökonomische Krise. Die Lösung sieht Žižek in der „kommunistischen Hypothese“ des französischen Philosophen Alain Badiou, der so die theoretische Unschuld des Kommunismus als gesellschaftlicher Realität trotz Stalin, Mao und Co. propagiert.

Mit dem Verweis auf Badiou wird klar, worauf dieser Essay letztlich zielt: Die Abschaffung des Privateigentums zur zeitlichen sowie sozialen Entgrenzung des Individuums und die Etablierung einer „Politik der Wahrheit“ anstelle der „Wahrheit ohne Bedeutung“, die den Kapitalismus ausmacht. Die Spontaneität der Massen könne es richten – in einem System, dessen Dogmentreue den Einzelnen erfülle und deshalb einer parlamentarischen Demokratie mit nihilistischer, rein formaler Mehrheitssuche nicht bedürfe.

Im ersten Kapitel analysiert Žižek Strukturbedingungen des globalen Kapitalismus. Zutreffend wird ein Problem der offenen Gesellschaft und ihrer Marktwirtschaft beschrieben: die ständige Verunsicherung der Menschen durch Neues und das Risiko enttäuschter Erwartungen. Die Bedrohung durch Arbeitslosigkeit „als eine Form der Ausbeutung“ beruht indes auf einem statischen Bild wirtschaftlicher Realität, das alle Mobilität am Arbeitsmarkt ausblendet. Žižek benötigt diese schiefen Bezüge ebenso wie die Ignoranz gegenüber Fakten, die seiner Intuition widersprechen, um alle Versuche, den Kapitalismus zu verteidigen als das Gegenteil dessen einzuordnen. „Der Kommunismus bleibt... der einzige Horizont, von dem aus man das, was heute vor sich geht... angemessen analysieren kann.“

Jede Krise unterstützt die große Krisenerzählung über den systematisch dysfunktionalen Kapitalismus; Zypern, Griechenland und Türkei, Government Shutdown in den USA, Ruanda und Auschwitz – das Buch durchzieht viele solcher Bezüge mit dem Ziel eines universellen Befundes. Dabei kann nicht beachtet werden, was den globalen Kapitalismus ebenso prägt: die kulturelle Besonderheit von Gesellschaften aus historischen Gründen, Habitus und Haltung als Differenzierungsfaktoren, wirtschaftsstrukturelle Unterschiede aufgrund historischer Pfadabhängigkeiten, Zivilgesellschaft als soziale Ressource in Demokratien und anderes mehr. Das universelle marxistische System der Wahrheit lässt das nicht zu.

Im zweiten Kapitel erklärt der Autor, warum wir bereit sind, in einem dysfunktionalen Wirtschaftssystem zu leben: Es sind Illusionen von symbolischer Wirksamkeit, die die soziale Realität hervorbringen. Dazu gehöre zentral das „Über-Ich“, jenes nicht kodifizierte, aber sozial gelebte Normengewirr, das zum kulturellen Substrat jeder Gesellschaft gehört und das Verhalten des Einzelnen positioniert. Dass in hermeneutischen Konstrukten kollektive Lernprozesse zum Ausdruck kommen, wird von Žižek nicht gewürdigt. Unreflektiert bleibt auch, dass der Verweis auf ein „Über-Ich“ des Kapitalismus dessen Inhaltsleere keineswegs als selbstverständlich erscheinen lässt.

Das dritte Kapitel wagt einen Blick auf die Zukunft, wenn nichts passiert. Dann herrscht „De-Realisierung“ mit dem Ziel der „Re-Normalisierung“ als unvermeidbar erfolglose Flucht vor der Realität – so könnte man die Erwartung des Autors verdichten, die er aus zeitgenössischen Verweisen (Ägypten, Türkei, Brasilien, Syrien, Ukraine, Occupy-Protest...) ableitet. All die „Ausbrüche ohnmächtiger Wut bezeugen die verheerenden Folgen einer globalen kapitalistischen Ideologie, die individuellen Hedonismus mit hektischer, konkurrierender Arbeit verbindet und dadurch den Raum für ein koordiniertes Handeln verschließt“.

Jeder Aufruhr richte sich zwar gegen die neoliberale Totalität der Weltordnung, doch er verrecke in der zweiten Phase aus Angst vor Radikalisierung. Wegen dieser begrenzten revolutionären Perspektive seien Kommunisten so wertvoll, „weil sie das Feld unseres Kampfes ausweiten und es uns erlauben, Kämpfe für Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit zu vereinnahmen und zu dominieren“. Andernfalls bleibe bei aller Wandlung alles wie es ist, die Dynamik des Kapitalismus überrunde alle Versuche seiner Außerkraftsetzung. Damit es dabei nicht bleibt, wird viertens beleuchtet, wie die neue Phase emanzipatorischen Kampfes vorangebracht werden kann. Verpackt als Zitat von Badiou wird die These vertreten, „lieber den schlimmsten stalinistischen Terror als die liberalste kapitalistische Demokratie“, denn „lieber ein Desaster als ein ereignisloses Überleben in einem hedonistisch-utilitaristischen Universum“. Es lohne sich, ein nicht wahres Leben aufzugeben, weil es nur vom Anschein falscher Freiheit getragen sei. Die Individuen aus ihrer Starre zu reißen, verlange aber einen Herrn (!), der das Notrecht nimmt, weil es anders nicht gehe. Hegel wird dafür als Kronzeuge bemüht, obwohl eher Carl Schmitt passt, der den „Führer“ so das Recht schützen sah.

Am Ende wird die ganze Hilflosigkeit von Žižeks Argumentation offenbar: Die schlimmen Zustände des globalen Kapitalismus lassen jedes Mittel recht sein, weil es um die Erlösung zur wahren Freiheit geht. Für eine solche säkularisierte Heilsgeschichte hätte es nicht so vieler Seiten bedurft, zumal offen bleibt, wie das Paradies aussieht. Da wir auf der Erde mit allen ihren Krisen, Konflikten, Katastrophen und Dilemmata leben müssen, bleibt nichts anderes als im Hier und Jetzt das Miteinander der Menschen auszuhandeln und zu organisieren.

Wer sich dafür entscheidet, der wird von der Lektüre des Buches nicht profitieren. Wer idealistisch nach der ewigen Wahrheit sucht, der wird sie in dem Buch ebenso nicht finden. Es ist ein großer, immerhin unterhaltsamer Sprung ins Nichts.

Zum Gastbeitrag auf sueddeutsche.de

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