Deutschlands Wirtschaft wirkt auf den ersten Blick robust. Das könne sich aber schnell ändern, schreibt IW-Konjunkturexperte Michael Grömling in der Fuldaer Zeitung.
Kein Raum für Wünsche
Deutschlands Wirtschaft wirkt erstaunlich robust. Die gesamtwirtschaftliche Produktion legte in den vergangenen beiden Jahren um deutlich über 1,5 Prozent zu. Für dieses Jahr wird ein Anstieg von 1,5 Prozent erwartet. 2017 fällt das Wachstum mit gut 1,25 Prozent etwas schwächer aus. Eine Rezession scheint weit entfernt.
Diese Beharrlichkeit überrascht angesichts der Abschwächung der Weltwirtschaft. Die Robustheit ist nur vordergründig: Die deutlich gesunkenen Energiepreise schieben zusammen mit den niedrigen Zinsen die Konsumkonjunktur an. Die Abwertung des Euro erleichtert das Exportgeschäft. Und nicht zuletzt wirken die höheren Staatsausgaben für die Unterbringung, Versorgung und Integration der Flüchtlinge stimulierend. Die deutsche Konjunktur ist und bleibt aber anfällig: Zum einen gilt dies mit Blick auf ein mögliches Umkippen der genannten Sondereffekte – also wenn Ölpreise und Zinsen steigen sowie der Euro aufwertet. Zum anderen ist das globale Geschäftsumfeld der deutschen Firmen von vielen Risiken geprägt.
Zwar stabilisiert sich die Lage in den großen Industrieländern – eine Verwundbarkeit durch neue Finanzmarktinstabilitäten besteht aber weiter. Die Schwellenländer haben deutlich an Schwung verloren. Einige große aufstrebende Länder, wie Brasilien, durchleben ausgeprägte Rezessionen. Das langsamere Wachstum in vielen Schwellenländern spiegelt beharrliche institutionelle Belastungen und Strukturprobleme wider. Letztere zeigen sich in hartnäckigen Überkapazitäten und in einer schwachen technologischen Leistungsfähigkeit. Während die Schwellenländer über lange Zeit die Robustheit der deutschen Exportwirtschaft begründen konnten, stehen sie derzeit eher für Unsicherheit und Vorsicht.
Daneben wird das Risikoumfeld der deutschen Wirtschaft von Unwägbarkeiten in Europa geprägt: Die ultra- expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ist nicht unumstritten. Die Europäische Union steckt in einer Orientierungskrise. Es gibt offensichtlich unter den einzelnen Ländern keine einheitliche Linie bezüglich des adäquaten Reformkurses angesichts der hohen Staatsverschuldungen und der notwendigen fiskalischen und realwirtschaftlichen Anpassungen. Die Unstimmigkeit in der EU zeigt sich auch in der Flüchtlingsfrage.
- Dieses globale Wirtschaftsumfeld setzt der deutschen Exportwirtschaft deutlich zu. Es wird zwar keinen Rückgang der Exporte geben, das Wachstum bleibt mit 2,25 Prozent im Jahr 2016 aber schwach. Zudem: Hohe Tariflohnabschlüsse gefährden die Wettbewerbsfähigkeit.
- Die Investitionsneigung in Deutschland bleibt verhalten. Das globale Umfeld und die abgebremsten Exportperspektiven lassen trotz der sehr günstigen Finanzierungskonditionen keinen Aufschwung bei den Ausrüstungsinvestitionen erwarten. Die Arbeitsmarktentwicklung sowie die Finanzierungsbedingungen bleiben belebend für den Wohnungsbau. Auch die Zuwanderung wirkt hier stimulierend.
- Der Staatskonsum hat zum Jahresende 2015 stark zum gesamten Konsum- und Wirtschaftswachstum beigetragen. Dies wird wegen der zusätzlichen Staatsausgaben infolge der Flüchtlingszuwanderung anhalten.
- Die private Konsumnachfrage erfährt derzeit einen deutlichen Extraschub infolge der nochmals gesunkenen Öl- und Energiepreise. Schließlich stärken die anhaltend niedrigen Zinsen – über niedrige Kreditkosten und zurückgedrängte Sparanreize – den Konsum.
- Der seit 2011 anhaltende und kräftige Beschäftigungsaufbau wird sich fortsetzen. Die anhaltende Arbeitskräftenachfrage sorgt gemeinsam mit der Zuwanderung für eine höhere Erwerbstätigkeit. Gleichzeitig wird aber die Arbeitslosigkeit leicht von 6,25 Prozent in diesem Jahr auf 6,5 Prozent 2017 zunehmen.
Insgesamt erscheinen die Perspektiven der deutschen Wirtschaft robust. Dies beruht in hohem Maße auf den noch wirksamen Sondereffekten. Diese werden aber nachlassen. Hinzu kommt die stark risikobehaftete Weltwirtschaft. Vor diesem Hintergrund hat Deutschland derzeit kein ökonomisches Potenzial für Wünsche und Begehrlichkeiten an den Staat.
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