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Michael Hüther Gastbeitrag 25. Juni 2009

Maß und Mitte

In der Krise darf die Politik nicht ängstlich Zahlen saldieren, sondern sie muss die Wachstumskräfte stärken.

Beide Aussagen bewerten Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit als Irrweg oder nähren den Eindruck, dass vieles davon fragwürdig sei. Jede Krise führt zwar dazu, gewählte unternehmerische Strategien, entwickelte Muster der Arbeitsteilung und gefundene politische Lösungen zu hinterfragen. Doch die Prüfung muss den erwartbaren Bedingungen des Strukturwandels folgen. Die Krise als Katalysator scheinbar längst gebotener Entwicklungen zu deuten basiert nicht auf solchen Analysen, sondern auf Wunschvorstellungen.

Gewöhnlich werden die Brüche und die Diskontinuitäten in Krisen überschätzt, und die Bedeutung von lange eingeschlagenen Pfaden wird unterschätzt. Der hohen exportorientierten Industrieprägung unserer Volkswirtschaft haben weder symmetrische Schocks, die wie die Ölpreiskrisen der 70er-Jahre alle Industrieländer gleichermaßen getroffen haben, noch einseitige Herausforderungen wie die Wiedervereinigung etwas anhaben können. Wer heute empfiehlt, mehr auf Binnenwirtschaft und Konsum zu setzen, der verkennt den langen Atem volkswirtschaftlicher Spezialisierungsmuster in der Globalisierung.

Der volkswirtschaftliche Strukturwandel wird durch Krisen, seien diese auch noch so schwer, nicht umgedreht. Nur politische Interventionen, vor allem solche zur Desintegration von Wirtschaftsräumen und zur Handelsbeschränkung, können Derartiges bewirken. Dafür gibt es einschlägige Beispiele in der Wirtschaftsgeschichte. Deshalb ist es so bedeutsam, dass die nur mühsam getarnten protektionistischen Bestrebungen einiger Länder aufgegeben werden. Durch Abschottung hat noch keine Volkswirtschaft dauerhaft einen Nutzen erringen können.

Doch wie kommt man gestärkt aus der Krise heraus? Worauf ist die Stärke bezogen? Mehr Wachstum, mehr Beschäftigung, und wenn ja: wie? Welche Analyse liegt dem zugrunde? Was verspricht die Wirtschaftspolitik dafür zu tun? Die Fragen bleiben ebenso unbeantwortet. wie sie drängend sind. Die Rhetorik des Wahlkampfs offeriert uns die schlichten Einsichten von früher: etwas Steuerrechtsänderung hier, etwas Umverteilung dort und ein bisschen Bildungspolitik aus Empörung. Mutige Aussagen fehlen genauso wie klare Bekenntnisse zum Verhältnis von Markt und Staat.

Den Unternehmen wird mit Emphase empfohlen, was sie als Meister der effizienten Anpassung im Marktsystem ohnehin leisten müssen: investieren auch in der Krise. Ein Ausruhen auf Kostenmanagement ist noch keinem gut bekommen. Unternehmen im Wettbewerb wissen, dass selbst in einer solchen Krise die Suche nach neuen Lösungen forciert werden muss. Der Blick ist weit gerichtet. Wir werden auch künftig die globalen Märkte ins Visier nehmen müssen. Wer sonst soll die Nachfragelücke wieder schließen, die in der Krise entstand?

Doch genau das, was die Politik anderen empfiehlt, ist sie selbst nicht bereit zu liefern. Die Krise fordert Innovationen: neue und intelligente Regulierungen für den Finanzmarkt, eine effektive und moderne Finanzaufsicht, einen klugen Weg der Konsolidierung. Doch die ängstliche Saldenbetrachtung der Haushaltspolitiker verstellt die Perspektive auf eine Stärkung der Wachstumskräfte. Wo ist das Investitionskalkül der Politik? Hat man noch den Mut, auf Wachstum zu setzen? Nur darin aber liegt die Chance, mehr Menschen in Arbeit zu bringen.

Wer Erwerbschancen mehrt, der verbreitert zugleich die Aussicht auf eine gesellschaftlich akzeptierte Einkommensverteilung. Denn dann bleibt die Aufstiegsmobilität, wie der zurückliegende Aufschwung lehrt, kein Randphänomen. Mittelschicht und Mittelstand gewinnen an Bedeutung. Nur so kann die Gesellschaft Maß und Mitte finden. Das ist kein Plädoyer für Langeweile und gegen ungestümen Vorwärtsdrang. Aber diese Krise lehrt, wohin es führt, wenn Übertreibungen zum Standard und Unwuchten weithin akzeptiert werden.

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