Sieben Jahre nach der Insolvenz der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers hinterfragt die Europäische Kommission in einer öffentlichen Konsultation die Eigenkapitalregulierung der Banken erneut. Die IW-Ökonomen Markus Demary und Heide Haas empfehlen der Kommission im Blog Ökonomenstimme Nachbesserungen.
Nachbesserungsbedarf in der Bankenregulierung
Die Globale Finanzkrise nach der Lehman-Insolvenz sowie die aktuell noch nicht überwundene Banken- und Staatsschuldenkrise im Euroraum zeigten Schwachstellen in der Eigenkapitalregulierung der Banken auf, durch welche diese anfällig für Stress auf den Interbankmärkten sowie auf den Märkten für Staatsanleihen wurden. In den Stresszeiten verschlechterte sich die Qualität der Bankbilanzen und die Banken reagierten mit einer restriktiveren Kreditvergabe an die Unternehmen in der EU. Dies zeigte sich insbesondere in Finanzierungsengpässen bei kleinen und mittelständischen Unternehmen. Neben einer Verbesserung der Bankenaufsicht hat die Europäische Kommission auch die Bankenregulierung verbessert, indem sie die Basel-III-Empfehlungen mit der Capital Requirements Regulation (CRR) und der Capital Requirements Directive IV (CRD IV) in europäisches Recht umgesetzt hat. In einer öffentlichen Konsultation, die bis zum 7. Oktober 2015 läuft, hinterfragt die Kommission nun die Wirkung der Eigenkapitalregulierung auf die Kreditvergabe der Banken.
Bei der Wirkung der Eigenkapitalregulierung auf die Kreditvergabe der Banken muss zwischen ihrer kurzfristigen und ihrer langfristigen Wirkung unterschieden werden. Die kurzfristigen Effekte resultieren aus dem jeweiligen Umfeld der Einführung, das durch noch nicht abgeschlossene Entschuldungs- und Restrukturierungsprozesse der Banken im Euroraum und einer unterschiedlich schnellen wirtschaftlichen Erholung ihrer Sitzländer geprägt war. Eine Erhöhung der regulatorischen Eigenkapitalquote lässt sich durch Aufnahme von Eigenkapital, durch Einbehaltung von Gewinnen oder durch Abbau von Risikoaktiva erreichen. Hätte eine Bank unter Basel II 100 Milliarden Euro an Risikoaktiva in ihrer Bilanz gehabt, so hätte sie bei einer regulatorischen Eigenkapitalquote von 2 Prozent 2 Milliarden Euro an Eigenkapital vorhalten müssen. Um die neue Eigenkapitalquote von 4,5 Prozent zu erreichen, kann die Bank zum einen 2,5 Milliarden neues Eigenkapital aufnehmen oder ihre Risikoaktiva um 56 Prozent reduzieren oder aber eine Kombination beider Maßnahmen treffen. In einem angespannten wirtschaftlichen Umfeld ist es für Banken deutlich schwerer, ihre Eigenkapitalquote durch Emission von Aktien oder die Einbehaltung von Gewinnen zu erhöhen. Unter diesen Umständen werden die Banken ihre Kreditvergabe verschärfen und alte Kreditlinien auslaufen lassen, um Risikoaktiva abzubauen. Die Studie Demary findet in einer Stichprobe von 80 Großbanken unter der direkten Aufsicht der Europäischen Zentralbank (EZB), dass sich auch unter Kontrolle weiterer Faktoren eine höhere Eigenkapitalquote der Banken in einer niedrigeren Kreditvergabe widerspiegelte. Dieser Effekt war vor allem in dem Jahr vor dem Comprehensive Assessment der EZB signifikant.
Längerfristig können negative Effekte der höheren Eigenkapitalquoten auf die Kreditvergabe der Banken aus höheren Kapitalkosten der Banken resultieren. Mehr Eigenkapital führt aber nicht notwendigerweise zu höheren Kapitalkosten der Banken, da besser kapitalisierte Banken über geringere Insolvenzrisiken verfügen, so dass sie sich am Kapitalmarkt günstiger Fremdkapital beschaffen können als weniger gut kapitalisierte Banken. Nach dem Modigliani-Miller-Theorem, dürften sich die Kapitalkosten der Banken also durch die Aufnahme von mehr teurem Eigenkapital nicht ändern, da ihre Fremdkapitalkosten sinken. Admati und Hellwig weisen aber darauf hin, dass das Modigliani-Miller-Theorem für Banken nicht gilt. Denn eine staatliche Rettung der Banken ist zumindest bei den systemrelevanten Banken in ihren Fremdkapitalkosten eingepreist. Schich und Lindh schätzen diesen Vorteil anhand von Rating-Daten auf durchschnittlich 2,2 Rating-Notches. Vor diesem Hintergrund müssen die langfristigen Effekte der Eigenkapitalregulierung vor dem Hintergrund der nun geltenden Bank Restructuring and Resolution Directive (BRRD) gesehen werden, die ein Bail-in im Insolvenzfall vorsieht, und damit Bankschulden aus Investorensicht riskanter macht und so zu höheren Fremdkapitalkosten für Banken führen kann. Es ist also möglich, dass die Gesamtkapitalkosten der Banken durch die Finanzmarktregulierung steigen, was auch langfristig zu einer geringeren Kreditvergabe führen kann.
Die negativen Effekten von CRR, CRD IV und BRRD auf die Bankkreditvergabe können aber durch die Abschaffung der privilegierten Stellung von europäischen Staatsanleihen in der CRD IV abgemildert werden. Denn europäische Staatsschuldtitel, sofern sie in nationaler Währung refinanziert werden, können von Banken ohne die Aufnahme von Eigenkapital erworben werden, während die Banken für die Kreditvergabe an Private Eigenkapital aufwenden müssen. Demary findet in einem Paneldatensatz, dass die Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte in einem Umfeld niedriger Zinsen geringer ausfällt, während die Engagements der Banken in der Staatsfinanzierung höher ausfallen.
Neben der Eigenkapitalunterlegung wirken CRR und CRD IV Konzentrationsrisiken in den Bankbilanzen entgegen, indem sie die Kreditvergabe an einen einzelnen privaten Schuldner auf maximal 25 Prozent des verfügbaren Eigenkapitals der Bank beschränkt, während die Konzentrationsrisiken gegenüber staatlichen Schuldnern nicht adressiert werden. Diese Privilegierung der Staatsanleihen führt dazu, dass sich in den Bankbilanzen Konzentrationsrisiken gegen einen oder einige wenige europäische Staaten bilden. Eine Abschaffung dieser Privilegierung ist somit auch für eine Stärkung der Finanzstabilität dringend erforderlich.
Eine Krisenerfahrung war, dass unterkapitalisierte Banken, die sich sehr stark kurzfristig am Interbankenmarkt refinanzierten, anfällig für einen Zusammenbruch des Interbankenmarktes, wie nach der Insolvenz von Lehman Brothers, waren. In dieser Situation waren die Banken gezwungen ihre Vermögenswerte zu Fire-Sale-Preisen zu veräußern, wodurch Preisdruck auf diese Asset-Klasse entstand und sich bei Marktwertbilanzierung Verluste bei anderen Banken, die ähnliche Assets hielten, einstellten. Die Net Stable Funding Ratio (NSFR) setzt den Banken nun die Anreize, weniger stark auf kurzfristige Refinanzierung zurückzugreifen, sie setzt aber auch den Anreiz, weniger längerfristige Ausleihungen zu tätigen. Ein Rückgang der Langfristfinanzierung der Banken ist gerade in margenarmen Geschäften, wie der Langfristfinanzierung von Immobilien- und Infrastrukturprojekten zu befürchten. Die Langfristfinanzierung ist im Vergleich zum Investmentbanking mit geringerem Risiko und geringeren Margen verbunden. Deshalb ist es für die Langfristfinanzierer schwerer Eigenkapitalgeber zu finden. Neben der NSFR ist eine Leverage-Ratio, die die Risiken der Engagements nicht berücksichtigt, für die Langfristfinanzierung zu restriktiv.
Die CRR und die CRD IV gelten für alle Banken in der Europäischen Union. Dass die Geschäftsmodelle der Banken und die darin zugrundeliegenden Risiken der Banken sehr unterschiedlich sind, zeigt die Studie . Banken, die stärker auf die Kreditvergabe spezialisiert sind und sich durch Kundeneinlange finanzieren, sind geringeren Risiken ausgesetzt als Banken, die Derivate halten und Wertpapiere handeln und sich stärker über den Kapitalmarkt refinanzieren. Die Leverage-Ratio und auch die NSFR tragen diesen unterschiedlichen Geschäftsmodellen keine Rechnung und wirken für eine Vielzahl sicherheitsbewusster Banken zu restriktiv. Sie könnten aber auch dazu führen, dass sich Banken aufgrund regulatorisch verringerter Renditen aus dem risikoarmen Geschäft zurückziehen, was dem Zweck der Regulierung widerspräche. Vor diesem Hintergrund sollte an der Risikogewichtung in der Eigenkapitalregulierung festgehalten werden.
Die Erfahrungen mit der Globalen Finanzmarktkrise und der Banken- und Staatsschuldenkrise im Euroraum zeigen, dass Banken mehr Eigenkapital vorhalten sollten. Das heißt aber nicht, dass nicht einzelne Teile des Regulierungspakets nicht überprüft werden sollten. Konkret sind die Leverage-Ratio, die NSFR und die Privilegierung von Staatsanleihen Kandidaten für eine genauere Überprüfung. Um zu verhindern, dass Regulierungen, die nicht ihren Zweck erfüllen, unnötig die Wirtschaft bremsen, sollte die Kommission für das Jahr 2020 eine weitere öffentliche Konsultation zu CRR und CRD IV führen.
Zum Gastbeitrag auf oekonomenstimme.org
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