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Markus Demary und Michael Voigtländer in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Gastbeitrag 5. November 2017

Zinswende: Bloß nicht zu schnell

Die geringen Zinsen fördern die Staatsverschuldung, sie belasten Versicherungen und deren Kunden, erschweren die Altersvorsorge und können zu Spekulationsblasen führen. Auf Dauer muss die EZB daher den Leitzins erhöhen, schreiben die IW-Ökonomen Markus Demary und Michael Voigtländer in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Aber die Wende sollte behutsam geschehen – sonst drohen enorme Risiken.

Wenn die Europäische Zentralbank (EZB) ihre nächste Zinsentscheidung verkündet, wird in Deutschland wieder viel Kritik an der lockeren Geldpolitik zu hören sein. Zu Recht: Die geringen Zinsen fördern die Staatsverschuldung, sie belasten Versicherungen und deren Kunden, erschweren die Altersvorsorge und können zu Spekulationsblasen führen. Auf Dauer muss die EZB daher den Leitzins erhöhen. Aber die Wende sollte behutsam geschehen - sonst drohen enorme Risiken, insbesondere auch für die Arbeitnehmer.

Denn es wird oft übersehen, dass die niedrigen Zinsen auch große Chancen bieten - nicht nur für Wohnungseigentümer, sondern auch für Unternehmen, die investieren möchten. Viele Firmen in der Eurozone haben die niedrigen Zinsen genutzt, um teure Kredite durch günstigere abzulösen, mehr zu investieren und die Verschuldung abzubauen. Insbesondere Unternehmen in Spanien und Portugal konnten ihren Verschuldungsgrad teils deutlich senken: Die Verschuldung des Unternehmenssektors im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt ist allein zwischen 2010 und 2016 in Spanien von 132 Prozent auf 102 Prozent und in Portugal von 128 Prozent auf 115 Prozent gesunken.

Geldpolitik entspannt finanzielle Lage vieler Unternehmen

Insgesamt ist die Zahl der anfälligen Unternehmen in allen Ländern der Eurozone wieder auf Vorkrisenniveau - oder niedriger. Als anfällig gilt ein Unternehmen, wenn Umsatz und Gewinn sinken, die Zinskosten - zum Beispiel wegen höherer Risiken - steigen und der Verschuldungsgrad wächst. Solche Firmen können durch steigende Zinsen oder andere verschlechterte Rahmenbedingungen in die Insolvenz gedrängt werden.

Ihre Zahl stieg vor allem in den Krisenländern des Euroraums, als dort die Risikoprämien - und damit die Zinsen - anzogen. Infolge der ultraexpansiven Geldpolitik entspannte sich die finanzielle Lage für diese Unternehmen. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) ist in Italien der Anteil anfälliger Firmen zwischen 2012 und 2016 von 28 Prozent auf 9 Prozent gesunken. In Griechenland ging er von 25 Prozent auf 9 Prozent zurück, in Portugal von 26 Prozent auf 4 Prozent und in Spanien von 32 auf 5 Prozent. Das belegt deutlich, dass die Politik der EZB gewirkt hat.

Eine übereilte Zinswende könnte jedoch viele der europaweit 800000 Unternehmen, die nach wie vor als anfällig gelten, in finanzielle Schieflage bringen. Dadurch könnten viele Arbeitnehmer ihren Job verlieren. Dies hätte starke konjunkturelle Auswirkungen und könnte gerade in Südeuropa den Aufwärtstrend beeinträchtigen. Das gilt insbesondere für Italien, wo mehr als 300000 Unternehmen anfällig sind. Aber auch in Griechenland, Portugal und Frankreich wären viele Firmen betroffen.

Zwar ist es richtig, dass sich darunter auch sogenannte Zombie-Unternehmen befinden, die derzeit nur durch Niedrigzinsen am Markt gehalten werden. Diese sind de facto nicht lebensfähig und würden früher oder später ohnehin in die Insolvenz gehen. Allerdings gibt es ebenso anfällige Unternehmen, die an sich ein gesundes Geschäftsmodell haben, die aber durch die schwere Rezession an Profitabilität eingebüßt haben und mehr Zeit brauchen, um sich wieder zu erholen.

Darüber hinaus ist zu bedenken, dass Insolvenzen auch die Stabilität des Bankensektors gefährden können. Gerade in den Ländern mit einem hohen Anteil anfälliger Unternehmen sind auch besonders viele Kredite ausfallgefährdet. Kommt es zu einem starken Anstieg der Insolvenzen, würde das auch bei den Banken zu Verlusten führen - besonders in Südeuropa würde dadurch das Risiko einer erneuten Bankenkrise zunehmen.

Einlagenzins für Banken sollte schon jetzt erhöht werden

Um das zu verhindern, muss die EZB die Zinswende mit der nötigen Geduld einleiten - aber jetzt damit beginnen: Die Ankaufprogramme für öffentliche und private Anleihen sollte sie nun langsam zurückfahren, um ein Überschießen der Marktzinsen zu vermeiden. Auch der Einlagenzins von aktuell minus 0,4 Prozent, den die Banken für ihre Einlagen bei der EZB zahlen müssen, sollte schon jetzt erhöht werden, um die Banken nicht weiter zu belasten. Im letzten Schritt, vermutlich erst nach dem Jahr 2018, sollten die Leitzinsen erhöht werden - allerdings behutsam, um den Aufschwung der Eurozone nicht zu gefährden. Erinnert werden sollte hier auch an die Mitte der 2000er Jahre, als die Federal Reserve die Leitzinsen sehr zügig steigerte und damit viele Haushalte vor Probleme stellte - und so erst die Krise auf dem amerikanischen Häusermarkt auslöste. Ähnliches sollte nun nicht im Unternehmenssektor geschehen.

Für Firmen bedeutet dies, dass sie sich langsam wieder auf steigende Zinsen einstellen müssen. Aktuell bietet sich aber noch einmal die Chance, Investitionen mit besonders niedrigen Zinsen zu finanzieren. Wer keine großen Ausgaben plant, kann zumindest kurzfristige Verbindlichkeiten durch langfristige mit geringen Zinsen ersetzen. Dann müssen Unternehmen, Arbeitnehmer und Banken die Zinswende nicht fürchten.

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