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(© Foto: Eisenhans - Fotolia)
Markus Demary und Judith Niehues auf Ökonomenstimme Gastbeitrag 29. Juni 2015

Geldpolitik für die Reichen?

In Zeiten niedriger Zinsen und boomender Aktien- und Immobilienmärkte stellt sich zunehmend die Frage, ob diese Entwicklungen nicht die Vermögensungleichheit in der Bevölkerung vergrößern. Dieser Beitrag der IW-Ökonomen Judith Niehues und Markus Demary auf dem Portal Ökonomenstimme sucht anhand Daten des Household Finance and Consumption Survey für Deutschland nach Antworten.

Die Wirkungen der Geldpolitik auf die Verteilung von Vermögen und Einkommen haben in der Vergangenheit kaum eine Rolle gespielt. Zinssenkungen und Zinserhöhungen wechselten sich mehr oder weniger ab, so dass zumindest keine systematischen Verteilungseffekte entstehen konnten. Im Zuge der globalen Finanzkrise in den Jahren 2007 und 2008 stießen die großen Zentralbanken mit ihren geldpolitischen Instrumenten an die Nullzinsgrenze und mussten zu unkonventionellen Maßnahmen, wie dem großangelegten Aufkauf von Wertpapieren, greifen, um die Wirtschaft zu stimulieren. Zusätzlich bekräftigten die Zentralbanken, die Zinsen für eine ausgedehnte Periode niedrig zu halten. In einem Umfeld von persistent niedrigen Zinsen und boomenden Vermögenspreisen können jedoch signifikante Verteilungseffekte der Geldpolitik entstehen.

Die Verteilungseffekte der Geldpolitik können über mehrere Kanäle laufen, die sich zum Teil sogar widersprechen (Coibion et al., 2012). Gemeinsam haben diese Kanäle aber, dass die Wirkungen von der Heterogenität der Haushalte bezüglich der Höhe und Herkunft ihrer Einkommen sowie in Bezug auf ihre Vermögensanlage abhängen:

  • Eine expansive Geldpolitik kann zu mehr Vermögensungleichheit beitragen, wenn vermögensärmere Haushalte den Großteil ihres Vermögens als verzinsliche Einlagen halten, während vermögensreichere Haushalte den Großteil ihres Vermögens in Aktien und Immobilien halten.
  • Die Geldpolitik kann zu mehr Einkommensungleichheit beitragen, wenn einkommensärmere Haushalte einen hohen Anteil ihre Einkommens aus Arbeitseinkommen und einen niedrigen Anteil aus Vermögenseinkommen erzielen und wenn einkommensreichere Haushalte einen vergleichsweise höheren Anteil ihres Einkommens aus Vermögenseinkommen und einen geringeren Anteil aus Arbeitseinkommen erzielen.
  • Die Geldpolitik kann jedoch zu weniger Vermögensungleichheit beitragen, wenn vermögensärmere Haushalte einen größeren Anteil an Schulden und einen geringeren Anteil an verzinslichen Einlagen gemessen an ihrem Bruttovermögen halten und wenn vermögensreichere Haushalte über einen geringeren Anteil Schulden und einen höheren Anteil an verzinslichen Einlagen in Relation zu ihrem Bruttovermögen verfügen.
  • Die Geldpolitik kann zu weniger Einkommensungleichheit beitragen, wenn die Abmilderung einer Rezession vor allem die Einkommen der einkommensärmeren Haushalte stabilisiert.

Um die Effekte der Geldpolitik auf die Vermögensungleichheit zu untersuchen, wurden die Daten des Household Finance and Consumption Survey (HFCS) der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgewertet (siehe Demary und Niehues, 2015). In der Sektorbetrachtung übersteigt der Rückgang der Zinserträge des Haushaltssektors den Rückgang der Schuldendiensterleichterung. Bei der Betrachtung der unterschiedlichen demografischen Gruppen, zeigt sich aber ein differenzierteres Bild. Die Ergebnisse zeigen, dass signifikante Verteilungseffekte in Deutschland vor allem zwischen Schuldnern und Sparern auftreten. Insbesondere die Zinsbelastung der jüngeren Haushalte, die gerade eine Immobile erworben haben und diese mit einer Hypothek finanzieren, ist gesunken. Im Vergleich dazu sind bei den älteren Haushalten, die tendenziell über mehr verzinsliche Spareinlagen als über Schulden verfügen, die Zinserträge stärker gefallen als die Zinslasten. Vor dem Hintergrund, dass die älteren Haushalte im Durchschnitt wohlhabender sind als die jüngeren Haushalte, hat die Niedrigzinsphase zwischen diesen beiden demografischen Gruppen eher noch einen Rückgang der Vermögensungleichheit begünstigt.

Die vermögensärmsten zehn Prozent sparen durch die niedrigeren Zinsschulden mehr ein, als sie zugleich durch den Rückgang des Zinsertrages ihrer Ersparnisse verlieren. In Prozent des Bruttovermögens ist der Saldo aus Schuldendiensterleichterung und Zinsverlusten für das vermögensärmste Zehntel positiv und für die übrigen Dezile negativ. Die nahezu schuldenfreien Haushalte mit geringem Vermögen stellen sich durch die niedrigen Zinserträge hingegen etwas schlechter. Für das zweite und dritte Dezil liegt der Saldo bei -0,7 Prozent des Bruttovermögens, für die höheren Dezile zwischen -0,2 und -0,4 Prozent.

Insgesamt zeigt sich nicht bestätigt, dass die Vermögenden von boomenden Immobilienpreisen und Aktienkursen profitieren. Dies liegt daran, dass sich die Anteile an Immobilien und Aktien bei den Vermögensreichen nicht stark genug von den anderen Vermögensgruppen unterscheiden. Das Immobilienvermögen in ersten Dezil liegt bei 72 Prozent des Bruttovermögens, das achte und das neunte Dezil haben einen Immobilienanteil von jeweils 70 Prozent an ihrem Vermögen. Würden sich ceteris paribus die Werte des Immobilienvermögens erhöhen, würde es sogar zu einer leichten Verringerung der Ungleichheit führen. Beim oberen Dezil kommen zu den 60 Prozent Immobilienvermögen noch 20 Prozent Betriebsvermögen hinzu, die aber vermutlich zu einem Großteil aus Grundstücken und Immobilien bestehen. Das zweite und das dritte Dezil profitiert hingegen weniger von einem Anstieg der Immobilienpreise, da sie einen geringeren Anteil an Immobilienvermögen (13 und 27 Prozent) und dafür einen hohen Teil zinstragende Aktiva (55 und 48 Prozent) halten.

Durch steigende Aktienkurse hat die Vermögensungleichheit allerdings nicht zugenommen. Denn die Aktienquoten bei den privaten Haushalten hierzulande sind niedrig und liegen zwischen 0,6 Prozent bei den vermögensärmsten 10 Prozent und 2,6 Prozent bei den vermögensreichsten 10 Prozent. Die vermögensreichsten ohne Betriebsvermögen halten zwar relativ etwas mehr Aktien in ihrem Portfolio, aber ihre Aktienquote liegt auch nur bei rund 4 Prozent. Die geringe Bedeutung impliziert, dass auch bei einer isolierten Verdopplung der Aktienwerte, sich die Höhe der Vermögensungleichheit praktisch nicht verändern würde.

Es muss aber auch beachtet werden, dass bei den aktuellen makroökonomischen Bedingungen Effekte auf die Vermögensverteilung entstanden wären, wenn die Geldpolitik untätig gewesen wäre. Wäre es dauerhaft zu fallenden Preisen gekommen, dann wäre der Realwert der Vermögen und der Schulden gestiegen. In diesem Fall hätte es Umverteilungen zwischen den jungen Haushalten, die eine Immobilie finanzieren und den älteren schuldenfreien und vermögenden Haushalten gegeben. Die Geldpolitik kann aber auch zur Stabilisierung der Einkommensverteilung beitragen. Denn in einer Rezession sind die unteren Einkommen stärker von einem Arbeitsplatzverlust betroffen als die höheren Einkommen. Dadurch, dass die Geldpolitik die negativen Effekten einer Rezession abmildern kann, profitieren dann die einkommensärmeren Haushalte.

Eine stabilitätsorientierte Geldpolitik kann einen Beitrag zur Vermeidung einer Zunahme der Einkommens- und Vermögensungleichheit leisten, sofern sie die Inflation niedrig hält und Konjunkturschwankungen minimiert. Auswertungen eines Datensatzes der Weltbank mit über 100 Ländern zeigen, dass die Ungleichheit in Ländern mit hoher Inflation höher ausfällt als in Ländern, deren längerfristige Inflationsrate in der Nähe von zwei Prozent liegt. Auch wenn die Konfidenzintervalle für die Länder mit höherer Inflation recht groß ausfallen, so zeigt sich tendenziell, dass ein Inflationsziel von zwei Prozent in Bezug auf eine stabile Einkommensverteilung förderlich zu sein scheint. Zu einem vergleichbaren Ergebnis kam auch die ältere Studie von Romer/Romer (1991).

Ausgeprägte Konjunkturschwankungen sind eher in den Ländern zu finden, die Wachstum über eine expansive Geldpolitik erreichen wollen. Dies endet in der Regel in einer hohen Inflation, die dann über eine restriktive Geldpolitik wieder zurückgeführt werden muss. Die Folge ist eine Rezession, von der vor allem Arbeitsplätze und damit die Einkommen der ärmeren Haushalte betroffen sind. Die Analyse der Weltbank-Daten bestätigt, dass Länder mit einer geringeren Standardabweichung der Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts eine geringere Ungleichheit aufweisen. Denn die unteren Einkommen profitieren von einer stabilen wirtschaftlichen Entwicklung. Nicht nur aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Geldpolitik in Zukunft wieder zu einem Normalzustand mit höheren Zinsen und einer Inflationsrate nahe ihrem Zielwert zurückkehren kann.

Zum Gastbeitrag auf oekonomenstimme.org

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