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Michael Hüther Gastbeitrag 4. Dezember 2008

Mangel an Respekt

Viele Menschen sind eher bereit, unsere Wirtschaftsordnung zur Disposition zu stellen, als deren Reformen zu ertragen.

Viele haben wohl nur darauf gewartet: eine wirtschaftliche Krise, die ob ihrer Dimension das grundsätzliche Versagen der Marktwirtschaft offenbart. Nun versucht man, den Weg aus der Krise als einen Weg in ein anderes Wirtschaftssystem zu gestalten. Die alte Erzählung vom Dritten Weg, vom genossenschaftlichen Modell, von der guten Zeit der jugoslawischen Lösung feiert in interessierten, aber auch erweiterten Kreisen fröhliche Urständ und weckt manch neue Illusion. Denn die Abneigung gegen die Konkurrenzwirtschaft ist weit verbreitet.

Bereits seit längerem manifestiert sich diese Grundhaltung in Umfragen. Nach einer Erhebung der Bertelsmann Stiftung haben 65 Prozent der Westdeutschen und 80 Prozent der Ostdeutschen eine negative Meinung über die Marktwirtschaft. Eine aktuelle Befragung des Bankenverbandes bestätigt dies: Nur noch 50 Prozent teilen einerseits die Einschätzung, dass die Soziale Marktwirtschaft sich bewährt hat, und bejahen andererseits die Aussage, dass unsere Gesellschaft im Wohlstand lebt. 60 Prozent der Befragten fordern künftig mehr soziale Absicherung.

Viele Diskussionen, die gegenwärtig in der Wirtschaftspolitik geführt werden, erscheinen der breiteren Öffentlichkeit als kleinteilig, mühsam und ohne Esprit. Viel überzeugender sind da die Rufe, nun endlich der Gier Einhalt zu gebieten und Exzesse des Marktes zu unterbinden – auch wenn es dessen Existenz kostet. Wer interessiert sich schon für die Frage, welche Wegweisung die Theorie der Verbriefung für eine angemessene Gestaltung solcher Produkte gibt, um diese auch künftig für die Unternehmensfinanzierung nutzen zu können?

Wer vermag die knapp 50 Punkte der Erklärung des Washingtoner Weltwirtschaftsgipfels vom 15. November als Versuch ordnungspolitischer Erneuerung und damit als Prävention gegen künftige Verwerfungen zu verstehen? Wie viel griffiger erscheinen dagegen all die Forderungen nach einer Weltregierung oder einem Weltwirtschaftsrat, deren Formulierung in den Augen vieler allein schon zur Rettung gerinnt. Die Menschen haben gerne etwas, das griffig ist und ein Festhalten in unübersichtlichen Zeiten ermöglicht. Institutionen wecken diese Erwartung.

Doch egal, welcher Weg aus dem Desaster der Finanzmärkte gefunden, wie und wann die Wirtschaftskrise überwunden wird: Dies alles wird nichts daran ändern, dass die epochale Krisenerfahrung die Systemfrage als Top 1 gesellschaftspolitischer Veränderungsdebatten aufgerufen hat. Man ist offenbar fast mehrheitlich, so belegen diese Umfragen, eher bereit, unsere Wirtschaftsordnung, die für viele nicht erkennbar als Ordnung der Freiheit legitimiert ist, zur Disposition zu stellen, als Reformen dieses Systems zu ertragen, geschweige denn zu akzeptieren.

Wer sich solchen Debatten stellt, der merkt schnell, dass man hierbei bei weitem nicht nur auf randständige Positionen und politische Extreme trifft. In die Mitte unserer Gesellschaften haben sich Argumente vorgeschoben und eine Zustimmung erhalten, die den Systemwechsel nicht mehr ausschließen oder sogar propagieren.

Das Versprechen der Freiheit scheint für viele nicht mehr sichtbar. Die Chancen für Verlierer, nach dem Misserfolg wieder einsteigen zu können, werden nicht selten als verkappte Ausbeutung und in der Regel als unfair bewertet.

Hartz IV hat trotz der damit verbundenen Erhöhung des Sozialbudgets die Stimmung nachhaltig verdorben, und zwar bei den Betroffenen ebenso wie bei den Nichtbetroffenen. Die einen fühlen sich ungerecht behandelt und diskriminiert, die anderen artikulieren Mitleid oder fürchten die veränderte Ausstattung des sozialen Netzes für den Fall des eigenen Absturzes. Die Tatsache, dass in großem Umfang Menschen aus der Sozialhilfe erstmals in die Arbeitsförderung einbezogen wurden und damit neue Chancen der Vermittlung erhielten, wird verdrängt.

Im öffentlichen Diskurs hat dies zu einer Entwicklung von kommunikativen Parallelwelten geführt, deren Demarkation sich aus dem Bekenntnis für die Sozialpolitik alter Prägung ableitet. Dass die heimelige Stimmung des deutschen Wohlfahrtsstaates von einer Seite aufgekündigt und der kalte Wind internationalen Wettbewerbs hereingelassen wurde, hat die Dialogfähigkeit der anderen Seite nachhaltig beschädigt. Wer sich an den Kategorien „gut“ und „böse“ orientiert, der findet keinen Zugang zu den Argumentationen einer veränderungsbereiten Wirtschaftspolitik.

Zwischen den Parallelwelten mangelt es an Respekt. Jürgen Habermas übersetzt Respekt mit der Achtung abweichender Meinungen, die aus unterschiedlichen Interessen resultieren. Davon sind wir weit entfernt. Zum Wohle unseres Landes ist das nicht. Doch es führt kein Weg daran vorbei, den gesellschaftlichen Minimalkonsens zu klären. Die Ordnung der Freiheit ist dafür nicht verhandelbar. Das muss im Zweifel in Auseinandersetzungen erstritten werden. Dass dies alles andere als amüsant ist, zeigt ein Blick in die Unterwelt entsprechender Blogs.

Doch Respekt wird nur gewinnen, wer dem Konflikt nicht ausweicht und eigene Positionen klar konturiert. Dazu gehört es, „neoliberal“ nicht jenen als Schimpfwort zu überlassen, die selber nicht selten auf den Schultern der Unfreiheit stehen. Beharrlich ist die Einsicht zu vertreten, dass staatliche Alimentierung den Betroffenen nicht die Basis für Selbstachtung und die Chance für Anerkennung verschafft.

Dazu gehört es, die Verantwortung des Staates in der Bildung nicht auf Kompetenzvermittlung zu verengen, sondern ebenso auf Erziehung zur Freiheitsfähigkeit zu beziehen. Nur so wachsen die Bereitschaft zur Verantwortung und die Kraft zum Respekt.

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