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(© Foto: Friedberg - Fotolia)
Knut Bergmann im Handelsblatt Gastbeitrag 9. Juli 2013

German Angst

Knut Bergmann bezweifelt, dass wir in einem ungerechten Land leben. Doch er weiß, dass ein schlechtes Beispiel viele gute konterkariert und schnell vergessen wird, dass ein durchschnittlicher Unternehmer nichts mit einem gierigen Investmentbanker gemein hat.

Soziale Gerechtigkeit ist das Thema des Bundestagswahlkampfs. Deutschland sei ein zutiefst ungerechtes Land, in dem die Ungleichheit stetig wachse, immer mehr Menschen prekär beschäftigt seien - so lauten einige der weitverbreiteten Urteile.

Nun folgt der Berliner politisch-mediale Komplex einer eigenen Logik von Politisierung, Medialisierung und manchmal auch Skandalisierung, die mit der Lebenswirklichkeit im Lande nicht zwingend deckungsgleich sein muss. Trotzdem liegt die Frage nahe, warum sich einige vor allem sozialpolitische Mythen als so nachhaltig erweisen.

In einem seltsamen Antagonismus von Finanzkrise und Wirtschaftsaufschwung hat sich in den letzten Jahren eine nagende Verunsicherung breitgemacht, die tief in das Selbstverständnis bürgerlicher Kreise eingesickert ist. Das beruhigende Gefühl des in scheinbar müheloser Prosperität stetig expandierenden Wohlfahrtsstaates ist längst passé. An seine Stelle ist die "German Angst" getreten - für Generationen, die in Zeiten substanzieller Arbeitslosigkeit groß geworden sind, durchaus verständlich.

Eine tiefgreifende Debatte, was Gerechtigkeit heute ist, kann in diesem Meinungsklima schwerlich geführt werden. Wer insbesondere in sozialpolitischen Debatten darauf hinweist, dass es sich bei vielen der Beispiele um Einzelfälle handelt, die im Übrigen niemand gutheißt, wird schnell als zynisch diffamiert. Kein Zweifel, diejenigen, die nicht über Qualifikationen verfügen, haben es wirklich schwer. Sie allerdings im öffentlichen Diskurs beständig als hoffnungslose Bildungsverlierer abzutun wirkt kaum ermunternd.

Zugespitzt wird desgleichen beim Blick auf "die da oben", wobei schnell vergessen wird, dass ein durchschnittlicher Unternehmer nichts mit einem gierigen Investmentbanker gemein hat. Auch lenkt er keinen globalisierten Großkonzern, schon gar nicht aus der Finanzwirtschaft, auf die öffentliche Wahrnehmung wie politische Debatte fokussieren.

Fragt man die Mitarbeiter eines der Betriebe in Familienbesitz mit persönlich haftenden Eigentümern nach "ihrem" Unternehmer, dann ergibt das zumeist ein vollkommen anderes Bild als das des Unternehmers im Allgemeinen, den nicht einmal jeder Fünfte mehr mit Eigenschaften wie selbstlos, sozial oder gar gerecht verbinden will.

Um dieses Image zu korrigieren, wäre es hilfreich, wenn mehr Vorbilder bereit wären, selbst öffentlich "in die Bütt" zu gehen. Dass ein schlechtes Beispiele viele gute konterkariert, ist betrüblich, aber unabänderlich. So siegt die anekdotische Empirie, sticht Empörung Fakten, und nur die schlechten sind gute Nachrichten, will sagen: welche mit Aufregungspotenzial. Das Thema Gerechtigkeit ist schon deshalb so beliebt, weil es emotionalisiert. Die Folge ist stetes politisches Tun, was zu einer immer größeren Regulierungstiefe führt.

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